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senkten die Stirn in den Staub; der Sultan aber nahm wiederum von nichts Notiz, was vor ihm geschah. Er stieg die wenigen Marmorstufen nach der Wasserseite hinab und ging gemessenen Schrittes auf das Kaik zu, ohne daß Jemand ihn begleitete. Als er einstieg, hielt ein Bootsmann das Kaik mit einem Haken, damit es nicht schwankte oder gar umschlüge; Niemand aber war ihm behilflich, denn die geheiligte Person des Beherrschers der Gläubigen darf nur von den höchsten Würdenträgern des ottomanischen Reiches – und zwar an der Fußspitze – berührt werden. Es geschieht dies alljährlich am Bairams Fest bei der Ceremonie des Fußkusses, nach welcher der Sultan einem Jeden, der ihm die Lippen auf den Fuß gedrückt hat, ein schönes Mädchen zum Geschenk macht.

Sobald der Sultan Platz genommen hatte, spannte der Neger den großen Sonnenschirm auf, die Ruderer tauchten die unten mit einem halbmondförmigen Einschnitt versehenen Ruder in’s süße Gewässer, und fort schoß das goldene Kaik dem goldenen Horne zu.

Kaum hatte der Sultan den Rücken gewendet, so trat die unbefangenste Gemüthlichkeit an die Stelle der strengen Etiquette. Aus der Moschee kommend, erschienen auf dem schwarzen, geheiligten Teppich plappernde Diener des Sultans, die seine Parade-Kleidungsstücke, Uniform, Weste, Hosen, Stiefeln und allerlei Cartons in äußerst nachlässiger Weise über und unter den Armen oder in den Händen trugen. Sie ließen die sämmtlichen Sachen auf die Erde fallen, nahmen sodann die Epaulettes und Brillantsterne von der Uniform und warfen sie in die Cartons, als wäre es altes Eisen, – endlich banden sie den ganzen Kram in Schnupftücher und gingen, die Bündel nachlässig schwenkend, in aller Heiterkeit davon.

Wir standen im Begriff, in ein höchst unmuselmännisches Gelächter über diese Naivetät auszubrechen, als unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge gelenkt wurde. Ein langer Zug von eleganten Wagen kam aus dem zum Kiosk des Sultans führenden Portale auf uns zu; – es waren die Damen des Harems, welche ihrem Gebieter zu Lande folgten.

Man kann sich denken, wie schnell wir der Moschee den Rücken wendeten und wie sehr wir uns durchdrängten, um so nahe wie möglich an die Wagenreihe zu kommen; denn wie wir bemerkten, fuhren die Schönen sämmtlich mit heruntergelassenen Fenstern.

In dem ersten, prächtig mit Silber beschlagenen und oben herum mit einer silbernen Galerie verzierten Wagen, der wie alle übrigen nur mit zwei Pferden bespannt war, saß die Sultanin. Zu dieser Würde und zu allen damit in Verbindung stehenden Vorrechten avancirt eine jede Harem-Schöne, die den Beherrscher der Gläubigen mit einem Kinde beschenkt, sei dies ein Knabe oder ein Mädchen. Sultan Abdul Asis besitzt an Kindern nur einen Sohn, folglich hat er auch nur eine Sultanin.

Der Wagen der Sultanin war von vielen schwarzen Harem-Wächtern umgeben, während die übrigen Wagen nur je von einem escortirt wurden. Die Wächter hielten sich jedoch so dicht um den Wagen, daß die Zuschauer auf beiden Seiten kaum vier Schritt von ihm entfernt standen. Wir konnten daher sowohl die Sultanin, als auch alle übrigen Damen so genau sehen, wie der Yachmak, jene Verhüllung, die vom Gesicht nur die Augen freiläßt, dies nur irgend gestattet.

Gewöhnlich besteht der Yachmak nur aus Musselin in mehreren Lagen übereinander, so daß der Blick nicht hindurchzudringen vermag; die Haremdamen trugen ihn aber von Flor, der – obwohl doppelt und dreifach – ihre Reize nicht nur nicht verbarg, sondern im Gegentheil noch erhöhte. Diese Flor-Yachmake sind eine Neuerung, welche sich unter der Regierung des vorigen Sultans eingeschlichen hat.

Abdul Medjid’s Herz war nämlich so groß, daß fünf- bis sechshundert Schöne Platz darin fanden. Wer die Hauptstadt erobert hat, der beherrscht das Land und er kann darin nach Belieben schalten und walten. Das Herz ist aber für den Menschen das, was die Hauptstadt für ein Land ist. Im unumschränkten Besitze des Herzens ihres Gebieters emancipirten sich die Haremschönen auf eine bisher unerhörte Weise. Sie legten sogar den Yachmak von doppeltem Musselin ab und vertauschten ihn gegen eine durchsichtige Umhüllung von einfachem Flor. In diesem Aufzuge – für die Rechtgläubigen ein unerhörter – fuhren sie in Constantinopel und Pera von einem Laden zum andern, um Einkäufe zu machen. Es stellte sich dabei heraus, daß sie diejenigen Artikel, welche sie suchten, immer nur bei schönen und jungen Kaufleuten, ganz besonders bei böhmischen Glashändlern, fanden.

