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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Wenn er dürfte, ginge er ganz rosenroth. Dem ist aber sein Schneider total entgegen, und zwischen Beiden besteht deswegen ein ewiger Krieg, in welchem unser Freund freilich immer den Kürzern zieht. Kaum daß es ihm gelingt, dann und wann ein rosa Aermelfutter durchzusetzen.

Der lyrische Tenor.

Dagegen rächt er sich durch eine beispiellose Verschwendung von Himmelblau und besteckt sich heimlich mit Rosenknospen, wie eine Festtorte. Man sieht, daß seine Laufbahn nicht eine so ganz und gar dornenlose ist, wie es auf den ersten Anblick scheinen könnte. Außerdem ruht der Fluch auf seiner Stellung, mit den Augen fortwährend nach noch nicht entdeckten Sternen suchen zu müssen. Nun hat zwar die vorsorgliche Mutter Natur jedem wahren lyrischen Hochsänger ein paar Quadratzoll Weißes im Auge mehr gegeben, als andern Menschen, aber bei dem verschwenderischen Gebrauch, den er davon macht, kostet es ihn oft die schmerzlichste Anstrengung, den trotzdem eintretenden Mangel zu decken.

Der sentimentale Bariton.

Eins hängt mit dem Andern zusammen. Seine unaussprechliche Kopfhaltung nöthigt ihn dann wieder alle wirkungsvollen Lieder auswendig zu lernen, und das kommt ihm bisweilen sehr schwer an. Er macht deswegen häufige und einsame Spaziergänge, die er aber immer so zu beenden weiß, daß er zu Ausgang der Unterrichtsstunden zufällig an den besuchtesten Mädchenpensionaten vorübergeht. Die lose Schaar, der er hier begegnet, kennt ihn auch ganz gut und weiß ihn durch die Bezeichnung „das Blümchen’ oder „der Goldschnitt“ von allen seinen Concurrenten treffend zu unterscheiden.

Der Heldentenor.

Zu diesen gehört in erster Reihe der sentimentale Bariton, in der Regel „ein schöner Mann“. Es ist dieser seiner augenscheinlichen Begabung wegen der interessanteste Gegenstand für große Schnittwaarenhändler, denen er noch ganz besonders durch die immensen Carreaux seiner Hosenmuster zu imponiren weiß. Die Vertreter der größten Modewaarenhandlungen gehen ihm Tage lang nach und machen ihm die glänzendsten Offerten, in der Regel ohne ihren Zweck zu erreichen, denn wenn er sich selbstständig machen will, ist sein erster Gedanke die Anlegung einer Luxuspapierfabrik.

Der tiefste Baß.

In seiner Jugend hat er keine Ahnung davon, daß der Gott des Gesanges in ihm schlummert. Er wird davon ganz plötzlich erst durch den namenlosen Beifall überzeugt, welchen ihm der Vertrag der „letzten Rose“ bei einer Landpartie einbringt. Eine junge Wittwe, die es dabei mit der Ohnmacht kriegt, ist ihm ein Fingerzeig von oben, in sich zu gehen und einen Wirkungskreis zu suchen, wo er es mit widerhaltigeren Probeobjecten zu thun hat.

In seinem Vereine nimmt er eine ganz exceptionelle Stellung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_701.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)