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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

geblieben, wurde entfaltet. Inzwischen hatte sich auch der Oberst des neuen Regiments im Pavillon eingefunden, gefolgt von einem Fahnenjunker und einigen Unterofficieren, die außen an den Stufen harrten, um die Fahne später in Empfang zu nehmen.

Was hätte ein Maler für den Anblick gegeben, der sich in diesem Augenblick uns darbot! Das schönste Bild war gestellt, da brauchte weder etwas hinzugethan, noch etwas hinweggenommen zu werden. Die Ceremonie im Pavillon, die byzantinischen Costüme der Geistlichen, die Uniformen der Officiere, die Kirchengefäße, die Waffen, sie wären des Pinsels eines Paul Veronese würdig gewesen. Die zahlreichen Diener, ungeduldige Rosse an goldenen Zügeln haltend, und das bunte Zuschauer-Publicum, welch’ ein Vordergrund! Das Militär, die Akropolis und die Höhenzüge des Hymettus – was für ein Hintergrund!

Bei der krystallreinen Luft Griechenlands hat man auch die entferntesten Gegenstände immer fast dicht vor den Augen; und so schien es denn, als hätten die Akropolis, der Lykabettus, der Hymettus und der Pentelikon sich persönlich zur Fahnenweihe eingefunden. Der Erzbischof fing nun an zu psalmodiren, die Priester antworteten durch ein Gemurmel. Mitunter erhob seine Stimme sich zum schwachen Gesange, dann tönte auch die Antwort der Priester im vollen harmonischen Chor. Dabei neigten, beugten und bekreuzigten sie sich mit großer Würde. Endlich breitete der Erzbischof beide Hände über das Wasser und sprach unter lautloser Stille seiner Umgebung ein Gebet dazu. Nachdem er so das Wasser geweiht, nahm er aus demselben den Blumenstrauß, küßte ihn feierlich dreimal und bespritzte damit zuerst die Fahne, dann die Geistlichkeit und zuletzt die übrigen im Pavillon Anwesenden. Sodann tauchte er den Strauß abermals ein, und nachdem er ihn wiederholt bekreuzt und an die Lippen geführt, nahte er sich unter dem vollen Gesänge der Priester dem jungen Könige und benetzte ihm damit die Stirn. Hiermit war der geistliche Act der Fahnenweihe beendet.

Der König, welcher weder der griechischen Kirche angehört, noch der griechischen Sprache mächtig ist, zog sein Taschentuch hervor, trocknete sich damit Stirn und Gesicht und bedeckte sich. Hierauf überreichte ihm einer der Adjutanten ein beschriebenes Blatt, von welchem er – zum Obersten gewendet – mit lauter, volltönender Stimme eine kurze griechische Rede ablas. Am Schluß derselben nahm er die Fahne aus der Hand des Priesters und übergab sie dem Befehlshaber des neuen Regiments. Dieser hob sie hoch empor, daß sie – Allen sichtbar – im Winde flatterte, und beantwortete die Rede des Königs durch Angelobung von Treue und Gehorsam, indem er scharf betonte, die Griechen würden solche stets einer constitutionellen Regierung halten. Dazu präsentirten die Truppen, die Musik spielte und die Kanonen donnerten. Endlich übergab der Oberst das neue Panier dem Fahnenjunker, der damit in Begleitung der vier Unterofficiere zur Front des Regiments zurückkehrte. Als Musik und Kanonendonner schwiegen und die Truppen das Gewehr geschultert hatten, entstand innerhalb und außerhalb des Pavillons eine lebhafte Bewegung. Der König warf sich mit seinem Gefolge zu Pferde und sprengte davon, um das neue Regiment und die übrigen Truppen zu mustern. Dabei gaben die Fustanellen, welche sich bei jedem Galoppsprunge hoben und senkten, den Pferden das Ansehen von Flügelrossen. Die Priester legten ihre glänzenden Dalmatiken ab und vertauschten sie gegen die gewöhnliche schwarze Kleidung; die Kerzen wurden ausgelöscht, die Altartücher zusammengelegt und die kostbaren Gefäße eingepackt. Bald waren wir mit unserm griechischen Freunde die Einzigen im Pavillon.

Nachdem die Truppen vor dem Könige mehrere Evolutionen ausgeführt hatten, nahm dieser vor dem Pavillon Platz und ließ sie vorbeimarschiren. Was uns dabei am meisten interessirte, war die mit Maulthieren bespannte Gebirgs-Artillerie. Sie kann ihre kleinen Geschütze auseinandernehmen, die einzelnen Stücke auf die mit Packsätteln versehenen Maulthiere laden, also überall hingelangen und im schwierigsten Terrain agiren. Haltung, Armirung und Bekleidung der Truppen konnte man nur loben.

Ein junger Mann in reicher Nationaltracht ging an unserm Pavillon vorüber, ohne daß ihn die Lanzenreiter zurückhielten.

„Wer ist der junge Mann?“ fragten wir unsern Freund.

„Ist Diener des Obersten vom neuen Regiment; – war Räuber.“

Diese letztere, für uns höchst bedenkliche Mittheilung machte der griechische Officier mit einer so gleichgültigen Miene, als wenn er erzählt hätte, der junge Mann sei früher Schneider oder Schuster gewesen.

