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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ein, die durch eine Atmosphäre feiner Parfüms markirt ist. Sologesang ist seine einzige Leistung, gewöhnlich läßt er sich dieselbe von einem Seminaristen auf seinem Zimmer – fünf Neugroschen die Stunde – einüben. Der wahre Bariton singt nie, wie er eigentlich könnte. Er bedauert stets „heute doch nicht ganz bei Stimme zu sein“, und das ist sehr schade; denn wenn dieser Fall wirklich einmal einträte, so, denke ich, müßte das einen großen Genuß geben. Von der Betheiligung am Chorgesang hat er sich gänzlich losgesagt, seit der erste Tenor sich seine chronische Sextenbegleitung nicht mehr gefallen lassen wollte. Er betrachtet daher den Verein auch nur als Folie; um sich dies aber nicht merken zu lassen, legt er bei Stiftungsfesten in der Besorgung von Cotillonorden und bei Landpartien im Losbrennen von Feuerwerk einen großen Eifer an den Tag.

Wenn er sich photographiren läßt, und das geschieht in der Regel bei jedem Mondwechsel, so bittet er stets, mit seinem Bilde nicht zu indiscret umzugehen. Die nächsten Tage sieht man ihn aber vor allen Aushängekästen stehen, und er kann sich ganz heftig erbosen, wenn er sein Conterfei nicht neben dem einer Schönheit vom Theater erblickt. Er arbeitet aus allen Kräften, um sich in den Ruf eines „gefährlichen Menschen“ zu bringen; deswegen trägt er auch nur gestickte Cigarrenetuis, Portemonnaies, Notizbücher und wechselt damit, sobald er glauben kann, daß seine Bekannten durch ein anderes wieder überrascht werden. Das kostet ihn viel Geld.

Man kann dem Bariton-Solisten keine größere Schmeichelei sagen, als wenn man seine Stimme mit dem Klange eines Violoncello’s vergleicht. Der lyrische Tenor dagegen betrachtet sich als die menschgewordene Schalmei, obwohl er nie in seinem Leben eine solche gehört hat. Mag nun diesen beiden Vergleichen etwas Wahres zu Grunde liegen oder nicht, so viel ist sicher, daß der Heldentenor in der allernächsten Verwandtschaft zu der Trompete steht. Er hat etwas entschieden Kriegerisches in seinem ganzen Wesen. Ihm sind alle Räume für die Entfaltung seiner Stimme zu klein, und wenn er an seine Jugend erinnert wird, wo ihn, wie er behauptet, ein Theaterdirector für die Oper gewinnen wollte, so kann er in die fürchterlichsten Verwünschungen gegen sein Schicksal verfallen, welches ihn eine fideicommissarische Leihbibliothek erben ließ.

Privatim ist er stets mit der Einübung einer großen Rolle beschäftigt, denn er lebt der festen Ueberzeugung, daß ihm eines Tages das Glück lächelt und er plötzlich gebeten wird, für den heiser gewordenen Lohengrin einzutreten. Er könnte es sich nicht vergeben, wenn ihn die Mahnung unvorbereitet träfe. So betrachtet er sich zum Theater gehörig und er giebt seinem Kunstberuf einen äußern Ausdruck, indem er in seinen Lesezirkel die „Signale für die musikalische Welt“ und einige der bekanntesten Theaterzeitungen aufnimmt, außerdem aber sich mit durchreisenden Inhabern von Stereoskopencabineten und anderen Zauberern Arm in Arm an öffentlichen Vergnügungsorten zeigt.

Seine Kinder heißen, wenn er deren hat und bei ihrer Namengebung zu Rathe gezogen worden ist, Masaniello, Elsa, Recha, Hundebert – anders thut er’s nicht. Dabei ist er ihnen aber sonst ein guter Vater und seinen Sangesgenossen ein ausgezeichneter Camerad. Trotzdem wird er von den Letzteren immer wieder auf das Empfindlichste dadurch gekränkt, daß sie ihm beim nächtlichen Ständchensingen mit ängstlicher Sorgfalt aus dem Wege gehen.

Es war nicht immer so. Einst durfte auch er seine Stimme zu den halbgeöffneten Fenstern der Schönen mit emporklingen lassen, allein seitdem man bemerkt hat, daß der Nachtwächter, durch die immer lauter schmetternden Töne angezogen, regelmäßig schon bei dem zweiten Verse höchst fragweise erschien, „was denn das wieder für ein Scandal sei,“ – seitdem verschweigt man unserm Helden alle derartigen minniglichen Unternehmungen. Er ahnt so etwas und hat mit einem gräßlichen Fluche geschworen, jegliches Piano vom Erdenrunde zu verbannen.

Fern diesem ganzen leidenschaftlichen Treiben steht der tiefe Baß, der eherne Grundpfeiler jeder Harmonie. Dies schönste Bewußtsein füllt seine Brust, aber macht sie nicht stolz. Er lächelt über die Thorheiten seiner Umgebung; groß übersieht er sie und kommt deswegen nie in Gefahr, an denselben Theil zu nehmen. Entgegengesetzt den drei von den Wirbeln der widerstrebendsten Leidenschaften hin und her Geschleuderten, durchschifft er ruhig wie Kühleborn die Wogen. Drängt sich die kleine Außenwelt zu lärmend an ihn heran, dann, weiß er, braucht er nur niederzutauchen in die grundlosen Tiefen seiner gewaltigen Resonanz, um ganz allein zu sein mit seiner Majestät, denn Niemand vermag ihm in diese Regionen zu folgen.

