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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

mehr ganz unbehelligt herauskommt, denn da sich die Gegensätze bekanntlich gern berühren, so hat man schon oft die Erfahrung gemacht, daß die Jugend am Abend desto rauflustiger ist, je andächtiger sie am Morgen gewesen. Von der jungfräulichen Tochter, die in seidenem Kopftuche hinter Beiden steht, wollen wir nur das Beste denken. Wenn sie diesem Gedanken entspricht, so trinkt sie vielleicht nur ein frisches Seidel und geht dann rüstig voraus, um die Mutter bei Zeiten zu verständigen, daß ihre Lieben noch im Wirthshaus sitzen.

Die andern schönen Beterinnen sind ebenfalls von der Alm herabgekommen, verrichten ihr Gebet für sich und mischen sich nicht unter die Gemeinde. Wahrscheinlich sind auch etliche Tirolerinnen darunter, die dem bessern Verdienste nach in das menschenarme, aber sattsam nährende Baierland gezogen, um da als christliche Dienstboten ihre Laufbahn zu eröffnen, die sich mitunter durch eine fröhliche Hochzeit abschließt. Die zierliche Gestalt, welche zur Seite kniet, mit dem Spitzhut, der mit goldenen Schnüren umzogen ist, und dem reichen Haargeflechte, ist, wir kennen sie wohl, das liebliche Walperl, des früheren Wirthes Töchterlein, welches von Manchen, außer den Reizen der Landschaft, auch für einen kleinen Magnet der Brannenburger Gegend angesehen wird. Sie ist zwar nicht von der Alm gekommen, hat sich aber wohl sonst ein wenig verspätet und giebt sich jetzt keine Mühe mehr, sich in die Procession zu drängen. Die beiden Mädchen auf der andern Seite scheinen dagegen wieder Sennerinnen zu sein, ein derber, gutmüthiger, mitunter etwas leichtfertiger Schlag, der zu Gesang und Tanz und Liebe fast noch mehr aufgelegt ist, als zum Beten, Fasten und Almosengeben.

Nicht fern von dieser, doch geschieden durch eine trennende Wand von blühenden Büschen und dadurch gleichsam als ein Wesen aus anderen Sphären charakterisirt, lauert Freund Maler, in seinem leichten Reise-Costum ein sehr glücklicher Gegensatz zu dem Bäuerlein, das in seinem zopfigen Feiertagsrock auf der anderen Seite steht. Des Malers Ausdruck hat etwas Herrschendes und Imponirendes, womit wir nicht sagen wollen, daß er für sanftere Gefühle ganz unempfänglich wäre. Seine Augen sind dem schönen Walperl zugewendet, ob auch sein Herz es ist, das müssen wir im Zweifel lassen. Seinen Bleistift führt er mit nerviger Hand, der, wie es scheint, nur kräftige Gestalten entquellen können. Wir würden gern einen Blick in sein Album werfen, wenn es erlaubt wäre, ihn jetzt zu stören. Wir würden gewiß nur Schönes darin finden. Hut, Gesicht und der Bart dazu bezeichnen deutlich eine unabhängige, geniale Richtung auf politischem, wie auf artistischein Felde. Sicherlich noch Großes dürfen wir von ihm erwarten. (Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, müssen wir gleichwohl urkundlich machen, daß der hier dargestellte Kunstjünger mit dem Zeichner des Bildes nicht zusammenfällt.)

Brannenburgs städtische Insassen, die in schönen Sommern sehr zahlreich sind, theilt man nach dortigem Schema in Maler und Luftschnapper. Letztere sind solche, welche, etwa der Kanzlei oder dem Comptoir entflohen, sich lediglich in den gesunden Lüften des Hochlands gütlich thun und an dem lustigen Leben der Maler freundlich Theil nehmen wollen. Misanthropischen Leuten ist der Aufenthalt im hiesigen Orte mit nichten zu empfehlen, denn die Landschafter und die Historiker treiben hier gar arge Narretheien und führen mitunter einen so absonderlichen Lärm auf, daß der traurige Griesgram in seinem einsamen Bettlein vor Mitternacht oft kein Auge zudrücken kann. Besser also, wenn er mit oder ohne Entsagung seinen Weltschmerz vergißt und bei ihren heiteren Spielen selber eine entsprechende Rolle übernimmt. Hier giebt’s gesellige Scherze, Mummereien, Maskeraden aller Art. Nicht leicht kommt ein einigermaßen bedeutendes Licht aus der Künstler- oder sonstigen Welt in’s Dorf, es würde denn in allegorischer Weise und mit Gedichten, Gesang und Trinksprüchen empfangen. Kommt es aus Berlin, so tritt eine schöne Frau als Borussia angethan vor ihn hin und übergiebt ihn weinend, aber mit Segenssprüchen ihrer entlegenen Schwester Bavaria. Zieht die Berühmtheit wieder ab, so tritt Frau Bavaria auf und händigt sie mit bittern Abschiedsthränen ihrer Schwester Borussia aus oder, wenn sie nach Rom abreist, ihrer geliebten Freundin Italia, welche sie wohl Acht auf ihn zu haben bittet. Bei schlechtem Wetter und wenn die Abende länger werden, bietet der Tanzplatz im Wirthshause Raum zu allerlei Lustbarkeiten. Heute ist maskirtes Caroussel, morgen Circus, wobei die gewandtesten Reitkünstler, als Monsieur Renz oder Monsieur Carré verkleidet, auf einem hölzernen Pegasus die halsbrechendsten Wagstücke vollziehen. Zum Lohne für die Wackeren fängt dann der Wirth auf seiner Geige zu spielen an – „bis knisternd strömt Feuer um Saiten und Hand“ – und sofort fällt auch ein benachbartes Clavier ein, und der entzückte Hörer fühlt sich plötzlich von den Schwingungen einer ländlichen Tanzmusik getragen und gehoben, welche bald Alles ihrem Zauber unterthänig macht.