Der König galoppirte nach der Stadt zurück, die bunte Menge, welche sich äußerst ruhig und anständig verhalten hatte, verlief sich, wir aber suchten und fanden unseren Wagen, in welchem wir unserm Freunde einen Platz anboten. Er nahm ihn an. Wir machten gegen ihn unserm Herzen Luft in Bezug auf die Unsicherheit der Umgegend.

„Ist alles richtig,“ sagte er, „sollen aber Eleusis dennoch sehen und zwar noch heut. König giebt Nachmittags neuem Regiment großen Schmaus in Daphne, auf halbem Weg nach Eleusis; dann schwärmt ganze Gegend von Soldaten und ist überall sicher. Kommen dann auch an allerletzten Ausgrabungen dicht vor Stadt links vom Wege nach Eleusis vorüber. Da aber Nachmittag nicht viel Zeit ist, sie zu betrachten, ist ‚guter‘, gleich zu fahren hin.“

Wir erklärten uns mit dem Vorschlage einverstanden; der Freund ertheilte daher dem Kutscher den nöthigen Befehl, und wir rollten davon. Unterwegs hielt unser Begleiter es für seine Pflicht, uns auf eine Brauerei aufmerksam zu machen, woselbst ein Baier vortreffliches baierisches Bier fabricirt. Wir stiegen aus und erquickten uns dergestalt an dem deutschen Getränk, sowie an Käse und grobem Brod, als hätte man uns Nektar und Ambrosia vorgesetzt.

Die griechischen Weine sind nämlich Geschwisterkind mit Vitriol und Scheidewasser, der griechische Kaffee fängt bereits an in die türkische Kaffeesuppe überzugehen, und die griechische Küche ist der Art für einen deutschen Gaumen, daß man glaubt, die Speisen werden im Irrenhause bereitet. Die Gewürze sind geradezu ätzend, alles Fleisch ist zähe wie Schuhsohle, jeder Fisch trocken zum Ersticken, das Gebäck säuerlich, von einer schmackhaften Sauce niemals die Rede, und verlangt man Butter, so erhält man ein widriges Product aus Ziegenmilch. Wie froh waren wir daher, als uns mit deutscher Freundlichkeit und deutschem Zuspruch das vaterländische Getränk vorgesetzt wurde, die einzige Flüssigkeit, welche uns in Griechenland gemundet hat.

„O schöner Brunnen, der uns fließt!“ jubelten wir.

Wie bedauerlich, daß wir diesen Brunnen erst kurz vor unserer Abreise entdeckten! In der vortrefflichsten Laune und sehr disponirt „zur Beschauung der Antike“ setzten wir unsern Weg fort zu den Ausgrabungen der letzten Tage. Wir fanden dicht bei der Stadt links vom Wege nach Eleusis einen langen Graben. Die ausgehobene Erde war nach einer Seite geworfen, und auf der Sohle des Grabens standen zahlreiche Grabsteine, so neu und so wohl erhalten, als wären die Monumente erst gestern gesetzt worden.

Man hatte einen Haupt-Begräbnißplatz des alten Athen entdeckt, und gedenkt fleißig mit den Ausgrabungen fortzufahren. Eine reiche Beute aber verspricht man sich von dem Inhalte der Gräber. In der That findet man in und um Athen fast bei jedem Spatenstich einen Schatz. Den besten aber dürfte seiner Zeit wohl Herodes – freilich vor langen, langen Jahren – hier gefunden haben. Bei dem römischen Kaiserhofe, der die frühere Herrscherfamilie des unterjochten Palästina mit Eifersucht betrachtete und im Stillen beobachten ließ, in Ungnade gefallen, sah sich Herodes – wie die Sage erzählt – endlich genöthigt, bei Nacht und Nebel zu entfliehen, um gedungenen Meuchelmördern zu entrinnen. Arm und unbekannt, dem Aeußern nach ein zerlumpter Bettler, kam er nach Athen. Geld, um ein Nachtlager zu bezahlen, besaß er nicht; er setzte sich daher am Fuße der Akropolis hinter einem Felsenvorsprung nieder und beschloß, hier die Nacht zuzubringen. Den Unglücklichen flieht der Schlaf, auch wenn sein Körper todmüde ist. Bei dem Ueberdenken seiner verzweifelten Lage stieß Herodes vor Unmuth mit seinem Wanderstabe auf die Erde. Was war das? Ein sonderbarer Klang tönte ihm entgegen. Er scharrte die Erde bei Seite und kam bald auf den Deckel eines großen ehernen Gefäßes. Wohl Hunderte von Jahren mußte es hier gestanden haben, denn es war vom Roste so zernagt, daß Herodes geringe Mühe hatte, es zu erbrechen. Aber wer malt sein Erstaunen, seine Bestürzung, als Gold und Edelsteine ihm entgegenleuchteten.

„Sollten diese Reichthümer zu dem Tempelschätzen des Parthenons gehören, welche die Athener zur Zeit der Perserkriege an vielen Orten vergruben?“ so fragt er sich, während er fortfährt, das Gefäß mehr und mehr vom Schutt zu befreien. Aber je weiter er den Deckel öffnet, je mehr Gold und Geschmeide findet er.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_634.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)