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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Nichts kann für die schöne Eigenschaft des Goethe’schen Gemüths und Geistes, auch dem Fremdesten sein Recht werden zu lassen und jeder noch so wunderlichen Individualität nicht nur gleichmütiges Ertragen, sondern auch liebevolles Eingehen auf ihre Eigenart zuzuwenden, deutlicher zeugen, als die nahen herzlichen Beziehungen, in welche er sich alsbald zu dem seltsamen und originellen Manne gesetzt hat. Der leidenschaftliche rücksichtslose Ketzer, den Hamburg und Lübeck in den allerchristlichsten Bann gethan hatten, der cynische Verächter jeder geselligen Rücksicht, der rauh und höhnisch, muthwillig selbst das Wohlwollen zerstörte, das ihm und seinem großen Unternehmen, der Reform des Erziehungs- und Unterrichtswesens, entgegengebracht wurde, dieser unreinliche, schönheit- und grazienlose Antagonist seiner eigenen Natur, wurde ihm schnell genug Object eines kaum minder warmen und lebendigen Interesses, als das, mit welchem er den schwärmerischen, glaubensseligen, an Leib und Seele edel und zart gebildeten Schweizer Propheten umfaßt hielt. Basedow hatte damals eben sein berühmtes „Erziehungswerk“, das „Elementarbuch für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde“ mit den Chodowieckischen Kupfertafeln zum Abschluß gebracht, das im Lauf desselben Jahres in Altona erschien. Von thätigen und begeisterten Förderern seiner philanthropischen Lehren in ganz Europa bereits mit bedeutenden Summen zur Ausführung dieses Werks unterstützt, bereiste er nun Deutschland, um mehr und mehr noch die Herzen und ebenso die Beutel zu weiterer Unterstützung der großen Sache, besonders behufs ihrer thatsächlichen praktischen Verwirklichung und Erprobung, zu erschließen. Goethe’n wollten seine Pläne wenig einleuchten, und verkehrter erschien ihm noch die oft so widersinnige Art, mit welcher Basedow seine Gönner weit eher tief zu verletzen, als ihre Gunst zu steigern oder neue bei den Menschen zu erwerben bemüht erschien. Aber das so wenig, als seine mancherlei höchst widerlichen Manieren, selbst die ihn ewig umhüllende Wolke von schlechtem Tabaksqualm und der entsetzliche „Stinkschwamm“, mit dem er seine Pfeife anzündete, konnten ihm die Benutzung der „herrlichen Gelegenheit, sich, wo nicht aufzuklären, doch gewiß zu üben,“ verleiden. – In einem Wagen fuhr er mit ihm in die sommerliche schöne Welt hinein. In Ems fanden sie Lavater; auch dieser bei aller Glaubensstärke und Leidenschaft so milde Mann weiß den Cyniker mit den kleinen scharfen schwarzen Augen unter struppigen Brauen, dem höhnischen Lachen, der rauhen Stimme, der schlechten Perrücke auf dem trotzigen Kopf wohl zu ertragen und in seiner Tüchtigkeit zu schätzen. Die seltsam zusammengefügten Drei leben in bester Eintracht ein an Genuß und hochfliegender Geisteserregung überreiches Leben.

Mit fast jugendlichem Behagen, das jeden Leser mit ergreift, schildert der sechzigjährige Dichter die Scenen jener tollen Tage seiner brausenden Jugend, die Lust, den Uebermuth, mit dem er den süßen Schaum des Daseins schlürfte, und die herrliche feurige Rüstigkeit des Geistes, die ihn in jeder Pause „nach rasch durchrastem Tanze“ auf der Stelle im tabaksqualmigen Zimmer des Philosophen alle höchsten Fragen des Gedankens zu discutiren befähigt. Sie fahren zusammen die Lahn herunter. In Koblenz, wo sie landeten, war der Zudrang groß, jede der drei Berühmtheiten erregte in ihrer Art Antheil und Neugierde. Dort an der Mittagstafel des Hotels fand jene heitere charakteristische Scene statt, welche unser Holzschnitt illustrirt, anlehnend an Goethe’s eigne poetische Schilderung derselben in Knittelversen, welche sie unsterblich gemacht hat.

