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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Zünften sogar in einen Dialog zwischen dem Meister und dem Gesellen überging, begrüßt wurde. In Norddeutschland waren längere, in Süddeutschland dagegen kürzere Grüße in Gebrauch. So lautete der Gruß der Seifensieder folgendermaßen:

Gesell: „Verzeihen Sie, sind Sie der Herr Meister?“

Meister: „Ja.“

G.: „Erlauben Sie, Herr Meister! Ich möchte gern meine Schuldigkeit bei Ihnen ablegen.“

M.: „Recht gern.“

G.: „Ehrliche Meister und Gesellen lassen Sie freundlich grüßen von wegen des Handwerks.“

M.: „Von welchen ehrlichen Meistern und Gesellen bringst Du mir den Gruß?“

G.: „Von den ehrlichen Meistern und Gesellen aus N. N.“

M.: „Sei willkommen von wegen des Handwerks.“

G.: „Verzeihen Sie, Herr Meister, liegt das Gesellenbuch hier?“

M.: „Ja.“

G.: „Erlauben Sie, Herr Meister, ich wollte Ihnen um ein ehrliches Geschenke angesprochen haben. Ich werde mich verhalten, wie es einem ordentlichen Burschen zukommt.“

Selbstverständlich mußten die in der Stube des Obermeisters etwa anwesenden Gesellen beim Eintritt des Zureisenden sich von ihren Sitzen erheben. Hierauf schrieb der Obermeister den Namen des zugewanderten Gesellen in das fragliche Buch ein. Vom Obermeister ging es alsdann zum Zettel- oder Zeichen-Meister, bei welchem das Wanderbuch aufgezeigt werden mußte. Dieser schrieb, um das zu häufige Wiederkommen des betreffenden Gesellen zu verhüten, seinen Namen mit Angabe des Datums in das vorgezeigte Wanderbuch. Die Zeichen, welche der Zettelmeister verabreichte, bestanden in runden oder auch viereckigen Marken, welche den Namen und die Wohnung desjenigen Meisters enthielten, bei welchem gegen Abgabe des Zeichens das Geschenk ausgezahlt wurde.




Charakterköpfe aus der deutschen Liedertafel.
II.

Im gewöhnlichen Leben vermag der Herr Director sein Jupitergesicht nicht immer beizubehalten, dafür trägt er aber eine je nach der Stärke seines Vereines mehr oder minder werthvolle goldene Uhr, eine ditto Uhrkette und einen Siegelring der schwersten Sorte, sämmtlich von verschiedenen Jahrgängen. Einige der hervorragendsten Mitglieder würdigt er seiner besonderen Vertraulichkeit, die ihn in unbewachten Stunden schon bis zum Eingehen von Brüderschaften geführt hat. Die andern nähern sich ihm mit einem aus Begeisterung und Ergebenheit zusammengemischten Gefühl.

„Herr, gieb ihm eine unbegrenzte Fähigkeit, in den allerverschiedensten Bier- und Weinsorten jedwedem Zutrinkenden Bescheid zu thun!“ das ist bei der Einsegnung eines Directors das Gebet, welches erfahrene Sangesgenossen für ihn zum Himmel richten. Zu seiner vollständigen Ausrüstung gehört außerdem eine seltene Macht der ungebundenen Rede und die Fähigkeit, Nachts beim Oeffnen der Thür mit einem unmerklichen Ruck die Vorsaalklingel anhalten und mit derselben Geschwindigkeit das Schlaggewicht der Nachtuhr abhängen zu können.

Man sagt, daß es Directoren gäbe, welche sich in der ersten Zeit hinter dem Rücken ihrer Ehehälfte auf diese Künste an heimlichen Orten und mit ledernen Klingeln eingeübt hätten, – das kann ich indessen nicht glauben. Man sagt ja so viel!

Im Gegentheil habe ich unter der Classe dieser würdigen Männer gerade die zärtlichsten Gatten gefunden. Immer besorgt, ihrem nächtlich harrenden Gespons die Freude des Wiedersehens auf jede Weise zu erhöhen, versehen sie sich an den Tagen der Vereinszusammenkünfte schon in den Vormittagsstunden mit einem kleinen Geschenk, um die liebe Frau zu überraschen, falls dieselbe bei ihrer Heimkehr noch munter sein sollte. Schläft sie freilich, dann hat sie sich’s selbst zuzuschreiben, wenn ihr die zugedachte Freude entgeht, und der beobachtende Director kommt deshalb auch bald dahinter, für dergleichen Morgengaben kleine, dem Verderben nicht ausgesetzte Fabrikate zu wählen, die er wie ein Amulet längere Zeit bei sich tragen kann und womit er eintretendenfalls sogleich jede eheliche Aufwallung besänftigt. Kein Billigdenkender wird dem Manne diese Vorsicht zu einem Verbrechen machen wollen.

