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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Copie natürlich wie einen heiligen Schatz, an dem wir uns heimlich labten, dem aber kein anderes menschliches Auge und Ohr nahen durften. –

Endlich sollte auch mir der heiße Wunsch erfüllt werden, den geliebten Meister wirklich zu sehen und spielen zu hören. Ein Hofconcert wurde angesagt, in der sogenannten langen Galerie des Schlosses. Als ich erfuhr, daß er spielen werde, bekam ich das Fieber, das Freudenfieber nämlich der Erwartung. Alle Leser kennen jenen wunderbaren Zustand der äußersten Spannung, wenn man in jedem nächsten Moment den Anblick einer hochberühmten Person zum ersten Male erwäget. Als ich ihn nun aber endlich hereintreten oder vielmehr, wenn auch nicht sehr merklich, hereinhinken sah in den Saal, fühlte ich, wie ein leises Weh sich aus mein Herz legte. Er war mir wohl als ein kleiner Mann geschildert worden, aber eine so schmächtige, so gebrechlich scheinende Gestalt mit den auffallend langen Armen, einem kürzeren und einem längeren Bein hatte ich doch nicht erwartet. Dazu das schmale, längliche, bleiche Angesicht, die eingefallenen Schläfe, gegen die eine ziemlich lange Nase etwas zu sehr hervortrat! Der Ausdruck in seinen Gesichtszügen war dagegen unverkennbar edel, geistvoll und wahrhaft vornehm. „Ach, diesem hohen Genius ist in seinem zarten irdischen Körper gleich Mozart kein langes Verweilen und Schaffen auf dieser rauhen Erde beschieden!“ Das war mein erster trauriger Gedanke beim Anblick des geliebten Meisters.

Ich wirkte in der Capelle mit. Ein Wort an den Meister zu richten, wäre mir jungem schüchternen Manne ebenso undenkbar gewesen, wie an den größten Monarchen. Aus den Augen aber ließ ich ihn den ganzen Abend nicht, wo ich sie nicht unmittelbar auf die Noten zu richten hatte. Ja, auch da selbst raffte ich mit einem raschen Ueberblick eine ganze Linie voller Noten auf und schoß mit meinen Augen während ihrer Ausführung aus dem Gedächtniß auf den Meister. So schlich ich ihm auch nach, als er vor Beginn des Es-dur Concerts durch die Notenpulte sich zu dem ersten Trompeter wand, Pfeiffer hieß der Mensch, um diesen auf eine Stelle aufmerksam zu machen, die er so und so vorzutragen nicht vergessen möge. Da antwortete ihm dieser rohe Mann, der ab und zu der Flasche mehr als gebührlich zusprach: „Das werde ich schon machen, ohne daß ich es erst von Ihnen zu lernen brauche.“

Der Meister sah ihn einen Augenblick verwundert an und ging dann, ohne ein Wort zu erwidern. Mir aber fuhr diese ungeschlachte Rede wie ein Blitz in’s Pulverfaß, und die Explosion war unaushaltbar. Kochend vor Wuth platzte ich heraus: „Sie Grobian sind nicht werth, einem solchen Manne die Schuhriemen aufzulösen, und sind ein wahrer Schandfleck unserer Capelle.“ Freilich mußte ich auf dem eiligen Abzug an mein Pult einen nachgeschickten „dummen Jungen“ mitnehmen, aber ich hatte doch dem geliebten Meister Satisfaction verschafft und hätte allenfalls für diese Freude auch eine Ohrfeige noch hingenommen.

Weber spielte an diesem Abend sein Es-dur Concert, Variationen und gab zum Schluß auf Verlangen der Großfürstin eine freie Phantasie. Ueber sein Spiel, seine Composition und Improvisation noch etwas zu sagen, was nicht schon bekannt und namentlich in seiner Biographie mehrfach ausgesprochen wäre, ist nicht wohl möglich. Seine Fertigkeit als Virtuos, obwohl damals auf der Höhe seiner Zeit stehend, ist seitdem übertroffen worden, niemals aber sind es seine geistreichen Combinationen und die Eigenthümlichkeit seiner Gedanken in seinen Phantasien. Es war eben die Weber’sche Seele, die ihren ganzen Gefühls- und Gedankenreichthum in noch nie gehörte Tonbilder ausströmte.

Auch seine Oper „Sylvana“, die mit Unrecht nur auf wenigen Bühnen gegeben worden, kam in Weimar zur Aufführung. Wie aber überall ein böser Stern über dieser Schöpfung gewaltet, so auch bei uns. Die interessanteste Partie darin ist bekanntlich die der Sylvana selbst, die nicht singt und nicht spricht, sondern nur durch Mimik, Gesten und Tanz zu wirken hat. Die Darstellung dieses jungen, reizend lieblichen Wesens übernahm aber die damals schon alternde, kleine, kugelrunde Frau von Heygendorf, die, obwohl eine ausgezeichnete Sängerin und Schauspielerin, doch zu dieser Rolle durchaus nicht paßte. Ich mag dem Andenken der sonst so ausgezeichneten Frau zu Liebe den ungünstigen Eindruck ihrer Erscheinung in dieser Rolle auf das Publicum und damit auch auf die ganze Oper nicht ausmalen. Genug, als sie zu tanzen anfing, war an eine Wirkung der Musik nicht mehr zu denken, und so wurde das Werk bei Seite gelegt. Erreicht es aber auch die andern Opern Weber’s nicht, so enthält es doch schon so viele eigenthümliche Schönheiten, daß es, in unserer Zeit mit den geeigneten Darstellern wieder auf die Bühne gebracht, sicher wenigstens bei den gebildeteren Musikfreunden ein höheres Wohlgefallen erregen würde, als viele der neufranzösischen und neuitalienischen Klingeleien. –

