Seite:Die Gartenlaube (1864) 611.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Du sprachst von einem edlen Wild und einem gemeinen Vieh, gnädiger Großvater, und dann riefst Du wieder: mein Herr Oberst.“

„Ja, mein Sohn, und der Herr Oberst, der französische Oberst von den Kürassieren, er ist das gemeine Vieh, ein räudiger Hund, der sich in diesem Pavillon versteckt hat –“

„Und der soll darin verbrennen, Großvater?“

„Wenn er nicht herauskommen will!“

„Und wer ist das edle Wild, gnädiger Großvater?“

„Deine Frau, Moritz! Deine erlauchte Gemahlin.“

„Meine Frau hier?“ fragte verwundert der Blödsinnige. „Und nicht in ihrem Zimmer? Es muß ja beinahe Mitternacht sein!“

„Ja, mein Sohn, es ist gleich Mitternacht, und bis in die Mitternacht war Deine edle Frau hier allein mit dem französischen Obersten –“

„Großvater!“ schrie der Blödsinnige auf. „Großvater! Großvater –“

„Komm, mein Sohn, laß uns das Feuer anmachen.“

„Ja, ja! Ja, ja!“

„Ich habe für Alles gesorgt, Moritz. Hier rechts liegt Stroh, hier links ein Reiserhaufen. Feuerzeug habe ich in der Tasche. Tragen wir das Holz und das Stroh zusammen. Legen wir einen Theil an die Thür, den anderen unter dieses Fenster. So kommen sie in ein Kreuzfeuer. Und du, Hannibal, stehst unterdeß auf Wache, und wenn du das Geringste hörst oder siehst, so bist du da, mit deiner Stimme, mit deinen Zähnen, mit deinen Tatzen.“

Er sprach zu dem Hunde, wie er zu dem Blödsinnigen gesprochen hatte. In dem Pavillon hörten sie, wie die beiden Herren geschäftig das Stroh und das Holz zusammentrugen und an die Thür und unter das Fenster legten.

„Großvater,“ sagte der junge Graf dabei, „sie sollen nicht heraus, sie sollen darin verbrennen.“

„Wenn sie so wollen!“ sagte der alte Graf. „Ich hatte es eigentlich anders vor.“

„Nein, nein, Großvater! Ich will das Weib nicht wiedersehen, nie, nie.“

„Einmal noch, mein Sohn, hätte ich mir gedacht.“

„Nie, nie, Großvater!“

Der Blödsinnige war in Wuth. Der Alte lachte heiser in sich hinein. Sie mußten fertig sein.

„Machen wir Feuer,“ sagte der Alte.

Im Pavillon hörten sie draußen Stahl und Stein an einander schlagen. Der Muth des untreuen Weibes hatte nur wenige Minuten anhalten können; es war kein sittlicher Muth; es war der feige Muth des Verbrechens. Ihm folgte die Angst des Verbrechens, dann die Angst der Verzweiflung.

„Wir sind doch verloren!“ jammerte sie. „Es ist Alles vorbei, mein Ruf, mein Leben! Wie werden wir uns retten können? Lebendig hier verbrennen? Zu entkommen suchen? Wie wäre es möglich? Der Alte ist die Bosheit selbst; er war es immer. Des Blödsinnigen hat sich die Wuth bemächtigt; da ist er fürchterlicher, blutgieriger, als jener. Der große Hund –! Was wollte der Wahnsinnige mit mir? Ich habe nicht verbrennen sollen; er habe es anders mit mir vorgehabt! Noch schlimmer, als verbrennen? Und noch einmal habe der Andere mich wiedersehen sollen! Was hatte er vor? Was hat er noch vor, wenn ich hier nicht in den Flammen umkomme? Und es brennt schon! Es brennt! Alphons, was machen wir? Rette mich, rette Dich!“

Es brannte draußen. Man hatte Stahl und Stein aneinander schlagen hören. Eine halbe Minute nachher drang ein heller Lichtstreif durch das Fenster des Pavillons; eine halbe Minute später war es ein heller Feuerschein. Das Stroh mußte lichterloh brennen; das Reiserwerk hörte man knistern. Der Blödsinnige jubelte laut.

„Hei, gnädigster Großvater, wie das lustig brennt!“

„Ja, mein Sohn,“ erwiderte der Wahnsinnige, „es ist ein hübsches, munteres Feuerchen.“

„Und jetzt müssen sie heraus, Großvater, nicht wahr?“

„Ja, mein Sohn, und sie müssen recht bald heraus, wenn sie nicht verbrennen wollen. Der Pavillon ist alt; das Holz daran ist morsch und trocken und fängt Feuer und brennt wie Zunder, die Thür, die Thürpfosten, die Fenstergesimse, das Dach. Ha, an das Dach leckt die Flamme schon heran. Es ist mit Schindeln gedeckt!“

„Alphons, rette uns!“ Die Dame rief es, selbst beinahe wahnsinnig in ihrer Angst, in dem Bewußtsein ihrer ehebrecherischen Schuld, in ihrer Verzweiflung. Sie warf sich in die Arme des Obersten.

