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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

mindestens noch eine gute Stunde bis Chateau-Thierry, und namentlich auf dem Wege über die Hügel dort drüben werde ich sicher vom Feinde umgangen und in die Flanke gefaßt werden …“

Einzelne Schüsse knallten aus der Ferne, und der General unterbrach sich, um das Glas nach der Richtung hinter den heranziehenden Colonnen an das Auge zu führen.

„Da ist der Feind,“ äußerte Sacken, „und Ew. Excellenz bleibt nun keine Wahl mehr.“

„Ja, so geht es immer,“ murrte York, und eine fast bissige Gereiztheit klang aus seinen Worten. „Die Herren Russen salviren sich, und wir Preußen müssen die ganze Last des Kampfes allein auf uns nehmen.“

Die Geduld des russischen Heerführers war erschöpft.

„Sorgen der Herr General nicht,“ brauste er auf, „meine Russen werden den Preußen besser, als diese ihnen gestern, zur Seite bleiben. Und wenn mein ganzes Corps darüber zu Grunde gehen sollte, jetzt mag es sich zeigen, wer dem Feinde standhafter die Stirn bietet. Die Behauptung der Hügel dort übernehme ich; etwaige Meldungen Ew. Excellenz werden mich bei den dahin vorgeschobenen russischen Truppen antreffen. Auch jenes Fichtengehölz rechts werde ich zur Aufnahme Ew. Excellenz mit einigen Bataillonen besetzen. Die Verantwortlichkeit für diesen Tag gegen meinen und Ihren Souverain trage dagegen nicht ich, General, sondern Sie.“

Es war ein böser Blick, welchen York dem mit seinem Gefolge in der Richtung gegen Chateau-Thierry Davonsprengenden nachsendete, jedoch keine Muskel seines Gesichts zuckte. Kalt und ruhig wie immer ertheilte er seine Befehle. Die vorderste preußische Brigade bog von der Straße ab jenen Hügeln zu, um auf denselben etwa in der halben Entfernung von der Stadt Stellung zu nehmen, eine andere Abtheilung schwenkte nach rechts zur Besitznahme des dort gelegenen Dorfes, zwei eben heranziehenden Landwehrbataillonen wurde die Vertheidigung der beiden einzelnen Pachthöfe übertragen. Das Feuer war rasch immer lebhafter geworden und näherte sich mit großer Schnelligkeit. Von Chateau-Thierry aus sah man nach Verlauf einiger Zeit eine starke russische Abtheilung, dabei namentlich viel Cavallerie, sich um jene die Hügel besetzt haltende preußische Brigade herumziehen und zwischen derselben und dem Plateau aufmarschiren. Auch vor dem Fichtengehölz erkannte man Truppen aufgestellt. Der immer höher anschwellende Donner des Geschützes schien durch die Erschütterung der Luft auf die Witterung einen Einfluß zu äußern, die Wolken zogen minder dicht und schwer, und zuweilen blitzte ein leichter Sonnenstrahl über die Landschaft.

Eine Stunde oder anderthalb mochten so verflossen sein. Die den Nachtrab bildenden preußischen Truppen und ihnen gegenüber die feindlichen Linien waren längst sichtbar geworden. York hielt der besseren Uebersicht wegen schon seit dem Anfang des Gefechts auf einer der vordersten Kuppen jener Hügel, und seine Blicke schweiften immer erwartungsvoller und besorgter nach links, wo, von diesem neuen Standort aus, ein von dem äußersten Horizont in langhingestreckten Bogen ausgebreiteter Wald und näher gegen die Anhöhen zu, wie bis zu dem Flusse niederwärts, ein buschiges, vielfach durchschnittenes Terrain die Wahrscheinlichkeit einer aus dieser Richtung zu erwartenden feindlichen Umgehung nur noch bestimmter hervortreten ließen.

Plötzlich nahm der General das Glas an’s Auge und blickte angestrengt in die Richtung des erwähnten Waldes, wo in der That sich seit einigen Augenblicken eine Bewegung bemerkbar machte und gleich einer rasch aufsteigenden finsteren Wetterwolke eine schwarze, noch ununterscheidbare Masse sich den Hügeln zu immer weiter ausbreitete.

„Endlich!“ das Gesicht des Feldherrn erwies sich fast unbeweglicher und kälter noch als zuvor. „Hauptmann von Schack,“ hatte er sich zu seiner Umgebung gewendet, „die mecklenburgischen Husaren, die westpreußischen Dragoner und die zwei Landwehr-Cavallerie-Regimenter brechen links ab, um der feindlichen Umgehungscolonne dort entgegen zu gehen. Nur die brandenburgischen Husaren und die lithauischen Dragoner bleiben fortan der Nachhut zugetheilt. Botschaft zugleich an den General Sacken mit seiner Cavallerie sich der unsrigen anzuschließen, um den Feind da in der Flanke im Vorschreiten aufzuhalten. Der Rückzug wird sofort angetreten.“

Das erste Anzeichen einer rückgängigen Bewegung hier schien den Feind zu einer verdoppelten Thätigkeit angespornt zu haben. Angriff folgte auf Angriff, in einem Augenblick hatte sich das Gefecht bis zu den beiden Pachthöfen übertragen, wo die bis dahin mit deren Behauptung beauftragten Landwehren, im Begriff sich ebenfalls abzuziehen, von feindlicher Cavallerie angefallen, wie unter einem jäh über sie losbrechenden Wirbelwind verloren schienen.

