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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

in das hinterste grüne Stübchen des Wirths Moos, wo ohnedies kein ehrlicher Mann hinging. Aber hier wird gespielt in einem hellerleuchteten Saal voll Glanz und Pracht, und rundherum stehen vornehme Herren und geputzte Damen, die viel zu vornehm und zu reich sind, um selbst zu betrügen, und viel zu gelehrt und klug, um sich betrügen zu lassen. Jedermann kann dem Mann, der die Scheibe dreht, auf die Finger gucken. Da geht Alles ehrlich und offen zu. Das ist nicht, wie in Moosens Haus. Und was thut’s denn, wenn ich auch einmal ein Goldstück verliere? Das soll dann das letzte Mal sein. Einmal ist Keinmal. Und wenn ich die gewonnenen fünf Gulden sechsunddreißig Kreuzer abziehe, wieviel Verlust bleibt dann? …“

Im Frühjahr, als die Schwalben wieder kamen, kam auch der Baron Fechenbach und schlug sein Roulettespiel wieder auf im Alleesaal in Schwalbach, ein paar hundert Schritte vom Weinbrunnen. Und die Leute, die an dem Brunnen Gesundheit trinken sollten, tranken lieber im Alleesaal Gift, das Gift der bösen Leidenschaften, des Hoffens auf Wunder, des Aberglaubens und der Verachtung der ehrlichen saueren bürgerlichen Arbeit.

Unser Peter von Wombach hatte ein gutes Bienenjahr gehabt und viel feinen Honig erzielt. Er hatte diesen im Mai in die Stadt getragen und einen schönen Preis erzielt, zehn Gulden mehr, als er gehofft. Da stieg ihm wie eine Feuergarbe der Gedanke im Kopfe auf: „Von diesen zehn Gulden weiß Deine Frau nichts, damit wird gespielt; damit wechsele ich mir ein Goldstück ein und setze es auf eine Nummer. Gewinne ich, dann habe ich statt eines meine sechsunddreißig Goldstücke. Verliere ich’s, nun dann hat die arm’ Seel’ Ruh, dann ist’s aus und vorbei, und kein Teufel soll mich mehr in dem Alleesaal sehen.“

Zu Hause gab er seiner Frau den Erlös um zehn Gulden geringer an. Er schlief die Nacht, obgleich er müd war, schlecht; er hatte seine Frau belogen und ging mit geheimen Gedanken um. Auch überlegte er, wie er zu einem Goldstück kommen sollte. Da fiel ihm das „Ziegen-Herzchen“ ein, oder wie es sich nach seiner neuen Aera nannte, der Commissionär und Advocat Herz Jesaias Fays in Schwalbach. Herzchen war ein israelitisches Waisenknäblein. In seiner Jugend hatte er sich damit ernährt, daß er in der Umgegend von Schwalbach die Felle der Lämmer und Ziegen zusammenkaufte und an den Hauthändler Bär Hirsch Baum in Wiesbaden verkaufte. Damit hatte er sich ein kleines Capital gemacht, und mit diesem Capital war er in die Welt gegangen. Später hatte er eine Zeit lang in Wiesbaden als Advocatenschreiber prakticirt, und zuletzt war er Amanuensis bei dem Chef der geheimen Polizei, dem damaligen Regierungsrath W*. Von da kehrte er nach Schwalbach zurück und etablirte sich als Commissionär und Advocat (d. h. als Winkeladvocat, oder wie es die Bauern etwas derb nennen, als „Ferkelstecher“), indem er prätendirte, daß die Leute, die ihn früher „Herzchen“ und „Du“ angeredet hatten, ihn nunmehr „Herr Doctor Fays“ und „Sie“ nennen sollten. Allein die Leute thaten das nicht, sondern wählten einen Mittelweg, indem sie ihn „Doctor Pfui“ titulirten. Von der Advocatur des selbstgeschaffenen Herrn Doctor war nun zwar nicht viel zu verspüren, wohl aber hatte er sonst seine Hände in Allem und namentlich in Allem, was das Spiel angeht. Das Spiel ist eine sociale Krankheit, und es heißt: „Wo das Aas ist, da sammeln sich die Geier“. Haltet Euch nur wenige Tage an dem Orte einer Spielhölle auf, und wenn Ihr nur die geringste naturwissenschaftliche Beobachtungsgabe habt, so werdet Ihr unter allen den Masken mit Uniform und Degen, von Director und Rath und Geheimerath und Commerzienrath, alsbald die Aaszüger herausfinden. Auch Herr H. J. Fays war ein solcher, aber vorerst nur noch ein ganz kleiner. Indeß „was ein Dörnlein werden will, das spitzt sich bei Zeiten.“

