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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

anstrengenden Krankenpflege noch mühsam arbeiten mußten, daß Sie noch außerdem Noth und Sorgen getragen haben!“

Sie schüttelte leise den Kopf und erwiderte: „Noth habe ich wohl nicht gekannt, denn wir hatten alle Tage unsere warme Suppe. Sorgen habe ich wohl zuweilen gehabt, aber ich trug sie für meine Schwester und in dem Gedanken fühlte ich mich gestärkt und meine Kräfte angespornt.“

„Sie waren so einsam und verlassen,“ sagte ich wieder, „haben Sie nie Groll gefühlt gegen die hartherzigen Menschen, die Ihnen keine Hülfe gewährten?“

„Die Menschen sind nicht so hartherzig, wie Sie glauben,“ antwortete sie, „man gab mir überall gern Arbeit und war freundlich gegen mich. Was sollten die Leute mehr thun? Geschenke brauchte und begehrte ich nicht. Und doch bot man mir einmal an, meine sieche Schwester in’s Krankenhaus aufzunehmen. Der Vorsteher, der mir das sagte, sprach freundlich, redete mir zu und setzte mir auseinander, daß es mir zu schwer werden würde die Last allein zu tragen. Da warf ich einen Blick auf meine kranke Schwester, die gespannt den Worten des Mannes zuhörte. Ihre Lippen waren fest aufeinander gepreßt, ihre Züge wie verzerrt, in ihren Augen sprach sich eine ungeheuere Angst aus. Da fühlte ich, es wäre ihr Tod gewesen, wenn man sie von mir getrennt hätte, und ich lehnte das Anerbieten ab.“

„Dann war die Schwester wohl recht dankbar und sanft gegen Sie?“ fragte ich wieder.

„O ja,“ antwortete das Mädchen, „dankbar war sie, sanft eben nicht immer. Sie hatte viele Schmerzen und dann oft böse Stunden, wo sie ungeduldig wurde und ich ihr nichts recht machen konnte. Aber das ging vorüber, dann war sie wieder ruhig.“

Ich erstaunte immer mehr über die einfachen und schlichten Antworten, die ich erhielt. Ich konnte mir nur denken, daß eine recht tief eingewurzelte Frömmigkeit dies Mädchen befähigt habe ein Loos zu tragen, das jedem Dritten als ein hartes erscheinen mußte. Ich fragte sie auch darnach, fragte sie, ob sie nicht in der Kirche sich Trost und Kraft geholt habe. Sie schlug die Augen nieder und sagte leise: „In die Kirche bin ich seit vielen Jahren nicht gekommen. Meine Schwester hatte häufig Krampfanfälle. Nur ich wußte diese zu behandeln, wußte ihr die Lage zu geben, die sie erleichterte, und wußte ihr die Mittel zu reichen, die mildernd wirkten. Da konnte ich mich nicht Stunden lang von der armen Kranken entfernen und sie Gefahr laufen lassen in meiner Abwesenheit ihren Anfall zu bekommen, und so mußte ich die Kirche aufgeben. Der Herr Pfarrer hat das sehr hart aufgenommen und mich bitter getadelt, auch öffentlich über meine Versäumniß der Kirche ungünstig von mir gesprochen. Darum kam er auch nicht zum Begräbniß meiner armen Schwester – und das hat mir sehr weh gethan, denn auch die Nachbarn haben es gescheut den Sarg zu begleiten, weil sie die Vorwürfe des Herrn Pfarrers fürchteten, der ein strenger und eifriger Mann ist.“

Darum also war sie allein hinter dem Sarge hergewankt. Daß sie die christlichsten aller christlichen Tugenden im vollsten Maße übte, galt dem frommen Pfarrer nichts, daß sie aber seine Predigten versäumte, konnte er nicht verzeihen! Ich war ergriffen. Mich drängte es hinaus, um meine Bewegung zur Ruhe kommen lassen. „Die Zeit wird Ihren Schmerz lindern,“ sagte ich, „leben Sie wohl.“

„Glauben Sie das?“ fragte sie einfach, „ich denke nicht. Bin ich doch nun ganz allein. Wenn ich da saß und nähte, sprach ich hier und da ein paar Worte mit Hannchen, ich stand zuweilen auf, um ihr das Kissen zurecht zu legen oder ihr etwas zu reichen, ich begrüßte sie freundlich des Morgens, ich saß bei ihr, bis sie Abends entschlafen war; das Alles ist nun vorbei. Jetzt werde ich Niemanden am Morgen begrüßen, ich werde für Niemanden sorgen können, der Abend wird mir schaurig einsam sein. Davor fürchte ich mich. Es war nur ein armen, gebrechliches Wesen, mein gutes Hannchen, aber ich hatte sie lieb, – nun ich sie verloren habe, bin ich ganz allein, und die Welt kommt mir recht leer und öde vor.“ Sie trocknete ihre wieder hervorquellenden Thränen, ich drückte ihr die Hand und entfernte mich.

