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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der häusliche oder bürgerliche Comfort besteht in der Einrichtung eines Hauses vollkommen den Bedürfnissen gemäß, die ein wohlgeordneter, auf mittlen Wohlstand gegründeter und durch Ausübung irgend einer erwerblichen Thätigkeit erhaltener Hausstand bedingt. Hier ist Zweckmäßigkeit jeder Einrichtung die erste Pflicht, und Ordnung und Sicherheit sind die zunächst zu beachtenden Erfordernisse. Doch läßt sich auch hier ein Comfort denken, der das Vorhandene und Unabweisbare so ordnet und zusammenstellt, daß dem Gesetze der Schönheit und der Bequemlichkeit genügt wird. Niemand wird im Hause eines kleinen Handwerkers oder niedern Beamten den Kupferstich nach der Sixtinischen Madonna suchen, aber wohl wird das Auge eine reinliche, gut erhaltene Wand vermissen, wenn sie fehlt. Fauteuils und Chaiselongues sind nicht am Platze, dagegen ziert das Gemach ein gutgearbeiteter, sauber überzogener Sorgenstuhl für den Vater, und zwar an das helle Fenster gerückt, damit der Blick des ermüdeten Mannes, der aus der Enge des Bureaus oder aus dem Wust und Getriebe der Werkstätte kommt, sich an dem freien Blick auf das Gärtchen am Hause oder, wo dieses nicht vorhanden, auf das bunte Treiben der Straße erholen kann.

Die Hausfrau stattet sich ihre Kammer nach eigenem Geschmack aus; die reinlichen Wandschränke, welche die Producte des Fleißes und der Sparsamkeit einschließen, glänzen nicht von Palissander und Mahagoni, wohl aber von festem Eichen- oder anderem sauber gehaltenen und frischpolirten Holze. Der Raum dieser Kammer ist klein; dennoch aber sind die Gegenstände, die darin stehen müssen, weil in den anderen Zimmern für sie kein Platz ist, so vertheilt und jeder freie Raum so sorgsam für sie benutzt, daß sie dem Auge einen angenehmen Eindruck machen. Man erblickt sofort, daß hier Zweckmäßigkeit zugleich mit dem Bestreben waltet, das Gefällige und Zusammenstimmende durch Entfernung jeder Ueberladung und Zerstückelung hervorzubringen. Der Weg durch alle Zimmer ist frei; nirgends steht ein ungehöriges Möbel in der Mitte der Stube, oder ist so gestellt, daß der Herumwandelnde an eine scharfe Kante sich stoßen kann. Die kleinen Vereinigungsplätze der Familie können auch im Dämmerlichte gefunden werden. Der Blumentopf am Fenster hat seinen bestimmten Platz, über ihm der Käfig mit dem Vogel, und zwar hängt der Käfig so, daß selbst der Vater, wenn er den Hut auf hat, nicht daran stößt; denn nichts ist widriger als mit dem Hut, wenn er gar noch ein neuer ist, an irgend ein Ding zu rühren, das zu niedrig herabreicht.

Zum Comfort eines solchen Hauses gehört, daß die Thüren und Fenster gut schließen, denn weder will man den Lärm von der Straße, noch deren Staub im Hause haben. Der eine Ofen, der die ganze Familienstube erwärmt und wohl auch als Filialinstitut ein paar Schlafkammern nebenan, ist von eben so kernhafter Constitution wie von erprobter Tüchtigkeit. Er ist in Wintertagen die Stütze des Hauses und der Hauptträger des Comforts. Nirgends sitzt die Hausfrau lieber, als auf dem zierlichen Armstuhl aus Korbgeflecht, der sammt dem Bänkchen, das zu ihm gehört, seinen bestimmten Platz in einiger Entfernung vom Ofen hat und ebenso wenig aus der Stelle gerückt werden darf, wie der Sorgenstuhl des Vaters. Da kein eignes Garderobe- und Toilettenzimmer da ist, so hängen die nothwendigen Kleidungsstücke für den Hausvater so, daß er sie auf kürzestem Wege erreichen und der wärmende Hausrock so schnell wie möglich den abgelegten Straßenanzug ersetzen kann; die Pantoffeln haben ihre eigene Stelle, so wie das Käppchen immer über derselben Stuhllehne, leicht erfaßbar, hängt. Für den Gast giebt es besondere Plätze, ein Stuhl der herangeschoben wird und der seinen Platz wieder an der Wand oder in der Ecke einnimmt, wenn der Gast fort ist. Auch dem Gaste muß behaglich zu Muthe werden, der Geist der Ordnung, der Ruhe, der Bequemlichkeit muß selbst wider Willen den umherfahrendsten, unruhigsten und unordentlichsten Gast fesseln. Das ist der Segen des Comforts, daß er jede häusliche Tugend begünstigt. Ein Mann, der in seinem Hause sich wohl fühlt, wird nicht streben außer demselben seine müßige Zeit zuzubringen, und schon in diesem Umstand allein liegt ein Segen für jede Familie und jeden häuslichen Verein.

