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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

jene vielgenannten Prairien des Westens; zwar dehnen sie noch heute ihre Wanderungen von Canada bis zu den Küstenländern am Golf von Mexico aus; zwar sieht man noch heute den Staub in Wolken aufwirbeln unter den scharrenden und stampfenden Hufen der grimmig mit einander kämpfenden Thiere oder vernimmt das tiefe, hohle Gebrüll, welches durch die Luft zittert auf weithin: aber schon gegenwärtig kann der Jäger Wochen und Monate lang die Prairien durchstreifen, ohne auch nur eines einzigen „Büffels“ ansichtig zu werden. Da, wo überall die gebleichten Knochen des Thieres an sein früheres Vorhandensein erinnern, da, wo die Mordlust des Menschen in den Schädeln der getödteten „Büffel“ sich Marksteine hinterließ, ist es jetzt öde und still geworden, und mit jedem Jahrzehnt schreitet die Zerstörung weiter vor; jedes Jahr vermindert die zahllosen Heerden. Es ist gar nicht unmöglich, ja nicht einmal unwahrscheinlich, daß der Bison noch früher als sein nächster Verwandter, der Wisent, „so die Nichtkenner Urochs nennen“, dem Menschen erlegen sein wird; denn es steht zu befürchten, daß drüben im Westen kein Gewaltherrscher sich finden dürfte, welcher ihm einen solchen Schutz gewährt, wie ihn der Wisent – nicht aber der schon seit Jahrhunderten ausgestorbene Auerochs! – heutigen Tages noch im Walde von Bialowicz genießt. Gegenwärtig aber lebt der „Büffel“ noch und nicht blos in seiner Heimath, sondern auch im alten Europa, hier freilich nur als armer, trauriger Sclave des Menschen, eingepfercht in einen engen Raum, ein Schatten nur von dem, was er ist.

Dieser Sclave, dieser Schatten des freilebenden Bison ist es, welchen ich diesmal den Lesern der Gartenlaube vorführen will, so verlockend es auch sein mag, anstatt des gefangenen Bison, vom freilebenden „Büffel“ und seinem Ringen und Kämpfen um’s Dasein zu reden.

Ein englischer Lord, so erzählte man mir voriges Frühjahr in London, welcher im nördlichen Schottland große Besitzungen, ausgedehnte Güter besaß, war vor ungefähr zehn Jahren auf den guten Einfall gekommen, sich aus Amerika Bisons zu verschreiben. Die Thiere langten wohlbehalten an, wurden in einem geräumigen Park untergebracht, vermehrten sich hier, und im Verlauf der Zeit wuchs eine kleine Heerde heran. Da aber starb der büffelfreundliche Lord, und seine Erben suchten sich so rasch als möglich der ihnen lästigen Heerde zu entledigen. Es kamen mit einem Male „Büffel“ auf den Thiermarkt, ohne daß man eigentlich wußte, wie, und in allen Thiergärten wurde der Wunsch laut, die seltenen Thiere zu besitzen. Aber freilich, die geforderten Preise waren nicht verlockend: 300 Pfd. Sterl., volle 2000 Thaler unseres Geldes, wurden für das Paar junger Bisons verlangt und einzeln auch bezahlt. Ein besonderer Glücksumstand setzte uns in den Stand, ein Paar von ihnen für die Hälfte dieses Geldes zu erwerben. Dieses Paar ist es, welches gegenwärtig eine der größten Zierden des Hamburger Thiergartens bildet.

Die Bisons standen, als wir sie erhielten, im dritten Lebensjahre und hatten damals ungefähr die Größe unserer gewöhnlichen Hausrinder erreicht. Inzwischen sind sie bedeutend gewachsen, haben aber doch wohl kaum mehr als drei Viertheil ihrer vollen Größe erlangt; denn ihr Wachsthum währt, wie man allgemein annimmt, bis in das achte oder zehnte Lebensjahr. Sie erreichen dann eine Größe, welche die unserer stärksten Hausrinder um ein Bedeutendes übertrifft: die amerikanischen Jäger geben das Gewicht eines alten Bullen auf 2000, das einer Kuh auf 1200 Pfund an.

Das Eigenthümliche der Bisongestalt gründet sich auf die überwiegende Ausbildung des Vorderleibes im Vergleich zum Hinterleibe. Der Körper erreicht am Widerrist seine größte Höhe und Breite, fällt von hier aus nach vorn und hinten ab und verschmächtigt sich gleichzeitig, der dichten Mähne halber scheinbar noch mehr als in Wirklichkeit. Die Läufe sind kurz und stämmig; der Schwanz ist mittellang, der Kopf unverhältnißmäßig groß, sehr breit an der Stirn, von da an gleichmäßig nach der Muffel zu verschmälert, so daß er, von vorn und von der Seile betrachtet, keilförmig gestellt erscheint. Die Augen sind groß, dunkel gefärbt und von unheimlichem Ausdruck, weil das Weiße getrübt ist; das Gehör ist klein, in der Mähne fast versteckt, zugespitzt; die Muffel ist gerundet, das Nasenloch groß. Die kurzen Hörner, welche an ihrer Wurzel sehr stark sind, nach der scharfen Spitze aber rasch abfallen, biegen sich zuerst nach außen und hinten, sodann nach oben und wenden sich mit den Spitzen nach innen und hinten. Eine sehr starke und dichte Mähne umhüllt den ganzen Vordertheil, namentlich das Kinn, die Unterbrust und die Schultern; sie verbreitet sich aber auch über die Vorderschenkel, zumal an der Hinterseite hervortretend, und ist auf den Hinterschenkeln und als Schwanzquaste wenigstens angedeutet. Schwach behaart sind nur die Unterseite des Leibes, die Innenseite der Schenkel und die Läufe vom Fersengelenk an. Der Oberkopf scheint in einem weichen Filz zu stecken, so dicht ist hier die Behaarung. Die Färbung ist ein sehr gleichmäßiges Graubraun, welches längs der Mähne, namentlich an Vorderkopf, Stirn, Hals und Wamme in Schwarzbraun übergeht. Das alte, zumal das abgestoßene Haar verbleicht und erscheint dann graulich gelbbraun. Muffel, Gehörn und Hufe sind schwarz.