Es versteht sich, daß an schönen Tagen namentlich die Luftschnapper aus dem Dorfe ziehen, um in der herrlichen Umgebung Ausflüge zu unternehmen oder die winkenden Berghäupter zu erklimmen. Wohin diese Züge gehen, das wollen wir nicht weiter ausführen. Einige Orte haben wir schon berührt – alle können wir nicht erwähnen. Nur damit er nicht geflissentlich vergessen scheine, wollen wir noch des nahen Petersbergs gedenken, einer waldigen Felsenspitze, auf welcher ein uraltes Münsterlein und ein Priesterhaus stehen, wo man gut erquickt wird und viele Meilen weit in’s Land hinausschaut. Auch zum „Tatzebauern“ am Audorfer Berg sind’s nur dritthalb Stunden, und es führt ein sehr angenehmer Pfad dahin, bald sanft ansteigend im Waldschatten, bald über die friedliche Einsamkeit der grünen Triften. Unter dem Schild des Tatzebauern haust der alte Schweinsteiger, ein demüthiger Freund der deutschen Wissenschaft und ihrer Pfleger, sonst licenzirter Bierschenk und Hofbesitzer, dessen seltsame Schicksale schon Manchen, der nicht an alle Möglichkeiten gewöhnt ist, überrascht haben sollen. Ihm zuerst in der ganzen Nation kam einst der Gedanke, ob man sich nicht ein Verdienst erwerben könnte, wenn man müde Wanderer und Pilger auf einem vielbetretenen Bergwege mit Speise und Trank ergötzte. Dieser Gedanke, der in der Schweiz schon etliche tausend Mal durchgeführt ist, kam aber unsern Leuten so in die Quere, daß sie dem kühnen Denker einen Schabernack nach dem andern spielten und ihm allmählich fast das Leben verleideten. Indessen haben sich jetzt die Gebildeten durch ganz Deutschland im Geiste um den wackern Dulder geschaart, und sein herrlich gelegenes Häuslein ist stets besetzt von wandernden Gelehrten, Dichtern und andern Edlen, die sehr gern an seinem Rheinwein nippen und seinen Amsbacher Schinken anerkennend zusprechen. Das Fremdenbuch, das er aufgelegt, weist schon manchen namhaften Pilger auf und darf vielleicht in kurzer Zeit selbst kulturhistorische Wichtigkeit in Anspruch nehmen.

Wenn sich nun früh am Tage die guten Gesellen zu Brannenburg nisten, und mit den Frauen und Jungfrauen, mit dem Alpenstock in der Hand und dem reichgefüllten Proviantranzen auf dem Rücken, sich vor der Herberge sammeln, dann ist ein schwerer Moment für den jungen Maler gekommen, der voll der besten Vorsätze so eben aufgestanden ist und mit seinem Malkasten und seinem ungeheuren Parapluie z. B. auf die Schwarzlack emporsteigen will, um dort die interessanten Waldstudien abzuschließen, die während der letzten Regentage so schmerzlich liegen geblieben. Wenn nämlich der Maler im Vorbeigehen stehen bleibt und die fröhlichen Luftschnapper betrachtet und die heiteren Frauen und die lachenden, schäkernden Fräulein, und wie sie sich alle auf die hohen Astenhöfe freuen oder auf den Riesenkopf mit seiner unermeßlichen Aussicht, dann wird ihm wind und weh um’s Herz und es beginnt ein Seelenkampf, zwar von der peinlichsten Art, der aber doch gewöhnlich einen guten Ausgang nimmt. „Ach ja,“ pflegt dann der Jüngling mit seinen guten Vorsätzen zu lispeln, „die schönen Tage sind so selten hier zu Lande, und Wälder finden sich wohl immer wieder“ – und wenn er dieses einige Male leise gelispelt, überreicht er Malkasten und Parapluie der Kellnerin zum Aufheben, bis er wieder komme, und dann giebt er der Gesellschaft erröthend zu erkennen, daß er sich auch ein bischen anschließen werde, worauf ihn dann diese Beifall klatschend als ihren Genossen aufnimmt. Und so lassen wir sie denn ziehen im Frieden und freuen uns, wenn sie am Abend jubelnd über den wonnigen Tag vom Berg herunter wieder heimkehren.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_647.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)