„Komm!“ raffte der Oberst sich auf.

Er hatte nachdenkend, dann stillbrütend gestanden. Der frische, offene, tapfere Muth schien ganz von ihm gewichen zu sein. Die Flamme, deren heller Schein durch das Fenster drang, zeigte ein blasses, verstörtes Gesicht, eine Gestalt die sich mühsam mußte aufrecht zu erhalten suchen. Es war ein so kühn und muthvoll geformtes Gesicht, und die Gestalt war so kräftig und edel gebaut. Und an seiner Schulter lag das entstellte, schneeweiße Gesicht, in seinen Armen die zusammengesunkene Gestalt der Frau. Und auch dieses Gesicht trug die schönen und edlen Züge, und die hingesunkene Gestalt zeigte die wunderbar schönen, feinen und runden Formen, mit denen der Schöpfer dieses Weib, gewiß zu einer besseren Bestimmung, ausgestattet hatte.

„Komm!“ raffte der Oberst sich auf. „Hier müssen wir verbrennen. Es ist kein Zweifel. Nur die Kühnheit kann uns retten. Stelle Dich zu mir. Halte Dich an mir fest, mit beiden Armen. Laß mich nicht los. Klammere Dich an mich, wie fest Du kannst. So folge mir. Trenne Dich keine Secunde von mir. Du wärst verloren. Ich würde Dich nicht wieder mit mir vereinigen, an mich zurückziehen können. Ich werde meine Arme zu etwas Anderem gebrauchen müssen. Komm!“

Sie konnte sich an ihm festhalten. Er ergriff wieder seine beiden Pistolen und ging an die Thür des Pavillons. Die Frau schleppte sich mit ihm hin. Er öffnete das Schloß der Thür und riß die Thür auf. Unmittelbar vor der Thür brannte der Reiserhaufen. Rauch und Feuer drangen in den Pavillon.

„Halten Sie sich fest, Madame!“ rief der Oberst.

Nur durch den brennenden Haufen war ein Ausgang. Er mußte hindurch springen.

„Halten Sie sich krampfhaft fest, Madame!“

Er drang in das Feuer und kam hindurch. Aber er war allein hineingedrungen, er stand allein, als er hindurch gekommen war. Die Frau war von allen ihren Kräften verlassen worden, von denen der Seele, von denen des Körpers. Ihre Arme hatten den Mann, der sie befreien wollte, nicht mehr umfassen können. Sie war zurückgesunken und lag halb auf der Schwelle der Thür, halb im Pavillon.

Der Oberst wollte zurück zu ihr. Aber er konnte nicht zurück, er konnte nicht voran. Der große, wilde, kräftige Hund des Grafen hatte ihn gefaßt, war von hinten, ehe er das Thier nur sah, an ihm emporgesprungen, hatte seine Tatzen in seine Schultern geschlagen, zerfleischte ihm mit den Zähnen den Nacken, hing sich mit seiner ganzen Schwere und Kraft an ihn, riß ihn nieder.

„Rühre ihn nicht an, Moritz!“ rief der alte Graf. „ Besudle Deine Hände nicht an ihm. Hannibal, mein Thier, faß ihn – faß ihn.“

Und das Thier zerriß ihn.

„Aber zu ihr, Moritz, mein Sohn! Sie ist ein edles Wild.“

Der Wahnsinnige riß die brennenden Reiser vor der Thür auseinander, um in den Pavillon gelangen zu können. Der andere Irre half ihm. Sie waren fertig. Eine Hetzjagd begann. Die Gräfin hatte sich erhoben. Die furchtbarste Angst des Todes hatte sie ergriffen. Sie war in den Pavillon zurückgeflogen und wollte die Thür hinter sich zuwerfen, aber sie konnte es nicht. Sie wollte wieder niederknieen, der bebende Körper versagte ihr den Dienst. Sie wollte wieder beten. „Großer, allmächtiger Gott –“ Die Zunge erlahmte ihr. Die Gedanken verwirrten sich ihr.

Die beiden Wahnsinnigen waren in das Zimmer gedrungen. Auch den Schwachsinnigen hatte die Wuth des Wahnsinns ergriffen.

„Da ist das ehrlose Weib!“

Er sprang auf sie zu. Sie rannte vor ihm fort, sie rannte in dem engen Raume umher und wollte zu der Thür; darin stand der alte Graf; sie sprang an das Fenster und riß es auf; sie wollte hindurch springen; Rauch und Flammen schlugen ihr entgegen. Sie wollte die Fenster wieder zuwerfen, sie wußte nicht mehr, was sie that. Sie fiel bewußtlos zu Boden.

„Hei, Großvater, ich habe sie!“

„Hebe sie auf, mein Sohn, und folge mir mit ihr.“

„Und der Andere?“

„Hannibal ist mit ihm fertig. Mag er bleiben, wo er liegt. Folge mir.“

„Wohin?“

„Du wirst es sehen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_611.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)