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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Winterpelz hüllt das ganze Thier dicht ein und vergrößert seinen Umfang um ein Beträchtliches. Er besteht aus feinen Grannen und einem äußerst zarten Wollflaum, welcher meines Erachtens an Weichheit und Feinheit durch Alpacawolle nicht überboten wird. Dieser Wollfilz bildet eine viel dickere Lage, als man meint, weil er überall fast gleichmäßig lang ist, und deshalb die Länge der einzelnen Haare nicht so in’s Auge fällt. Die eigentlichen Grannen überwuchern ihn scheinbar nur an denjenigen Stellen des Leibes, wo sie sich selbst zur Mähne ausgebildet haben. Erst im Frühjahr bei der Härung bekommt man von der dichten Wolldecke eine richtige Vorstellung. Schon gegen den März hin löst sich das Vließ von der Haut ab und zwar nicht flockenweise, sondern in Fetzen von beträchtlicher Größe, in Stücken von mehr als einem Geviertfuß Ausdehnung, welche vermöge ihrer Zusammenfilzung gewöhnlich erst wochenlang vom Leibe herabhängen und bei Bewegung hin- und herflattern. Die filzartige Beschaffenheit des Vließes ist denn auch die Ursache, daß die Härung fast den ganzen Sommer beansprucht oder streng genommen das ganze Jahr hindurch währt. Mit Beginn des Frühlings löst das neu hervorsprossende Haar das alte langsam ab und erst mit Eintritt des Winters hat es eine genügende Länge erreicht, wächst aber auch während der kalten Monate noch stetig fort; es wächst in Wahrheit bis zu dem Augenblicke, wo es durch das nächste Haarkleid verdrängt wird. Nur bei einigen hochnordischen Thieren, z. B. bei den Eisfüchsen, und auch bei dem Trampelthiere habe ich etwas Aehnliches beobachtet. Der Wollwechsel der Schafe, welche doch ein noch dichteres Vließ tragen, geht in durchaus verschiedener Weise vor sich. Gewöhnlich beginnt sich das Vließ des Bison zwischen den Vorderläufen und am Unterleibe zuerst zu lösen; dann werden einzelne Stellen der Oberseite klar, ohne daß dabei eine Regelmäßigkeit zu bemerken wäre, bis zuletzt auch der Oberrücken oder die Gegend am Widerrist sich verändert. Während des Wechsels sieht der Bison ganz erbärmlich aus, die herabhängenden und bei Bewegung herumflatternden Haarfetzen stören den Beschauer so, daß er sich geneigt fühlt, das Thier von den lästigen Anhängseln zu befreien.

Der Bison scheint sich in seinem Lumpengewand zu gefallen, obgleich sich nicht verkennen läßt, daß er sich noch einmal so stolz trägt, wenn er in seinem vollen Haarschmuck prangt. Doch thut er selbst nur wenig, um den Wechsel zu beschleunigen, reibt sich nur selten an hervorragenden Stellen, und wenn er sich im Sande wälzt, wie er dies oft zu thun pflegt, so geschieht es keineswegs, um der Fetzen seines alten Kleides sich zu entledigen, sondern einzig und allein, um sich von den auch ihm sehr beschwerlich fallenden Mücken zu befreien. Wind und Wetter sind die einzigen Kräfte, welche ihm seine Lumpen nach und nach vom Leibe reißen. Mit wahrer Befriedigung bemerkt man, wie schnell sich das Aussehen des Thieres bessert, wenn solcher Liebesdienst ihm geworden ist. So lange die Fetzen noch an ihm herabhängen, sieht auch die bereits befreite Haut häßlich aus, weil das neue Haar wegen seiner Feinheit sie kaum bedeckt und nackt erscheinen läßt, während dieser Eindruck verschwindet, wenn sich erst wieder eine Gleichmäßigkeit in der Behaarung hergestellt hat.

Hinsichtlich seiner Nahrung macht der Bison geringe Ansprüche, d. h. er begnügt sich mit gewöhnlichem Futter. Unsere Gefangenen erhalten ungefähr dasselbe, welches man unsern Hausrindern vorwirft; doch verschmähen sie alle eingemaischten Getränke. Gutes Heu oder im Sommer Gras, Kleien, Körnerfutter, Kartoffeln und Möhren – das sind Stoffe, mit denen wir sie ernähren, und dabei befinden sie sich ganz vortrefflich. Zum Getränk erhalten sie nur reines Wasser. Daß sie gewisse Nahrungsstoffe vor andern bevorzugen, ist sicher, namentlich der Klee darf als ihr Leckerbissen bezeichnet werden. Der Klee ist es denn auch, welcher uns ein Zähmungsmittel der Thiere an die Hand gegeben hat; mit ihm locken wir sie jetzt nach jeder Stelle ihres Geheges hin, und ihn fressen sie uns ungescheut aus der Hand.