„Zwischen Lavater und Basedow saß ich bei Tisch meines Lebens froh.“ Ersterem mochte der zudringende Eifer seiner Verehrer und Verehrerinnen nur geringe Muße lassen, sich mit dem Hauptzweck eines Diners zu beschäftigen. Mit „einem Pfarrer an seiner Seit’“ ist er gar bald in eifrigen Erörterungen begriffen. Ueber dem unerschöpflichen Lieblingsthema aller inspirirten Propheten, der Offenbarung Johannis, dem Buch mit sieben Siegeln, hat er schnell genug Speise und Trank vergessen; er „entsiegelt die Siegel kurz und gut, wie man mit Theriaksbüchsen thut,“ und malt das ganze himmlische Jerusalem, als ob er es gemessen und aufgenommen hätte, „dem hocherstaunten Jünger vor“. Wie mögen die anwesenden frommen und schönen Seelen, Damen und Cavaliere, sich um den vom Herrn Berufenen und Erwählten geschaart und dem sanften Strom seiner heiligen Rede gelauscht haben! Sein junger übermüthiger Freund an seiner linken Seite aber „war indeß nicht weit gereist, hatte einen Salmen aufgespeist.“ Und diesem wieder zur Linken war auch Vater Basedow auf sein altes Steckenpferd gestiegen, hatte „einen Tanzmeister an seiner Seit’“ gepackt und all seine verfehmten und verdammten Ketzereien über die Kindertaufe und andere Dogmen zum Entsetzen der rechtgläubigen Seele dieses und der übrigen Tischnachbarn ausgekramt. Alle Protestationen: „es wüßte ja ein jedes Kind, daß es in der Bibel anders stünd“, verfangen nicht gegen den heterodoxen Eiferer, und – auch er hat Glas und Teller kaum berührt, während der große Realist neben ihm „behaglich unterdessen hat einen Hahnen aufgefressen.“

„Und nun nach Emmann weiter ging’s
Mit Geist- und Feuerschritten.
Prophete rechts, Prophete links,
Das Weltkind in der Mitten.“

so schrieb er gleich darauf in ein Stammbuch und bewahrte uns so für immer die Erinnerung an diesen „wunderlichen Mittagstisch“ und an die Laune und überschäumende Jugendlust des „herrlichen Gottesmenschen“, der dort zu Tafel saß. –

Welche verschiedene Bedeutung für die Nachwelt war dem in Koblenz schmausenden Triumvirate bestimmt! Lavater, der schwärmerisch Verehrte, der Vielumdrängte, der Angebetete, ist schon lange vergessen, sein großes Werk, die Arbeit seines Lebens, verstaubt ungelesen in den Bibliotheken; Basedow, der feurige, excentrische Jünger Rousseau’s, der Vorläufer Pestalozzi’s – wer denkt noch seiner, wenn auch manche seiner Ideen und Anregungen uns zu gute gekommen sind und fruchtbringend wirken für die Generationen nach uns, – das Weltkind aber, das in Mitten saß, zwischen dem Propheten rechts und dem Propheten links, der überschäumende junge Frankfurter Doctor Juris und Advocat, ist unser gewaltiger Dichterkönig geworden, der nimmermehr vergessen und – nimmermehr übertroffen werden wird, so lange die deutsche Zunge klingt.




Die Poesie unserer vier Wände.
Der kleine oder häusliche, der gelehrte, der gemüthliche und der elegante Comfort.


Ein verdienter Arzt hat in diesen Blättern in umfassender Weise dargelegt, wie unsere Wohnungen den Anforderungen der Gesundheitspflege gemäß einzurichten sind, wir wollen nur davon sprechen, wie wir sie schön und bequem einrichten können; also dort ärztlich, hier ästhetisch, wird Rath ertheilt. Nichts wäre thörichter, als Jedem denselben Comfort zur Bedingung zu machen; das hieße Jedem anrathen denselben Schnitt des Kleides anzunehmen, unbeachtet ob er für seinen Körper passe, oder es hieße auch behaupten, eine gute Wohnung sei nur in einem Exemplar vorhanden, da sie es doch in tausenden ist, denn die Regeln der Schönheit und des Nutzens sind in unendlich kleine Theile auflösbar und bleiben doch immer Regeln der Schönheit und des Nutzens. So wohnt ein Gelehrter ganz anders schön und bequem als ein reicher Lebemann, und dieser wieder anders, als ein feiner Kunstkenner und Sammler, und von der Wohnung des letztern unterscheidet sich die gute bürgerliche Ausstattung, die man auch die häusliche nennen kann, denn in ihr tritt das „Haus“ am deutlichsten hervor, mit so wenig als möglich Benutzung von Luxus- und Ueberfluß-Elementen. Es sei uns erlaubt vier Arten schöner und zweckdienlicher Behausungen anzugeben, oder vier verschiedener Comforts: erstens den kleinen oder häuslichen Comfort, zweitens den gelehrten, drittens den gemüthlichen, und viertens den eleganten Comfort. Alle diese vier Arten sind in unserer modernen Stubenexistenz auf gleiche Weise vertreten, und wir würden sehr Unrecht thun, wollten wir eine auf Kosten der anderen beeinträchtigen oder herabsetzen; sie sind alle gleich beachtenswerth, und jede fordert, daß man sie recht auffasse und darstelle.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_599.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)