Wir wollen unsere kleinbürgerliche Wohnung noch weiter betrachten. Sollen wir Gemälde in Rococorahmen, Spiegel in Bronze-Einfassungen hineinwünschen? Gewiß nicht, denn der schlechteste Bronzerahmen fordert schon zur Gesellschaft eine Tapete, ein Spiegeltischchen, eine Console und Portieren, und all dieser Plunder macht mit einem Schlage die ganze gute Einrichtung unseres Mannes zu nichte. Sei es immerhin, daß die Menge der Fabriken diese Luxusgegenstände jetzt für so geringen Preis liefert, daß selbst ein knapp zugeschnittener Haushalt sie allenfalls noch erreichen kann; doch sie sind in dem Maße schlecht, wie sie billig sind, und vor allen Dingen gehören sie nicht zum Comfort eines solchen Hauses. Aber was unser Mann sich anschaffen kann und anschaffen muß, sind gute, derbe, handfeste Möbeln, helle und große Fensterscheiben, glatte reinliche Wände, weiße Vorhänge ohne allen Flittertand, frisch erhaltene Fußböden, hier und da, namentlich bei dem Sorgenstuhl des Vaters und unter dem Tische, an dem die Familie gewöhnlich zu Mittag und zu Abend Platz nimmt, mit Teppichen belegt; denn eine warme Fußdecke ist kein Luxus, sondern gehört zum Comfort.

Ein paar gute Lithographieen, dazu die photographirten Portraits des Hausherrn und seiner Frau, geben der Wand einen Schmuck, der vollkommen dem Orte gemäß ist. Eine Landkarte, besonders eine Specialkarte des Heimathlands oder vom eben existirenden „Kriegsschauplatze“, ist, in dem bescheidenen Winkel am Ofen angebracht, ein gar anmuthiges warmes Belehrungs- und Zerstreuungsplätzchen, wo der emporwachsende Sohn des Hauses bald diese, bald jene Straße und Stadt aufsucht, die er einst auf seiner Wanderschaft zu besuchen gedenkt, oder das Gespräch mit dem Gaste sich, wie dies in der Regel geschieht, auf die Tagesgeschichte verläuft, auf Siege und Niederlagen. Da ist die Karte nun wieder ein trefflicher Wegführer, während die Mutter aus dem reinlichen und gut gelüfteten Eckschrank die Kaffeetassen herablangt und damit jenes vielsagende und wohlklingende Geklapper anfängt, welches auf baldige Genüsse deutet. Dies ist ein bürgerlicher oder häuslicher Comfort, der in seinen Grenzen streng eingehalten werden muß. Er würde ja sogleich seinen Charakter verlieren, wenn er nur ein Geringes in die anderen Arten des Comforts hinüberspielte, namentlich sich gelüsten ließe, in den eleganten Comfort hinüberzugreifen; denn dieser ist, wie wir zeigen werden, nur mit großem Reichthum erreichbar, seine kleinliche Nachahmung aber bringt überall das Fratzenhafte, Ungehörige, Unbequeme und Geschmackwidrige hervor.

Wir fassen jetzt die zweite Gattung Comfort, den gelehrten, in’s Auge. Der Hauptsatz, der gleichsam als Motto an der Thür steht, lautet: Hier heißt Ordnung, was überall anderswo Unordnung heißt. In diese Stamm- und Urregel des gelehrten Comforts müssen wir uns vor allen Dingen fügen, wenn wir ein Wort über diesen Gegenstand sprechen wollen. Der gelehrte Comfort ist ein schreiender Contrast zu dem vorhergeschilderten bürgerlich-häuslichen. Dort ist Alles Ruhe, Ordnung, Sicherheit; hier Unruhe, Unordnung, Unsicherheit, und doch ist’s ein Comfort, das heißt Der, welcher hier wohnt, will gerade so wohnen und nicht anders, sein Zimmer ist also sein Kleid, und wo das Zimmer das Kleid ist, da ist Comfort vorhanden. Versucht es, rückt einen Stuhl an die Wand, wo er eigentlich hingehört, legt ein Convolut Papier auf den Tisch, statt daß es auf dem Boden liegt, und ihr werdet sehen, mit welcher feurigen Miene des Zorns der Gelehrte, der von einem Gange heimkehrt, sein Zimmer betritt. Das Erste ist, daß er das Convolut wieder auf den Boden schleudert, den Stuhl in die Mitte des Zimmers rückt. Versucht es, einen Vorhang am Fenster zu befestigen, wählt ihn von dem schönsten Stoffe, und ihr werdet erfahren, daß der Gelehrte, so wie ihr den Rücken gekehrt habt, mit Gefahr seines Lebens auf zwei aufeinander gestellte Tische klettert, um mit eigenen Händen den Vorhang herabzureißen, der ihm das Zimmer verfinstert und gerade an die Stelle der Wand einen Schatten wirft, wo eine kleine Copie nach Murillo hängt, auf die er zwar nie seinen Blick richtet, die aber doch sichtbar sein muß, im Fall es ihm einfiel, jemals den Blick dahin zu lenken. Und überhaupt, was ist einem Gelehrten ein Vorhang? Ein lästiger Lappen, der hin- und herschwankt und im Winde sich aufbauscht wie ein Segel, wenn er nicht befestigt wird, und er wird nie befestigt.

Alles, was nicht Bücher, Manuscripte, Sammlung, Curiosität ist, führt für unsern Mann nur eine störende Existenz herbei. Von einem bequemen Polsterstuhl dagegen ist er ein großer Freund; der muß aber tief und breit sein und auf Rollen stehen, damit man sich mit einem Buche in der Hand hineinwerfen, damit man bald über diese, bald über jene Armlehne das Bein hinüberschwingen kann. Zu Zeiten hockt er mit ganzem Körper im Stuhle, zu andern Zeiten liegt er knieend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_600.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)