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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

gehört auch das „Mütterchen“ der Kinder dazu, und was machte sich wieder der liebe Himmel aus all seinen Freuden, wenn nicht die Kinder und das Mütterchen „Horch!“ ruften, wenn sie den Schritt des Vaters hören, und die Größeren ihm entgegenhüpften und das Kleinste ihm entgegenrutschte und alle ihm die Händchen entgegenstreckten, das Mütterchen auch, wenn er die Thür zu seinem Himmel ausmacht.

Das gehört gar sehr zu diesem Himmel. Die Kinder allein thun es nicht, und wären deren noch so viele beisammen. Sonst müßte ja – das Waisenhaus der herrlichste Himmel sein! Du lieber Gott! Geht nur einmal mit und seht hinein, wo die vielen vielen Kinder sind. Da ist’s freilich gar ordentlich, wie auf einem Kornacker, die Furchen richtig gezogen und die Halmen darauf, und einer sieht aus wie der andre, nur lacht nirgends dazwischen heraus eine rothe Klitsche und eine blaue Kornblume. Die sind vor lauter Ordnung alle dahin! Wie lachen die armen Kinder so traurig! Da ist kein Himmel! Es kann ja keiner sein, denn mit Vater und Mutter ist ihnen ihr Himmel gestorben und ist ihnen nichts davon übrig geblieben, als das kleine Stückchen Erdboden, auf dem das Gras des Gottesackers wächst. Wer giebt den Armen ihren Himmel wieder?

Wer? Der liebe Gott! Der thut’s doch! Wenn sie groß geworden sind und brav und arbeiten fleißig und werden selbst Vater und Mutter, dann geht auch ihnen zwischen ihren vier Wänden ihr verlorener Himmel wieder auf! So schön ist’s auf Erden, daß Niemand zu sterben braucht, ohne je in diesem Himmel gelebt zu haben.

Wollen wir und auch ein wenig hineinschleichen? Ich habe eine offene Thür dazu gefunden, eine ganz kleine, nicht größer als der Deckel eines Buches, eines Prachtbandes, und wenn wir den aufschlagen, stehen wir mitten darin! Du glaubst gar nicht, was wir „aus unsern vier Wänden“ dann Prächtiges weiter erzählen können.

Gut. Machen wir denn unsern Thürdeckel auf! – Ah! Wie lieblich! Eine Kinderstube – und wir kommen gerade zur „Morgentoilette“ zurecht. Ein Kindchen plätschert in der Badewanne und ein anderes wird just gewaschen.

„Halte aber auch hübsch still,“ sagt der Schwamm.

„Dummes Zeug, du mußt still halten,“ sagt das Wasser, nachdem es sich vorgeblich kokett einschmeichelnd als das „schöne, weiche, lauwarme“ Wasser angepriesen.

„Wenn wir nicht ordentlich reiben,“ sagt das Seifläppchen, „kriegen wir keinen Grund.“

„Das eine Ohrchen ist schon gut,“ sagt schlau das Handtuch, „nun blos noch das andere.“

Kamm und Bürste streichen die verwirrten Löckchen glatt, theilen den Scheitel und sagen: „Gleich sind wir fertig.“

„Erst das rechte Aermelchen, dann das linke Aermelchen,“ sagt das reine Hemdchen.

„Ueber Nacht sind wir auch nicht magerer geworden,“ sagen die Strümpfchen zu den wurstrunden kleinen Wackelwaden.

Die Schuhchen sagen: „Schmuck Pferdchen, blanke Huschen.“

„Kopfüber, ohne die Frisur zu verderben, das ist die Kunst,“ sagt das Unterröckchen.

„Jetzt komme ich,“ sagt das Kleidchen, wie der Vornehmste in der Gesellschaft, auf den alle Anderen gewartet haben. Es weiß recht gut, daß es das rothe Kleidchen mit den Glasknöpfchen ist, zu dem das Kind das Zeug sich selbst ausgesucht nach der Probe; es weiß, daß es des Kindes Lieblingskleidchen ist.

„Nun noch das Näschen bohnern,“ sagt das Taschentuch, seine unangenehme Commission in eine launige Form kleidend.

„Fix und fertig.“ sagt der ganze Chor.

„Ach, da sitzt noch ein Thränchen, ein dummes kleines Thränchen, das sich nicht abtrocknen lassen wollte, auf der Backe. Das küsse ich schnell weg,“ sagt die Mutter, „und dann gehen wir Papa Guten Morgen sagen, einen freundlichen, reingewaschenen, ‚angezogenen’ Guten Morgen.“

Ist das nicht eine Lust? Und da sollen wir uns schon wieder von dannen schleichen? Nein! Jetzt geht die rechte Freude erst los! Die Mutter bringt eine Schüssel und Butter und Mehl und Eier zur Thür herein und stellt alles auf den großen Tisch. Da giebt’s die liebste Kinderlust, die noch den Alten so wohl gefällt, daß sie selbige auf jeder Straße am hellerlichten Tag ausüben, so oft sich die Gelegenheit dazu bietet, und das ist? – „Das Zusehen!“ – Sehen wir denn auch mit zu!

Die Butter thut spröde und glitscht alle Augenblicke unter dem Löffel weg, sie wird aber immer wieder zurückgeholt zum lösenden Rundlauf. Endlich läßt sie jeden Widerstand schwinden und fügt sich still in das Unabänderliche, wie es im Recept steht, „zu Sahne gerührt zu werden“. „Es schneit, es schneit,“ nämlich Mehl. Am Schüsselrand aufgeschlagene Eier fallen in den Mehlschnee und werden, in lustigem Wirbel kreiselnd, als gelblackirte Jagdschlittchen begrüßt. – Es wird Kuchen eingerührt. – Die Kinder sehen zu.

Der Wächter, dessen Amt naturgemäß auch die Sorge für die nächtliche Straßenbeleuchtung in sich schließt, kommt, die Laterne zu putzen. Er stutzt den Docht, polirt den messingenen Hohlspiegel und die Glasscheiben, schlägt nach vollbrachter Arbeit – es ist Winterszeit – die Arme kräftig um den Leib zu seiner Erwärmung, nimmt die Leiter schräg über die Schulter, den Arm durch die Sprossen steckend, und setzt seine Tour weiter fort: – die Kinder stehen am Fenster und sehen zu.

In der Badewanne.

Morgen am Sonntage soll spazieren gefahren werden. Der Wagen ist zur Säuberung vom Kutscher aus dem Schuppen gezogen. Zuerst wird er mit der Hand aus dem Eimer, so im großen Ganzen angespritzt, wie Leinwand auf der Bleiche; dann erfolgen ein paar Sturzgüsse kräftigster Schwenkung, recht unter den Kasten nach der Gegend der Deichselgabel und des Spannnagels hin, dann werden die Achsen geschmiert, die abgestreiften Räder glitschend wieder aufgestreift, und es ist eine Lust, wie leicht sie sich jetzt drehen, frei schwebend über dem untergestellten Hebebaum, während sie nun abermals gleichmäßig von allen Seiten bespült werden können. Dann zum Schluß noch das Einthranen des Lederzeuges und das Blankreiben der Metallbeschläge. Alles höchst anziehende Dinge: – die Kinder sehen zu.

„Mache Dein Mäulchen auf, ich thue Dir nichts, ich will blos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_684.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)