Weber’s spätere Werke hatten die volle Strahlenkrone des Ruhms auf des Meisters Haupt gelegt, aber mehr und mehr kränkelte er. Aus dem Bade hoffte er Stärkung und erneute Kraft schöpfen zu können. Auf seiner Reise dahin kam er durch Weimar und mußte, erschöpft, einige Tage im Gasthof „zum Erbprinzen“ verweilen. Hier nun war mir das Glück vergönnt, ihn besuchen zu dürfen. Als ich in sein Zimmer trat, lag er krank im Bett, zugedeckt bis an’s Kinn, nur das bleiche liebe Angesicht war sichtbar! Ich wollte mich, über meinen ungelegenen Besuch erschreckend, augenblicklich wieder entfernen, er lud mich aber freundlich ein, auf einem Stuhl an seinem Bett Platz zu nehmen. Die Unterhaltung, deren er mich würdigte, gab mir eine der glücklichsten Stunden meines Lebens.

Die Idee eines geistig reichen und kräftigen Menschen verleiht ihm so natürlich auch einen entsprechenden Leib dazu. Geistig kräftige, energische Gebilde, möchte man meinen, könnten nur aus einem körperlich kräftigen, energischen Organismus hervorgetrieben werden. Wem vermöchte man einzureden, die himmelstürmenden Titanen hätten kleine, schwächliche Gestalten gehabt? Die Erfahrung lehrt uns indessen, daß innere und äußere Kraft zwei von einander unabhängige Wesen sein müssen und nicht selten in umgekehrtem Verhältniß stehen. Der körperliche Riese Spohr vermochte nur zarte, weiche, elegische Tongebilde zu spinnen und offenbarte seine Schwäche, so oft er sich kraft- und schwungvoll zeigen wollte; das schwächliche kleine Männchen Carl Maria, das hier vor mir lag, ein Kind an Gestalt im Vergleich zu jenem, sprühte Feuer- und Flammengedanken aus sich heraus, wenn sein Object sie verlangte, und führte Cyklopenschläge auf das Herz der Hörer. Mit der Anstrengung seines ganzen Lebens hätte Spohr den hinreißenden, kraft- und schwungvollen Feuerstrom des Freischütz-Ouvertürenschlusses nicht zu schaffen vermocht.

Euryanthe war zu jener Zeit noch nicht bei uns aufgeführt worden, Oberon noch nicht componirt. Den „Freischütz“ aber hatte ich so oft gehört und die Partitur so unablässig durchstudirt, daß ich die Musik vollständig im Kopfe hatte und sie allenfalls aus dem Gedächtniß hätte niederschreiben können. Nun drängte es mich, Alles, was mir darüber an Bemerkungen und Fragen im Sinne lag, dem Meister mitzutheilen, um durch seine Bestätigung oder Berichtigung meine Einsichten zu vermehren und abzuklären. Zögernd, schüchtern wagte ich mich anfangs hervor mit meinen Gedanken, als er aber geduldig zuhörte, liebevoll meine Fragen beantwortete, wurde ich nach und nach muthiger, und ein interessanter Punkt nach dem andern wurde durchsprochen: über den Totalton in der Oper und speciell im Freischütz, über das bewußte Schaffen des Künstlers, über Nachahmung der Meister, über Instrumentation und vieles Andere noch, wie ich es in den Fliegenden Blättern für Musik bekannt gemacht habe und deshalb hier übergehen muß.

Ich erzählte ihm von den so überaus glücklichen Momenten, die seine Erscheinung schon unserer Jugend bereitet, von dem entzückten Lauschen des jungen Mannes an der Thür des großfürstlichen Zimmers, von der gestohlenen Sonate etc., und der Enthusiasmus, in welchen ich dabei unwillkürlich gerieth, schien ihn sehr zu erfreuen, ja, eine besondere Wirkung auf ihn zu machen. Mit einem eigenthümlichen Ausdruck, den ich als ein Gemisch von Erhebung und Erbitterung bezeichnen möchte, rief er aus: „Ja, wenn ich das damals gewußt hätte! Eine solche Wirkung meiner Arbeiten auf jugendliche, unbefangene, verwandte Musikgemüther hätte mich über manche trübe Stunde jener Zeit trösten und hinwegheben können, zuerst über meine eigenen peinigenden Zweifel an meinem Talent!“ In der Biographie fand ich später, daß diese Aeußerung des Meisters keine Redensart, sondern in seinem Charakter begründet gewesen ist. Am 1. November 1812 schrieb er ja an einen Freund: „Ich bin ohnedies immer so gewissenhaft und auf der Folter, wenn ich arbeite. Oft verzweifle ich an mir selbst und meinem Genius und glaube mich zu schwach, ein Werk nach der Größe meiner Ansicht, meines Wunsches vollenden zu können.“ Während unsers Gesprächs wurde Weber’s Stimmung sichtlich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_678.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)