Aber nicht nur in den unteren Schichten des Harems fanden die Neuerungen Anklang, sogar eine der Sultaninnen trat zur Fortschrittspartei über. Kein Tag verging, an welchem sie nicht einen schönen schlanken armenischen Kaufmann, der mit Seidenstoffen handelte, im Bazar besucht hätte und mit reichen Einkäufen in das Serail zurückgekehrt wäre.

In den Bazar, der aus lauter überwölbten Passagen besteht, kann man nicht hineinfahren; Wagen und Diener mußten daher vor der Thür warten, während die schöne Sultanin ihre Einkäufe machte. Die kostbarsten Waaren befinden sich aber nicht in den Läden des Bazars selbst, sondern hinter ihnen in kleinen traulichen Zimmern, zu welchen man durch ein dunkles Treppchen gelangt. Der Kaufmann läßt nun keinen Kunden von Distinction vor dem Ladentisch, im Bazar stehen, sondern nöthigt ihn stets in das kleine verschwiegene Hinterzimmer. Bei einer Sultanin verstand sich diese Auszeichnung von selbst. Sie wurde nicht müde, sich im Bazar einzufinden, – der Kaufmann ermangelte nicht, ihr beim Ersteigen des Treppchens behülflich zu sein; Beide waren völlig miteinander zufrieden. Aber –

„Befindet sich Einer vortrefflich und wohl,
Gleich will ihn der Nachbar peinigen.“

Eines Tages, als die schöne Sultanin wieder in den Bazar kommt, findet sie den Laden des schönen Armeniers zugenagelt. Sie fragt seine Nachbarn, diese senken statt der Antwort die Augen zur Erde. Eine bange Ahnung sagt ihr, daß sich hier etwas Entsetzliches zugetragen und daß der Sultan dem nicht fremd sein könne. Den Tod im Herzen, kehrt sie in das Serail zurück und flüchtet sich, des Aergsten gewärtig, mit einer getreuen Dienerin in den nächsten Kiosk.

Wer sie erwartet hatte, war Abdul Medjid. Er erscheint an der Thür des Kiosks und findet sie verschlossen.

„Mach’ auf!“ ruft er.

Keine Antwort.

„Fürchte nichts, ich bin von Deiner Unschuld überzeugt. Du hast nur unüberlegt gehandelt und wirst künftig auch den bösen Schein vermeiden.“

Die Sultanin begriff die Situation. Was mit dem schönen Armenier geschehen war, ließ sich nicht ändern. Nach seinem Schicksal forschen durfte sie nicht; war ihr doch überdies bekannt genug, in welcher Weise man die Bande zerreißt, die der Harem zuweilen trotz aller Wachsamkeit der Eunuchen mit der Außenwelt anknüpft. Sie schmollte viele Tage mit dem Sultan, weinte viele Nächte hindurch und ließ sich endlich durch dringendes Zureden ihrer Verwandten dahin bewegen, ihren Herrn und Gebieter wieder zu Gnaden anzunehmen.

Der Harem des gegenwärtigen Sultans ist bedeutend kleiner, als der seines Vorgängers, denn er füllte nur acht bis zehn Wagen, deren jeder vier Schöne enthielt. Der Sultan hat ihn aber nicht nur beschränkt in der Zahl, sondern auch in den usurpirten Freiheiten. Vor allen Dingen wurde den Damen verboten, Yachmaks von einfachem Flor zu tragen; sie haben den Flor daher verdoppelt. Hierdurch sind sie dem Befehle ihres Gebieters einigermaßen nachgekommen, ohne ihr Licht unter den Scheffel zu setzen.

Hinter dem Harem erschien der Sohn des Sultans in einem offenen Wagen, und ihm folgte der ganze Marstall seines Vaters. Die lange Reihe schöner Pferde wäre ein Götteranblick für den Kenner gewesen; aber auch der Nichtkenner fand seine Rechnung, ja sogar die Damen unserer Gesellschaft waren entzückt von dem, was wir sahen. Berittene Neger in den wunderbarsten Trachten führten jeder ein vollständig aufgezäumtes und gesatteltes Roß des Sultans als Handpferd. Theils mochten die edlen Thiere bei dem guten Futter zu ihrer geringen Arbeit schon an und für sich stallmuthig genug sein, theils wollte ein jeder Neger sich und seine Rosse vor den vielen Zuschauern so vortheilhaft wie möglich produciren, – genug, alle schnaubten und courbettirten, warfen die Köpfe und wieherten, daß es eine Lust war. Dabei setzte uns das mit Gold und Silber beschlagene und mit bunten Edelsteinen besetzte Zaumzeug nicht weniger in Erstaunen.

Nur selten befanden sich die Neger allein im Sattel; fast ein Jeder von ihnen war der glückliche Beschützer irgend eines animalischen Lieblings der Damen vor ihnen. Sie transportirten, ihnen sicher von den Sklavinnen auf die schwarze Seele gebunden, bunte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_650.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)