Es ist ein herrliches, liebliches Thal, das Saalthal, und lachte mir in voller Frühlingspracht entgegen, als ich es nach allen Seiten durchstrich. Aber oft bei den schönsten Stellen fiel mir die arme Nähterin ein, der ein kummervolles Loos gefallen war und die es nicht nur mit Seelenstärke, die es mit argloser Zufriedenheit trug. Sie meinte, es sei eben recht so wie es war. Ihr blieb Alles versagt, was die Menschen sonst Glück nennen – und sie vermißte es nicht einmal. Kein Neid, kein Groll wohnte in ihrem einfachen Gemüthe, sondern nur die Liebe, und zwar eine Liebe, wie sie nur in einem weiblichen Herzen vorkommt.

So schmerzlich mich die Begegnung berührte, so gehört doch das Bild der armen alten Nähterin zu meinen liebsten Erinnerungen, die nur lebte um ihre Pflicht zu erfüllen, die dieser harten Pflicht ihre schöne Seite abzugewinnen wußte und den bittersten Schmerz empfand, als diese Pflicht ihr abgenommen wurde und sie dabei auch ihre Liebe verlor. „Ich bin ja nun ganz allein und habe Niemanden mehr.“

Ich werde diese Worte niemals vergessen.


Kleiner Briefkasten.


K. in G. Das Comité der Schleswig-Holstein-Lotterie wird nächstens einen ausführlichen Prospekt ihres Spielplans vermittelst der Gartenlaube verbreiten lassen. Sie werden darin Beantwortung Ihrer Anfrage finden.


Zur Nachricht!

Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die fortwährend steigende Auflage unsers Blattes ist uns eine Bürgschaft, daß dasselbe nach wie vor seine Aufgabe mit Glück gelöst hat und noch immer ein Liebling der deutschen Lesewelt geblieben ist. Auch im nächsten Quartal hoffen wir die Erwartungen des Publikums zu erfüllen und erlauben uns aus dem reichen Schatze von literarischen und artistischen Beiträgen aller Art, über die wir zu gebieten haben, nur einige wenige der zunächst zum Abdrucke kommenden zu nennen.

Außer den bekannten Beiträgen einen Bock, Roderich Benedix, H. Beta, Guido Hammer, Moritz Hartmann, Alfred Meißner, Max Ring, Julius Rodenberg, Fr. Spielhagen, Theodor Storm, Temme u. a. m. erwähnen wir die nachstehenden:

Der böse Nachbar. Erzählung von Levin Schücking. – Er kommt nicht! Novelle von C. A. Heigel. – Der baierische Hiesel. Bild aus dem Volksleben. Von Herman Schmid. – Der Urmensch. Von Karl Vogt. – Der Vogelfreund im Priesterkleidn. Von Brehm. Mit Illustration, nach einem Aquarell von Werner. – Glanz und Elend. Böhmisches Industriebild. – Die Wiesbadener Spielhölle. Zweite Enthüllung. Von Paul Frank. – Ein seltener Mönch. Von Gustav Steinacker. Mit Illustration. – Sonntagsidyll aus dem baierischen Hochlande. Von Ludwig Steub. Mit Illustration von Theodor Pixis. – Aus der Turnhalle. Von Georg Hirth. – Eine Fahnenweihe zu Athen, im Mai 1864. – Ein Wasserbahnbrecher. Von Fr. Hofmann. Mit dem Portrait von Karl Heine. – Ein Tag im Harem. Mit Illustrationen nach persischen Originalbildern. – Das Freitagsgebet des Sultans. – Geschichten und Skizzen aus Paris. Vom Verfasser der „lebenden Bilder aus dem modernen Paris“. – Der Segen des Mansfelder Bergbaus. Mit Illustration. – Ein französischer Oppositionsmann. Von Schmidt-Weißenfels. – Aus den Sclavenstaaten. Von einem reisenden Naturforscher. 1. Der Negerball. – In der Liedertafel. Mit vielen Illustrationen. – Die Amazonen. Von Otto Ule. – Palast Vendramin in Venedig. Ein Reliquiencabinet der Herzogin von Berry. Von Georg Hiltl. – Der Faustthurm in Schwaben. Mit Illustration von Theodor Pixis. – Schiller’s Räuber im Walde von Stuttgart. Von Karl Schöll. Mit Illustration nach Heideloff von Paul Thumann. – Eine Felsencolonie ungarischer Winzer. Mit Illustration. – Erinnerungen an Herloßsohn. Von Ferdinand Stolle. – Federzeichnungen aus Thüringen. Von Ludwig Walesrode. II. Der Naturmörder. – Burgherr und Sammler. Von Ludwig Storch. Mit Illustration. – Eine Tochter Nürnbergs. Deutsches Culturbild. – Eine leichte Person. Wiener Reminiscenz. Von Albert Traeger.

Daß wie immer

den Tagesereignissen und Zeiterscheinungen

eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden wird, bedarf keiner ausdrücklichen Betonung.

Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.

Leipzig, im September 1864.

Die Verlagshandlung von
Ernst Keil. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_624.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)