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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 35. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nobles Blut.
Schloßgeschichte aus den Erinnerungen meines Vaters.


1. Geheimnisse des Schlosses.

In dem schönen Weserthale blühte seit dem frühen Mittelalter das mächtige Geschlecht der edlen Herren von Frankenberg, das im siebenzehnten Jahrhundert in den Grafenstand erhoben worden war. Die reiche Herrschaft Frankenfelde, die jetzt landesherrliche Domaine ist, war ihr Eigenthum.

An einem Sonnabende des Monats August, im Jahre 1808, war ein Franziskanermönch auf dem Wege zum Schlosse Frankenfelde, um dort am folgenden Morgen die Messe zu lesen. Er kam aus einem Kloster auf der anderen Seite der Weser, das schon seit langen Zeiten jeden Sonnabend einen Mönch nach Frankenfelde sandte, daselbst den sonntäglichen Gottesdienst zu besorgen. Warum schon seit vielen Jahren nicht mehr, wie früher, ein eigner Hausgeistlicher im Schlosse war, – darüber wurde in der Gegend viel gesprochen.

Der Mönch, welcher sich auf dem Wege nach Frankenfelde befand, war ein langer, hagerer, alter Mann; seine wenigen Haare, die ihm die breite Tonsur auf dem Haupte gelassen hatte, waren schneeweiß. Er schien gleichwohl noch kräftig zu sein und schritt rüstig einher, ohne auf den schweren Knotenstock, den er in der Hand trug, sich stützen zu müssen. Er mußte in früheren Jahren eine hohe, stolze Gestalt gewesen sein, denn er erhob sich noch manchmal plötzlich wie hoch und stolz in der groben grauen Mönchskutte, und die alten dunklen Augen blitzten dann wunderbar in dem blassen Gesichte.

Es war später Nachmittag geworden, als er die Weser erreichte, an deren anderem Ufer Frankenfelde lag. Er mußte in einer Fähre übergesetzt werden, deren Fährmann eben aus dem Fährhause trat.

„Gelobt sei Jesus Christus, Herr Pater!“ grüßte der Mann.

„In alle Ewigkeit, Amen!“

Der Fährmann stutzte, er sah den Mönch verwundert an. Die Kinder des Fährmanns waren herbeigekommen und wollten dem Pater die Händchen reichen, aber sie wichen fremd zurück. Das „Habit“ war ihnen wohl bekannt, aber der Mann war ihnen fremd.

Der Mönch hielt ihnen freundlich seine Hand hin.

„Wie sagt Ihr sonst zu dem Pater, Ihr Kinder?“

„Gelobt sei Jesus Christus, Herr Pater!“

„Amen, Ihr Kinder! Und so sagt es immer und vergeßt ihn nie. Denn er ist der beste Freund der frommen Kinder.“

Er zog hinten aus seiner Kapuze sein kleines altes Brevierbuch hervor, und aus dem Buche nahm er kleine Heiligenbilder, für jedes der Kinder eins, und schenkte sie ihnen. Die Kinder eilten glücklich zum Fährhause zurück, um die Bilder der Mutter zu zeigen.

Während der Ueberfahrt über den Strom sah der Fährmann den Mönch neugierig an, wagte aber keine Frage an ihn zu richten. Als sie das andere Ufer erreicht hatten, sagte er nur, als wenn er Jemanden vor sich habe, der in der Gegend fremd sei: „Sie müssen durch den Wald dort rechts, Herr Pater. Gleich hinter dem Walde liegt Frankenfelde. Den Weg werden Sie nicht verfehlen können, er führt mitten durch den Wald.“

„Ich danke,“ sagte der Mönch.

Der Fährmann fuhr zurück, und der Mönch schlug den Weg ein, den der Fährmann ihm bezeichnet hatte. Er ging ihn sicher, als wenn er ihn auch ohne die Bezeichnung des Fährmanns gekannt hätte. Trotzdem blickte er aufmerksam nach allen Seiten umher; jeder Baum, jeder Graben, jedes Acker- und Wiesenfeld, die Steine am Wege schienen ein eigenthümliches Interesse für ihn zu haben.

Der Feldweg, in dem er ging, brachte ihn nach rechts zu einer breiten Waldung. Eine Landstraße, die nach der Hauptstadt der Provinz führte, lief am Walde vorbei. Als der Mönch sie überschreiten wollte, bog um eine Krümmung des Waldes und der Straße die Spitze eines Haufens Reiterei. Der Mönch trat hinter ein paar Weidenbäume zurück, die am Wege standen und ihn verbargen.

Eine Escadron französischer Kürassiere ritt langsam und still in der Straße an dem Mönche vorüber. Es waren schöne, stattliche Leute in den blanken, schimmernden Kürassen, mit den stolzen rothen Federbüschen auf den hohen Helmen, mit den großen, kräftigen Rappen, auf denen sie so leicht saßen und so still und doch so stolz einherritten. Der Mönch sah sie mit einer edlen Trauer, mit einem stillen Zorne und murmelte einige Worte.

Die Escadron war vorüber geritten und in einer neuen Krümmung der Landstraße verschwunden. Nur ein einzelner Officier war zurückgeblieben und hielt mitten im Wege; er schien auf etwas zu warten. Gleich darauf erschienen auch unter den Bäumen des Waldes an der andern Seite der Landstraße zwei Reiter, die nicht zu der eben gesehenen Truppe gehörten. An den dunkelblauen Röcken mit den rothen Rabatten und an den hohen dreieckigen Hüten erkannte man französische Gensd’armen. Der Officier ritt auf sie zu. Sie sprachen eilig und angelegentlich mit ihm, dann kehrten sie in den Wald zurück, und der Officier sprengte im Galopp der Escadron nach. Alles war ganz still und heimlich geschehen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_545.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)