Selbstverständlich gilt dies nur von dem tiefsten Baß, von jener phänomenalen Erscheinung, die sich in jedem Vereine nur in einem einzigen Exemplare vorfindet. Die große Menge der übrigen zweiten Bässe steht vor ihrem Meister, wie Faust vor dem Erdgeiste. Aber mild lächelt er ihnen zu, wenn das tiefe C sich aus den Kellerräumen seiner Kehle entwickelt: „Fürchtet Euch nicht, ich thue Euch nichts.“ Es scheint in der That unglaublich, daß ein Mensch mit einem so furchterregenden Schnarrwerke in der Brust nicht manchmal in Versuchung kommen sollte, davon einen unchristlichen Gebrauch zu machen. Und doch wird man nie davon gehört haben, daß sich dieses tiefste aller Organe je feindlich gegen einen Nebenmenschen gekehrt habe. Man denke an Sarastro.

Der tiefe Baß steht deswegen allein schon hoch über dem Löwen, wenn ihn auch nicht die angeborne Möglichkeit sein Leben mit Pflanzenkost zu fristen von dem König der Thiere noch zu seinem Vortheile unterschiede.

Nur in einem Punkte ist er verwundbar, und leider drückt sich bisweilen schon bei der Geburt der Dorn in diese weiche Ferse. Je tiefer nämlich die Stimme herabgeht, umsomehr steigt, nach einem übrigens ganz natürlichen Gesetze, die Vorliebe für das Rasselnde, welches im Buchstaben r liegt, und unser Freund kann von einer chronischen Schwermuth ergriffen werden, wenn er eines Tages inne wird, daß er ja doch eigentlich „Hempel“ heißt, oder gar „Leimlein“, wie es häufig der Fall ist.




Amerikanische Special-Mittheilungen der „Gartenlaube“.
Nr. 1. Eine Präsidentenwahl.

Wir stehen mitten in einem Präsidentschaftswahlkampfe. Ja wohl, ein Kampf ist’s, und ein „Feldzug“ wird es nicht unpassend genannt, dieses Ringen zweier großen Parteien um die Stimmenmehrheit, und trotz aller Mängel des hiesigen Parteilebens ist es obendrein ein großartiger Kampf. Es wird in jedem dieser aller vier Jahre wiederkehrenden Präsidentschafts-Wahlkämpfe ein Stück Weltgeschichte fertig, ein größeres Stück, als im Mittelalter in einem Jahrhundert zurückgelegt wurde, und indem sich jeder Mensch im Lande – höchstens die Kinder in der Mege ausgenommen – irgendwie an diesem weltgeschichtlichen Thun betheiligt und obendrein sich bewußt ist, daß die Augen aller denkenden Zeitgenossen sämmtlicher Erdtheile auf dasselbe gerichtet sind, bekommt diese Wahlbewegung ein ungemein aufgeregtes Ansehen.

Um diese Zeit erkennt man das amerikanische Volk kaum wieder. Seine sonstige Kühle und Gleichgültigkeit weichen einer fast fieberhaften Unruhe, seine sonst nur passive, ruhig zusehende Betheiligung an der Politik seines Landes einer selbstthätigen und lauten. Man kann kaum zwei Menschen beisammen sehen, ohne sie zugleich von der Wahl, den Wahlbewerbern, ihren Glaubensbekenntnissen und Aussichten reden, wenn nicht etwa gar sich streiten zu hören. Jeder stimmberechtigte Bürger (und selbst solche, die es nicht sind) wird zum Propagandisten seinen Parteistandpunktes, die Frauen und Kinder werden davon mit angesteckt, und so verschlingt auf ein paar Monate die Politik fast jedes andere allgemeine Interesse. Kein anderer Volkscharakter hat so wenig Anlage dazu, sich für irgend etwas zu begeistern, als der anglo-amerikanische, und dennoch macht sich während einer Präsidentenwahl etwas bemerklich, welches der Begeisterung sehr ähnlich sieht. Man arbeitet sich künstlich in eine tiefe Ergriffenheit für die Landesangelegenheiten der Gegenwart hinein und bringt dafür Opfer an Zeit, Geld und Gesundheit, welche andere Nationalitäten nur bringen, wenn sie wirklich begeistert sind. Stadt und Land bekommen in solchen Zeiten ein festliches Aussehen. Riesige Banner in den Landesfarben und mit Inschriften aller Art versehen hängen aus den obersten Fenstern einander gegenüberliegender Häuser über fast jede Straße herab; viele Privathäuser sind mit Flaggen geschmückt; hier und da werden wohl riesige Freiheitsbäume errichtet und mit Blumengehängen, den Landesfarben und der phrygischen Freiheitsmütze verziert; nicht selten durchziehen bei Tage, gewöhnlich aber fast jede Nacht, Aufzüge der Parteien die Straßen, Transparente mit allerlei Inschriften oder sinnbildliche Gegenstände tragend, von Musik oder Trommeln geführt, Hurrah für die Partei und ihre Candidaten schreiend, Feuerwerke abbrennend und zuletzt in Wahlversammlungen in Sälen oder unter freiem Himmel endend, bei denen oft drei, vier und mehr Redner sich hören lassen, so eindrucksvoll und kräftig wie möglich. Jede Partei hat in jedem Oertchen von einiger Größe, sowie in jedem Stadtviertel größerer Städte ihr „Hauptquartier“,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_702.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)