„Attakirenl Attakiren!“ Der General war, seinem Pferde die Sporen einhauend, selber dem Orte der Gefahr zugeflogen. So schnell diese Bewegung aber auch erfolgte, so war die Rettung derselben dennoch zuvorgekommen. Hinter der geworfenen feindlichen Reiterei blitzten die hochgeschwungenen Klingen der wie ein Wetterstrahl auf sie eingesprengten lithauischen Dragoner. In aufgelöster Ordnung flüchteten die befreiten Landwehren den nächsten preußischen Vierecken zu. Bereits wurde bei den siegreichen Geschwadern auch Appell geblasen, und einen Moment darauf sah man dieselben, geordnet wie auf dem Exercirplatze, quer über Feld von ihrem glücklichen Handstreich wieder zurücktraben. York war den Reitern in Person einige Schritte entgegengeritten, es zuckte etwas wie Sonnenglanz in seinen Zügen. „Brav, meine alten Litthauer! brav, Major von Platen!“ rief er denselben zu.

„Regiment, halt! Front!“ Der Regimentscommandeur musterte mit scharfem Blick die Linie seiner aufgerittenen Dragoner. „Bah!“ kehrte er sich gleichmüthig zu dem Feldherrn, „die Kerle soll ja die … Himmel-Schwerenoth!“ donnerte er auf einen Mann des nächsten Zuges ein, „wo hat der Kerl seine Pfeife gelassen? Wachtmeister, der Mann wird für die nächsten drei Tage zur Feldwache notirt.“ In seinem einmal erwachten Inspectionseifer sprengte er die Front des Regiments hinunter. Mann für Mann desselben trug in der That, wie der Führer selbst, eine kurze Tabakspfeife im Munde, und jeder mühte sich unter den auf die Säumigen niederfahrenden Donnerwettern die dichtesten Dampfwolken aus deren Mundstück aufqualmen zu lassen. Das Regiment hätte es in dieser Beziehung für den Moment mit dem besten Fabrikschornstein aufnehmen können.

Die Inspektion war bei alledem nicht genügend ausgefallen, eine gute Zahl der Leute hatte bei dem vorigen raschen Sturmritt ihre Nasenwärmer verloren, oder doch deren Brand zu unterhalten vergessen. „Dragoner wollt ihr sein,“ wetterte der Commandeur, „und besitzt nicht mal Contenance genug, um für eine solche lumpige Attake euere Pfeifen im Maule zu behalten! Wozu anders commandire ich jedesmal vor dem Anreiten: ‚Pfeifen festgefaßt!‘ als um euch Contenance zu lehren? Die ist das erste Erforderniß für einen rechtschaffenen Dragoner. Der Deibel soll den bei lebendigem Leibe fricassiren, der mir heute seine Pfeife verliert oder ausgehen läßt!“

Die Dinge hatten sich im rapiden Verlauf immer bedrohlicher gestaltet. York war auf die Reitersignale von jenseit der Hügel schon lange dahin zurückgesprengt. Auch um das Dorf zur Rechten knatterte und knallte es bereits in allen Tonarten. Die preußische Infanterie befand sich in Quarré formirt und das Geschütz zwischen ihren Vierecken gegen Chateau-Thierry im möglichst beschleunigten Abzuge begriffen. Um die letzten in das Thal der Marne niedersteigenden Bataillone noch zu überraschen, war in der Front die französische Cavallerie abermals zum Angriff übergegangen. Das Regiment attakirte von Neuem, und der Feind wurde, diesmal jedoch nicht ohne einen harten Zusammenstoß, wiederum zurückgetrieben. Der Major war durch den Ausfall des letzten Sturmritts sehr unbefriedigt. Auch die Ordnung in den Schwadronen wollte sich diesmal nicht gleich schnell wie vorhin wieder herstellen lassen. „Was habe ich Euch anempfohlen?“ lobte er. „Sobald ich Marsch! Marsch! blasen lasse, geht es wie ein Donnerwetter auf die feindliche Cavallerie los, jeder giebt Einem davon etwas auf die Mütze, dann lasse ich Appell blasen und rasch wieder zurück und Ordnung gemacht. Himmel-Schwerenoth! es war dies die schlechteste Attake des Regiments während des ganzen Feldzugs. Diese französischen Kerle nicht gleich im ersten Anprall über den Haufen zu werfen!“

Er strich sich den langen, grauen Knebelbart, das dunkle Gesicht des untersetzten kräftigen Mannes war noch dunkler geworden, ein wüthender Zorn loderte in seinen schwarzen Augen. Nach den Pfeifen der Leute mochte er erst gar nicht sehen, über dem Herumhauen von vorhin zeigte sich gut die Hälfte derselben ohne diese Zugabe, und seine Laune wurde durch diese letzte Wahrnehmung keinesfalls gebessert. Grimmig sog er selber an der Spitze

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_553.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)