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können, denn er hatte ein weiches gutes Herz. So war es natürlich, daß die Beiden, der Graf Curt und seine unglückliche Schwägerin, oft zusammen waren und auch beieinander Trost fanden. Es war in allen Ehren, ich schwöre es Ihnen zu, Herr Pater. Der Graf Moritz war dennoch eifersüchtig geworden. Es war auch natürlich bei seinem argwöhnischen Charakter, und bei seinem finsteren, verschlossenen Wesen wußte er es auch zu verbergen. Man sah nur, daß er einen tödtlichen Haß gegen seinen Bruder hatte. Das konnte aber auch einen andern Grund haben. Der Graf Curt war von Jedermann im Schlosse geliebt und verehrt; der Graf Moritz mußte sehen, daß er nur scheu gefürchtet war. Dazu hatte er keine männliche Nachkommen, dem Grafen Curt wurde der Sohn immer frischer und blühender. Noch mehr haßte er diesen Sohn, der nun doch künftig hier Herr, der, mit Ausschließung seiner eigenen Tochter, sein Erbe werden sollte. Und der junge Graf Adolph und die Tochter des Grafen Moritz, die Comtesse Caroline, waren immer beisammen, waren unzertrennlich, wenn ihr strenger Vater sie nicht auseinanderriß, und hatten, wenn er sie getrennt hatte, keine Ruhe und mochten nicht essen und nicht trinken, bis sie wieder zusammen waren.

Der Graf Moritz haßte den Knaben um so mehr. Wo er ihn sah, tadelte, schalt, schimpfte er ihn. Der junge Graf Adolph war stolz, ehrgeizig. Er weinte oft Thränen des Zornes, der Wuth über solche Behandlung des Oheims, und er haßte den Mann, der ihn so behandelte, vielleicht mehr, als dieser ihn. Der Oheim hatte ihn einmal mit Ohrfeigen bedroht. Ich vergesse es nicht, wie der junge Herr da mit dem verweinten und blassen Gesichte zu mir kam, um sein Herz gegen mich auszuschütten, und wie er in seinem Zorne rief: ,Wenn er mich anrührt, so schieße ich ihn oder mich todt!’ Nur die Comtesse Caroline, die ihm nachgeschlichen war, um ihn zu trösten, konnte ihn wieder aufrichten. Der junge Herr war damals bald vierzehn, die Comtesse war eilf Jahre alt. Sie waren Beide ein paar so schöne, brave und liebe Kinder. Ein Jahr nachher passirte das, was ich Ihnen nun erzählen will.

Es war an einem warmen Maitage. Der Graf hatte den ganzen Tag in seinem Zimmer zugebracht. Sein Zimmer war in dem alten runden Thurme, oberhalb des Schlosses, an dessen Thür ihn vorhin der Herr Doctor mit dem Schlüsselbunde gesehen hatte. In den Thurm hatte er sich schon seit Jahr und Tag zurückgezogen; er war seit Jahr und Tag immer finsterer und verschlossener geworden; er mochte Niemanden mehr sehen. Da hatte ich ihm in dem Thurme eine Treppe hoch ein Zimmer einrichten müssen. Ich war schon damals sein Kammerdiener. In dem Zimmer vergrub er sich Tag und Nacht, Wochen lang, Monate lang, ein ganzes Jahr lang. Nur selten verließ er es, um des Abends, wenn Alles still und dunkel war, einen Spaziergang in den Park zu machen. An jenem Tage hatte er es schon vor dem Abende verlassen. Es fiel mir auf, daß er so früh ging, und ich fühlte eine gewisse Unruhe, da er mir so besonders finster vorgekommen war, als ich ihm beim Ankleiden half. Ich sah ihm nach, wohin er ging. Er begab sich in den Park und ging dort eine Weile in tiefen Gedanken unter den Schloßfenstern auf und ab. Die Fenster des Grafen Curt lagen nach dem Park hin. Ich meinte ein paar Mal zu sehen, wie er nach diesen Fenstern hinaufblickte. Nach einiger Zeit schritt er weiter in den Park hinein. Ich wartete wohl noch eine halbe Stunde; als er immer nicht zurückkam, dachte ich, er sei in den Wald hinter dem Park gegangen, was er auch auf seinen Abendspaziergängen zu thun pflegte, und ging endlich in meine Stube, wo ich zu arbeiten hatte.

