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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 37. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nobles Blut.
Schloßgeschichte aus den Erinnerungen meines Vaters.
(Fortsetzung.)


2. Alte Geschichten des Schlosses.

Der alte Diener Conrad erzählte: „Seit wenigen Wochen sind es gerade fünfzig Jahre, da wurde der Grund zu alle dem Unglück gelegt, das sich so vielfach in diesem Schlosse zugetragen hat. Damals lebten zwei Brüder auf Frankenfelde, die Grafen Curt und Moritz von Frankenberg. Der Graf Curt war der Aeltere, der Graf Moritz der Jüngere. Nach einem alten Rechte des Hauses hätte also der Graf Curt der Herr aller der großen und reichen Frankenbergischen Güter sein müssen, welche die Herrschaft Frankenfelde ausmachen, und Graf Moritz hätte nur eine Apanage bekommen. Es war aber anders; der Graf Moritz war der regierende Herr hier, und der Graf Curt lebte von der Apanage, die ihm der jüngere Bruder gab. Das war so gekommen: der Graf Curt war früh in preußische Kriegsdienste getreten, um in den tapferen Heeren Friedrich’s des Großen sich Ruhm zu erwerben. Schon das hatte sein Bruder ihm verargt. Der Graf Moritz war hochfahrend; ein deutscher Reichsgraf, meinte er, sei eben so gut ein regierender Herr, wie der Markgraf von Brandenburg; wollte er einem Potentaten dienen, so könne es nur ein auswärtiger, oder der deutsche Kaiser sein. Die Religion kam dazu. Der Graf Curt hatte jedoch seinen Willen durchgesetzt, und die beiden Brüder schieden mit erbittertem Herzen. Schon nach drei Jahren kehrte der Graf Curt zurück. In der Schlacht bei Hohenfriedberg war ihm der rechte Arm zerschossen und er hatte seinen Abschied nehmen müssen; er hatte ihn als Major erhalten, in besonderer Anerkennung seiner Tapferkeit. Er kam nicht allein nach Frankenfelde zurück, sondern brachte eine Frau mit und ein Kind, einen Knaben von dreiviertel Jahren. Nun war aber die Frau eine Bürgerliche, die Tochter eines Advocaten in Sachsen, in deren elterlichem Hause der junge Officier schon in dem ersten Feldzuge des Königs, als er in einem Gefecht verwundet worden, Pflege und Heilung seiner Wunden erhalten hatte. Er hatte die junge Dame geliebt und sie ihn, und sie hatten sich geheirathet. Dabei hatten sie an Eines nicht gedacht, oder sie hatten nicht besonderen Werth darauf gelegt. Nach den alten Rechten des Frankenbergischen Hauses konnten in die Güter nur Kinder aus ebenbürtigen Ehen succediren; die Gemahlinnen der Grafen von Frankenberg mußten mindestens dem stiftsmäßigen Adel angehören. Die Kinder der bürgerlich geborenen Gräfin konnten also niemals Herren auf Frankenfelde werden, auch der Sohn nicht, den er mitbrachte. Das konnte nur anders werden durch einen ausdrücklichen Vertrag der beiden Brüder, durch welchen der Graf Moritz die Kinder des Grafen Curt als successionsfähig anerkannte. Die beiden Brüder waren die einzigen Lebenden des Frankenbergischen Mannsstammes. Zu dem Vertrage wollte der Graf Moritz sich nicht herbeilassen. Ein ganzes Jahr lang suchte der Graf Curt ihn dazu zu bestimmen. Es war vergeblich. Der Graf Moritz berief sich auf sein Recht und heirathete auf dieses Recht ein Fräulein aus einem alten Hause, deren Kinder künftig die einzigen rechtmäßigen Frankenbergischen Erben und Herren sein mußten. Starb dagegen der Graf Curt, so hatten seine Wittwe und Kinder nichts, sie konnten von Haus und Hof gejagt werden. Da entschloß sich der Graf Curt endlich nachzugeben, und es kam ein Vertrag unter den beiden Brüdern zu Stande, durch welchen der Graf Curt sein Recht der Erstgeburt an den Grafen Moritz abtrat, wogegen dann dieser die Kinder des Grafen Curt als aus standesmäßiger, ebenbürtiger Ehe geboren anerkannte. Die Folge war, daß jetzt zwar in erster Linie die Söhne des Grafen Moritz zur Succession und Regierung kamen, daß aber, wenn der Graf Moritz ohne männliche Nachkommen starb, die Güter an die Söhne des Grafen Curt zurückfielen. Nun begab sich aber Folgendes: Die Gemahlin des Grafen Moritz gebar ihm nur ein einziges Kind, und das war eine Tochter. Die Gemahlin des Grafen Curt war zwar nach einigen Jahren gestorben, ohne daß sie außer dem einzigen Sohne noch Kinder zur Welt gebracht hätte; aber dieser Sohn war als ein kräftiger und prächtiger Knabe herangewachsen. So war das Jahr 1758 gekommen, und in ihm ein Tag, der mir keinen weiteren Tag meines Lebens aus dem Gedächtnisse gekommen ist. Ehe ich von ihm erzähle, muß ich Sie noch mit ein paar Umständen bekannt machen.

Der Graf Moritz war immer ein hochfahrender, gewaltthätiger und dabei mißtrauischer und argwöhnischer, finsterer Herr gewesen, und die Wahrheit zu sagen, die Leute hatten wohl Recht, wenn sie von ihm meinten, er habe kein gutes Herz. Er behandelte auch seine Gemahlin nicht gut, und ich habe manchmal selbst gehört, wie er ihr vorwarf, daß sie keine Liebe zu ihm habe. Dazu kam, daß sie ihm nur die eine Tochter, keinen männlichen Erben geboren hatte. Die Gräfin war eine zarte Dame; sie hatte das beste Herz von der Welt. Die Behandlung ihres Gemahls machte sie unglücklich, menschenscheu, sie verließ fast ihre Zimmer nicht, und die einzigen Menschen, die sie sah, waren ihre Tochter, ihr Neffe und ihr Schwager, der Graf Curt. Auch der Graf Curt war nicht glücklich. Der Verlust seiner Gemahlin, die er so innig liebte, hatte ihn schwer und hart angegriffen; er hatte ihn nie verschmerzen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_577.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)