„Wenn wer ein braf weip hat, der sorge und thue, daß ihme kein Rauch und Zank daraus wirt,“ lehrt Fischart, und es ist nichts als fernere Befolgung dieses weisen Rathes, wenn der Herr Director seinem „brafen weip“ das Herannahen benachbarter Gesangfeste absichtlich verschweigt und vorsorglich drei bis vier Wochen vorher sich den Schlüssel zu dem Wäschschrank zu verschaffen sucht, um daraus für sich eine kleine Hemdenanleihe zu machen. Denn die Erfahrung hat ihm gelehrt, daß die besorgte Mutter seiner Kinder dem Wunsche, „er möge sobald als möglich wieder heimkommen“, dadurch einen concreten Ausdruck zu geben vermeint, daß sie ihm die Reisetasche nur in der spärlichsten Art mit Weißzeug ausstattet. Früher hat ihn das oft in Verlegenheit gesetzt. Jetzt knöpft er zu Haus das heimlich an sich gebrachte Linnen unter den Ueberrock, und wenn er es im Coupé der legal bewilligten Aussteuer einverleibt hat, fühlt er sich vollständig sicher. Uebrigens darf man nicht in Jedem, der bei Beginn einer Sängerfahrt versteckte Wäsche zu Tage fördert, den Director vermuthen. Alle verheiratheten Sangesbrüder verstehen sich mehr oder weniger auf dergleichen Exercitien, nur haben sich die Häuptlinge darin die größte Gewandtheit angeeignet, weil sie am häufigsten in die Lage kommen, sie auszuüben.

Der Geburtstag wird dem Herrn Director alljährlich zum herbsten Prüfungstage; denn am frühesten Morgen schon überrascht ihn sein Verein mit einem hinter seinem Rücken einstudirten Morgengesange, wobei dann gewöhnlich auch irgend eine kompositorische Jugendsünde des Gefeierten wieder einmal an das helle Licht des Tages gezogen wird.

Als fungirenden Herrn Director erblickt man ihn stets von vier Solisten garnirt, und das ist ein Anblick, welcher jedem Anthropologen das größte Interesse abnöthigen muß. Was nur für Gegensätze in Schädelbildungen, Haarfärbung, Knochenbau, Temperament etc. geben kann, sie kommen hier zur Erscheinung. Diese Abweichungen sowohl von Andern, als unter sich, geben Jedem der in Frage Stehenden sein besonderes Fascikel menschlicher und unmenschlicher Gefühle, Zufälle und Leidenschaften, zu deren alleinigem Ausdruck ihn seine Stellung berechtigt.

Es liegt in der Natur der Sache, daß der lyrische Tenor der Liebling sämmtlicher unverheiratheter Damen ist, während die verheirateten Frauen mehr für den Bariton incliniren. Heldentenor und tiefer Solo-Baß theilen sich in den Beifall der Männerwelt und fühlen sich wohl dabei; denn obgleich im Allgemeinen die angegebenen Grenzen gegenseitig respectirt werden, so kommen doch bei ihren Ruhmesgenossen bisweilen Überschreitungen vor, welche zu den gefährlichsten Feindschaften führen können.

Das Ideal zarter Mädchenherzen, der provençalische Minnesänger, ist zwar ein durchweg blonder Charakter, allein was hat nicht Liebe und Eifersucht schon zu Wege gebracht! Um das sensibelste aller Instrumente nicht zu verstimmen, sind daher alle Mitglieder und namentlich der Herr Director auf das Sorglichste beflissen, von dem „Rühre mich nicht an, ich sinke“ des Vereins alle schädlichen Einflüsse fern zu halten. Man weiß, was man an ihm hat und daß er es ist, der den Leistungen erst den feinsten Lack giebt. Deswegen wird er auch nur sparsam „herausgelassen“; erst wo nichts Anderes mehr verfängt, schiebt man ihn vor und ist des Erfolges sicher.

Jedes öffentliche Auftreten ist daher ein Ereigniß, das durch einen unmäßigen Verbrauch von geschlagenen Eiern und Kandis eingeleitet wird. Während noch der Beifall rauscht, tritt aber schon sein Herr Director auf ihn zu: „Lieber Graseporst, Du hast wieder ganz herrlich gesungen, aber thu’ mir den Gefallen und knöpfe Dir den Frack zu, es zieht.“ Und nun wird Graseporst in viele Quadratruthen Shawls und gewärmte Decken gewickelt und wieder in den Kasten gelegt, wie die Boa constrictor, mit welcher der Menageriewärter immer zuletzt noch das Publicum zu einer besondern „kleinen Recommandation“ nöthigt.

Was ein richtiger Tenor ist, den wird man aus dem größten Menschengewühl herauserkennen, und wenn er ein Papagenoschloß vor dem Munde hätte. Er liebt es sich in helle Farben zu kleiden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_700.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)