Ich war noch nicht lange dagewesen, als ich plötzlich einen Schuß hörte. Meine Stube war in dem Nebengebäude, gerade dem oberen Ende des Schlosses und dem runden Thurme gegenüber. In dieser Gegend war der Schuß gefallen. Ich erschrak. Da war ein Unglück geschehen, wenn nicht etwas noch Schlimmeres. Ich eilte zu dem Thurme. Auf dem Hofe standen mehrere Diener, sie sprachen untereinander mit verstörten Gesichtern. Sie hatten ebenfalls den Schuß gehört, in der Gegend des runden Thurmes sei er gefallen, ob in dem Thurme selbst oder dicht neben ihm im Schlosse, wußten sie nicht. Zu dem Thurme oder in das Schloß zu gehen, wagten sie nicht. Bei dem gewaltthätigen Charakter und bei der Stimmung des Grafen fürchteten sie für ihr Leben, wenn sie auf ihn trafen. An etwas Schreckliches dachten sie wohl Alle. Ich mußte wissen, was geschehen war, und ging zu dem Thurme. Die einzige Thür, die von außen hineinführt, war verschlossen. Der Thurm steht aber mit dem Schlosse in Verbindung; er ist unmittelbar an dieses angebaut, und eine Thür führte aus einem Gemache seines ersten Stockes in einen Corridor des Schlosses. So war es damals. Das Gemach hatte der Graf zu seinem Schlafzimmer genommen; es war mit seinem Wohnzimmer durch eine Thür verbunden. An dem Corridor des Schlosses aber lagen die Zimmer der Gräfin, seiner Gemahlin. Das fiel mir auf einmal glühend heiß auf die Seele. Ich eilte in das Schloß und flog die Treppe zum ersten Stock hinauf, in den Corridor hinein, Niemand begegnete mir, es war überall still. An jenem Corridor wohnte keine Dienerschaft; diese saß überdies gerade beim Abendbrod in einem andern entfernten Flügel des Schlosses, wo sie den Schuß wohl hatten überhören können. Ich eilte weiter in den Corridor und kam bis in seine Mitte. Da öffnete sich hinten an dem Ende eine Thür. Es war die Thür des runden Thurmes. Der Graf Moritz stand in der Thür. Es war noch hell, auch in dem Gange. Das Gesicht des Grafen war leichenblaß; seine Hände –“

Der alte Diener unterbrach sich in seiner Erzählung.

„Der Hund heult, der Hannibal. Was mag das sein?“

Man hörte einen Hund unten im Hofe heulen. Mit einem Male war es still. Der Diener schüttelte den Kopf.

„Der Alte hat etwas vor – auch heute wieder. Das Heulen war am Thurme, also ist er dort wieder oder noch immer. Was kann er da suchen? Der Graf Adolph hatte doch den Hund eingeschlossen. Das Herz will mir beinahe so schwer werden, wie an jenem Abende vor fünfzig Jahren. Und auch der Doctor und der Hauptmann kommen noch immer nicht zurück. Wo sie nur bleiben mögen da unten in dem geheimen Gange? Sie könnten längst wieder hier sein.“

Plötzlich erschrak der alte Mann.

„Wenn sie überfallen wären! Wenn der Louis die Franzosen schon hingeführt hätte! Es ist ein frecher, listiger, gewandter Schurke. Großer Gott, sie könnten dann im nächsten Augenblick schon in dem Zimmer der Kranken sein, den Freiherrn überraschen und überfallen, wie die Beiden da unten!

Er horchte. Es war Alles still und war auch still gewesen. Seine Angst hatte ihn getäuscht, wie er selbst sagte.

„Ich war närrisch. Der Hauptmann und der Doctor sind Beide klug und vorsichtig. Und wenn auch Einer von ihnen hätte können gefangen werden, der Zweite wäre um so gewisser entkommen. Und wie sollte der Louis da unten Alles so genau kennen?

Der Hauptmann hat Recht: man muß nicht immer gerade das Schlimmste fürchten. Lassen Sie mich fortfahren, Herr Pater.

Ich sah den Grafen Moritz, erzählte ich Ihnen. Er stand in der Thür des Thurmes. Er war herausgetreten, als er meinen Schritt in dem Gange gehört hatte, und hatte die Thür hinter sich zugezogen. Er sah schrecklich aus. Sein Gesicht war kreideweiß; seine Hände waren blutig. In der einen Hand hielt er ein Pistol.

,Was willst Du hier? Zurück!’ rief er mir entgegen.

,Gnädiger Herr Graf –’ sagte ich.

Er erhob das Pistol. ,Zurück!’ rief er noch einmal. Er war mein Herr. Er hätte mich niedergeschossen, wenn ich einen Schritt weiter gegangen wäre. Ich kehrte also um; nur langsam.

Plötzlich hörte ich ein Stöhnen da hinten; es schien aus dem Thurme zu kommen. Der Graf stand noch immer an der Thür, die er nur hinter sich zugezogen hatte. Der Schreck lähmte mir die Füße – ich blieb stehen.

,Willst Du einen Schuß in die Beine haben, um fortzukommen?’ rief der Graf.

Ich eilte fort, aus dem Schlosse, auf den Hof. Die Leute standen noch da und warteten auf meine Rückkehr. Sie mußten mir ansehen, daß etwas Entsetzliches geschehen sei. Aber ich durfte ihnen nichts sagen. Was es war, wußte ich ja auch selbst nicht.

,Geht an Eure Arbeit,’ sagte ich ihnen, ,damit kein Unglück passirt.’ Sie gingen, und ich kehrte in mein Stübchen zurück. Arbeiten konnte ich nicht wieder. Auch die Andern konnten es wohl nicht.

Ich wollte beten, aber ich konnte auch das nicht, die Angst ließ mir keine Ruhe. Ich mußte nur immer horchen und nach dem Thurme mir gegenüber, nach den Fenstern des Schlosses in der Nähe des Thurmes sehen. Ich sah und hörte nichts. Was

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