Der Bison bekundet, wie sein europäischer Verwandter, auf den ersten Blick alle Eigenschaften eines wilden Geschöpfes. Man würde sich täuschen, wollte man ihn für plump und ungeschickt halten: die gewaltige Masse bewegt sich im Gegentheil mit einer Leichtigkeit, welche geradezu in Erstaunen setzt. Es ist, als ob es dem Thiere Vergnügen mache, mit seiner eigenen Kraft zu scherzen und zu spielen. So ruhig und theilnahmlos er während der Tagesmitte auch zu sein scheint, so lebhaft, so lebendig zeigt er sich, wenn die Dämmerung eintritt, so munter und rege ist er in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden. Unsere Gefangenen sieht man namentlich gegen Abend in lustigen Sprüngen sich ergötzen; sie laufen dann nicht nach anderer Rinder Art, sondern sie galoppiren und zwar mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, welche selbst einer Antilope alle Ehre machen würde. Alle Bewegungen sind eigenthümlich, kurz abgebrochen, wenn man will, aber sie sind, wie bemerkt, in hohem Grade gewandt und werden mit einer Schnelligkeit ausgeführt, welche höchstens die Kraft und die Ausdauer überbieten. Der laufende Bison legt rasch große Strecken zurück, viel größere, als man meinen möchte, wenn man seine niedrigen Läufe betrachtet. Im Zorn fällt er in einen raschen, ausgreifenden Trab; im lustigen Spiel bewegt er sich in sonderbaren Wellenlinien, welche entstehen, weil er die Masse seines Leibes bald am Vordertheil, bald am Hintertheil aufwirft. Dann wird der Schwanz wie beim zornigen Bullen erhoben und der Kopf ziemlich tief zum Boden herabgedenkt; ausdrucksvolles Schütteln desselben bekundet die größere oder geringere Erregung. In dieser Weise durchläuft unser Paar zuweilen zehn bis zwölfmal sein Gehege, und dabei ist es ihm gleichgültig, ob es sein Weg durch das in der Mitte liegende Wasserbecken oder auf dem Lande dahin führt. Eins der Thiere läuft regelmäßig dicht hinter dem andern, und dasjenige, welches den Vortritt hat, läßt sich von dem zweiten nicht überflügeln. Mit Eintritt der Dunkelheit werden diese Spiele beendet; in Bewegung aber bleiben die Bisons bis zum nächsten Morgen. Der Tag scheint ihre Ruhezeit zu sein; ob sie dann aber wirklich schlafen, vermag ich nicht zu sagen. Es hält sehr schwer, dies zu beobachten, denn ihre Sinne sind so scharf, daß sie die Annäherung eines Menschen immer bald wahrnehmen und sich dann sofort munter zeigen. Es scheint mir, als schliefen sie mit vielen Unterbrechungen, so lange sie ruhen; wenn dies aber der Fall, kann ihr Schlaf nur ein sehr kurzer sein, ein Halbschlummer, falls man so sagen darf, welcher höchstens eine oder zwei von den vierundzwanzig Stunden des Tages beansprucht.

Gegen Witterungseinflüsse zeigen sich unsere Bisons vollkommen unempfindlich. Ihr Stall ist ihnen nichts mehr, als der Ort, welcher die Krippe enthält; sie betreten ihn, um sich satt zu fressen, und verlassen ihn, nachdem sie ihr Bedürfniß befriedigt haben, möglichst schnell wieder. Zum Wiederkäuen wählen sie sich im Sommer wie im Winter einen beliebigen Platz innerhalb ihres Geheges. Im Winter fanden wir sie zuweilen mit einer dicken Schneedecke belegt; sie hatten sich auch im tollsten Gestöber nicht in das Innere ihres Hauses zurückgezogen, sondern lieber außen einschneien lassen und schauten unter ihrer weißen Decke scheinbar befriedigt hervor. Starker Regen ficht sie eben so wenig an, und nur bei heftigem Sturme pflegen sie sich so zu stellen, daß der Kopf durch ihren dicken Leib geschützt wird. Auch die Sonnenhitze scheint sie nicht zu behelligen, obwohl es in den warmen Monaten des Jahres und zumal um die Mittagszeit noch am häufigsten vorkommt, daß sie länger als sonst in ihrem Stalle verweilen.

Es läßt sich nicht verkennen, daß es dem Bison leicht gemacht wird, die verschiedenste Witterung zu ertragen. Der Wechsel seines Haarkleides steht mit den Jahreszeiten im innigsten Einklange. Wer den Bison kennen lernen will, muß ihn im Winter betrachten; denn nur dann zeigt er sich in seiner vollen Schönheit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_566.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)