Unsere Gefangenen haben gegenwärtig einen großen Theil ihrer ursprünglichen Wildheit abgelegt: sie sind so liebenswürdig geworden, wie ein Bison dies zu sein vermag. Anfangs waren sie nicht blos scheu, sondern auch boshaft und wüthend. Beim Anblick ihres Wärters stürzten sie mit mächtigen Sprüngen aus ihrem Stalle heraus, im Gehege aber bedrohten sie den Mann in nicht mißzudeutender Weise. Wenn sie ihr Futter nehmen sollten, schlichen sie vorsichtig zur Krippe, und die geringste Störung scheuchte sie augenblicklich wieder zurück. Das verlor sich nach und nach gänzlich, und gegenwärtig verkehrt der Wärter unbesorgt mit ihnen. Er hat sie kennen gelernt, und sie haben in ihm ihren Freund und Wohlthäter erkannt. Jetzt folgen sie seiner Stimme oder gehorchen seinen Befehlen. Auch gegen mich beweisen sie eine große Zuneigung, weil ich mich ihnen niemals mit leeren Händen nahe. Sie wissen sehr genau, was es zu bedeuten hat, wenn ich die ihr Gehege begrenzende Wiese betrete, und erheben sich augenblicklich, wenn ich dort Gras pflücke, in der Absicht, es ihnen zu reichen, ja, sie lassen sich schon durch meinen Anruf herbeilocken. Beide kommen mir dann entgegen, schnaufen mich grüßend an und stecken die blauschwarze Zunge weit aus dem Maule heraus, um das ihnen vorgehaltene Futter in Empfang zu nehmen. Dabei bekundet der Stier jedesmal das ihm eigene Selbstgefühl: er will stets der Erste und Bevorzugte sein. So ausgezeichnet er sich sonst mit seiner Gefährtin verträgt – wenn es zum Futter geht, beansprucht er das Recht des stärkeren Geschlechts, und wenn die schwache Hälfte dies Recht nicht gutwillig anerkennen will, versucht er durch kräftige seitliche Hornstöße das ihm Versagte sich zu erzwingen. Er geräth dann in eine gewisse Aufregung, und die ohnehin trüben Augen erhalten einen wahrhaft unheimlichen Ausdruck. Ist das Futter verzehrt, so tritt der Frieden augenblicklich wieder ein.

Ich glaube nicht, daß man den Bison als ein geistig tiefstehendes Geschöpf betrachten darf, wie es wohl öfters geschehen. Es hält schwer, über die Höhe der geistigen Fähigkeiten eines so wenig umgänglichen Thieres sich klar zu werden; so viel aber meine ich annehmen zu dürfen, daß der Verstand durchaus kein geringer, sondern daß er im Umgange mit den Menschen einer weiteren Ausbildung wohl fähig ist. Zur Zeit hat man es freilich mit einem Wesen zu thun, auf welches die versuchte Zähmung noch sehr geringen Einfluß ausgeübt, und welches sich deshalb die Eigenschaften eines wilden Thieres treu bewahrt hat. Das trotzige Gefühl, das Bewußtsein der gewaltigen Kraft ist der Erkenntniß der Ueberlegenheit des Menschen noch nicht gewichen. Der Bison fühlt sich noch dem Gebieter der Erde gegenüber als ein Geschöpf, welches den Kampf mit Jenem nicht zu scheuen braucht. Dies aber wird sich ändern, und wären wir Kaukasier ebenso geschickt in der Behandlung der Thiere, wie die Indier es sind, besäßen wir die milde Anschauungsweise, die ruhige Gelassenheit und die zähe Ausdauer, welche die braunen Leute der Gangesländer wilden Thieren gegenüber mit so großem Erfolg benutzen: wir würden auch mit dem Bison weiter gekommen sein, als dies gegenwärtig der Fall. So viel ist sicher, daß ich von meiner nach der ersten Bekanntschaft mit diesem Thiere gefaßten Meinung zurückgekommen bin, mit anderen Worten, daß ich jetzt in dem Bison nicht mehr ein unzähmbares Geschöpf sehe, es vielmehr recht wohl für möglich halte, daß sich der Mensch auch ihn unterthänig machen kann.

Dieselbe Ansicht hat lange vor mir bereits Robert Wickliffe ausgesprochen, vielleicht derjenige Thierzüchter, welcher über den Bison die meisten Beobachtungen anstellen konnte. Wickliffe hat, wie er Audubon berichtet, dreißig Jahre lang diese Thiere in der Gefangenschaft gehalten, sie wiederholt zur Fortpflanzung gebracht, gefunden, daß sie sich mit andern Rindern kreuzen, und erfahren, daß die in der Gefangenschaft geborenen „Büffel“ durchaus nicht wilder oder wüthender sind, als viele zahme Hausrinder. Der Mann glaubt auch, daß der Bison mit der Zeit ganz in derselben Weise ausgesucht werden könne, wie irgend eine andere Race oder Art unserer Rinder; er verspricht sich namentlich in den zum Hausstand übergegangenen Thieren gute Milcherzeuger erhalten zu können.

Wir werden wohl thun, wenn wir uns so kühnen Hoffnungen einstweilen noch nicht hingeben; ebenso wenig aber dürfen wir den Bison derjenigen Beachtung für unwerth halten, welche er unzweifelhaft verdient. Unmöglich ist es nicht, daß der bekannte “Böblinger Rapsbauer“ einst mit einem Bisongespann zu Markte fährt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_567.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)