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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Kamellen“ aus der Tasche, Einigen aus der Gesellschaft vertraulich mittheilend, er habe das Buch für den Nothfall mitgebracht, um unter Umständen eine Lücke im Repertoir der Unterhaltung damit auszufüllen. Aber der Name „Fritz Reuter“ und „Olle Kamellen“ war von den Nächststehenden gehört, das Buch gesehen worden, und „Fritz Reuter“ und „Olle Kamellen“ ging es von Mund zu Mund durch den Saal. Bald war der erwähnte Herr von der ganzen Gesellschaft umdrängt. „Bitte, bitte, vorlesen!“ klang’s von allen Seiten. Das dringende Ersuchen des Herrn und der Frau vom Hause, welche letztere liebenswürdig auf die eignen Lorbeeren verzichtete, um ihrer Gesellschaft und ihrer selbst willen – denn auch sie gehörte zu den Verehrern Fritz Reuter’s – machte dem höflichen Sträuben, das der Gast der Erfüllung dieses Wunsches entgegensetzte, ein Ende.

So wurde denn aus der projectirten musikalischen Soirée mit Chopin, Mendelssohn, Figaro’s Hochzeit, Casta Diva und was sonst noch – ein plattdeutscher Fritz Reuter-Abend. Wohl an zwei Stunden hing die Gesellschaft am Munde des Vorlesers, in stetem Wechsel von heiterem Lachen und tiefer Rührung, die auf allen Gesichtern lag und in leisen und lauteren Ausrufen sich kund gab. Ein eigenthümliches Phänomen aber war es, wie nachher an der mit fürstlichem Luxus servirten Tafel, in einer der gewähltesten Gesellschaften Hamburgs, wo sonst ein unvorsichtig ausgestoßenes plattdeutsches Wort betrachtet wurde wie etwa eine plebeje Matrosen-Theerjacke, die sich in einen eleganten Cercle gedrängt, hinüber und herüber plattdeutsche Scherzworte gewechselt wurden. Selbst junge Damen, denen man noch die französische Pension anmerken konnte, bewiesen ohne Scheu ihre Geläufigkeit im hamburgschen, dem mecklenburgschen geschwisterkindlich ähnlichen „Pladddütsch“, das sie als Kinder noch mit den altbürgerlichen Großeltern, mit Amme und Dienstboten geplaudert. Und je kleiner und rosiger der Mund, um so allerliebster stand ihm das treuherzig neckische Platt.

So weiß Fritz Reuter mit der Wünschelruthe Poesie das Herz des Volkes auch in jenen Schichten zu finden und zu rühren, die als höhere Gesellschaft ihr Leben von dem Leben des Volkes getrennt haben. Was unser Schiller in seinem Liede „An die Freude“ singt:

„Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,“

das gilt auch von der wahrhaften, aus freudiger Seele quellenden Volkspoesie.

Fritz Reuter’s Wohnung am Fuße der Wartburg.

Diese allgemeine Volksthümlichkeit verdankt Fritz Reuter lediglich seinem treuen Humor, der den Kern seines ganzen innern Menschen bildet. Er ist ein echter Poet, weil er ein echter Humorist ist. – Es ist unsern Aesthetikern noch nicht gelungen, den Begriff des Humors in faßlicher, erschöpfender Definition festzustellen; der Humor spottet eben humoristisch der haarspaltenden Gelehrsamkeit, die sein ungebundenes Wesen in ein trockenes Schema hineinzwängen will. Und wenn wir Fritz Reuter selbst fragten, wie er denn eigentlich seinen Humor zu Wege bringt, er würde uns kein anderes Recept geben können, als dieses: „Nimm einen Bogen Papier, eine Stahlfeder oder auch nach Belieben einen Gänsekiel, befeuchte diesen von Zeit zu Zeit mit einigen Tröpfchen Tinte und schreibe nieder, was dir Kopf und Herz dictiren. Punctum!“ Aber was bedarf auch die Welt der Definition des Humors! An seinen Werken erkennt sie den Humoristen, der den schlummernden Humor in ihrem eignen Herzen weckt. Das ist genug. –

Fritz Reuter hat nicht, wie Cervantes, die Welt mit einer unsterblichen, tragikomischen Figur des übermüthigen Humors beschenkt; er hat nicht – um lieber von einem gar trefflichen deutschen Humoristen zu reden – wie Carl Immermann in seinem „Münchhausen“, ein amnuthig inniges Liebesleben von duftig poetischem Hauche in eine Arabeske hineingezeichnet, aus deren wilden Ranken, Blüthen und Blättern uns gar märchenhaft närrische Zerrbilder anlachen. Nirgends in seinen Schriften begegnet uns eine Carricatur, die in allegorischer Uebertreibung der menschlichen Thorheit spottet; nirgends führt er uns Verhältnisse und Schicksale vor, die über die Sphäre bürgerlicher Möglichkeit hinaus sich in’s Abenteuerliche verlieren oder für die nur der Dichter den Glauben seiner Leser fordern kann. Die Menschen, wie sie uns aus Fritz Reuter’s Büchern entgegentreten, kommen uns in ihren Physiognomieen, ihrer Haltung, Sprechweise und ihrem Behaben, selbst in ihrer Kleidung so bekannt vor, als müßten wir sie schon irgendwo gesehen haben, oder als könnten wir denselben jeden Tag begegnen. Auf gleiche Weise nimmt das Schicksal dieser Menschen, das Fritz Reuter im bunten Wechsel von heiteren und ernsten Verwicklungen vor unseren Augen sich abspinnen läßt, den Verlauf eines gewöhnlichen Alltagsschicksals an, wie es nun einmal in den enggezogenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_573.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)