Herr H. J. Fays lieh auf Pfänder und Zinsen, und zwar ganz geheim an Solche, welche öffentlichen Credit entweder nicht besaßen, oder ihn zu gebrauchen sich scheuten, sei es aus wahrer, oder – was das häufigere ist – aus falscher Scham. Er nahm in der Regel nur auf den Monat neun, also auf das Jahr hundertundacht Procent. Allein es klagte Niemand darüber, denn erstens ging Alles ganz geheim, und zweitens hatte Fays auszusprengen gewußt, die Gelder kämen von einem gar mächtigen und hohen Herrn in Wiesbaden, und wer mit dem anbinde, der komme in des Teufels Küche. Daß Fays mit der geheimen Polizei in Beziehungen stand, glaubte man. Noch kürzlich war ein Mann, den man zur Opposition zählte, zu einer Correctionshausstrafe verurtheilt worden, weil er auf einer öffentlichen Versteigerung für ein Portrait des Landtagspräsidenten Herber einige Gulden und dagegen für das des regierenden Herrn nur ebenso viele Kreuzer geboten hatte. Man fand darin eine Majestätsbeleidigung. Es waren gefährliche Zeiten. In Mainz saß und tagte die „schwarze Commission“ oder, wie sie mit ihrem officiellen Titel hieß: „Die geheime Bundes-Central-Untersuchungs-Commission“ …

Und Doctor Fays war sehr intim mit dem Amtmann. Er war ein sehr loyaler und frommer Unterthan. Auf Herzogs Geburtstag schrie er bei dem Toast immer am allerlautesten von Allen sein „Hoch“, und wenn er nicht zufällig ein Israelite gewesen wäre, würde er auch bei der Procession eine Kerze oder Fahne getragen, oder allerwenigstens aus einem dicken Goldschnittsgesangbuch laut gesungen haben.

Warum ich diesen Herrn genauer beschrieben habe, als den Helden der Geschichte? fragt der Leser. Ei nun, weil der Herr zu den charakteristischen Anhängseln des Spiels gehört, und weil er in unserer Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Denn an dem Tag, welcher dem Verkauf des Bienenhonig und dem Belügen der Frau folgte, schlich unser Wombacher Peter bei Fays zur Hinterthür herein. Zu der Vorderthür, auf welcher in einem blauen Schild mit großen gelben Buchstaben geschrieben stand: „Commissionsbureau und Advocatur von H. J. Fays“, hineinzugehen, schämte sich der Bauer. Auch zur Hinterthür kam er wieder heraus.

Was hatte er drinnen gethan? Nichts als einen Tresorschein von zehn Gulden umgewechselt gegen ein Goldstück. Als solches hatte ihm der Herr Doctor einen Napoleon ausgehändigt, der freilich vierzig Kreuzer weniger werth war, als die zehn Gulden. Das nannte der Herr Doctor eine kleine Provision. Warum hatte Peter das Geldwechselungsgeschäft gerade bei Fays vorgenommen? Weil er das Geheimniß suchte, weil ihn sein Gewissen drückte, und weil er deshalb dachte, er gehe am besten zu Jemandem, der selber in seines Herzens Schrein gerade nicht Alles in bester Ordnung habe.

Abends spät zu einer Stunde, wo noch gespielt wurde, aber Einheimische nicht mehr dabei waren, huschte Peter in den Alleesaal. Er ging, wieder mit Rock und Vatermördern maskirt, entschlossen auf den Spieltisch zu und setzte seinen Napoleon auf Nummer Eilf. Die Kugel rollte und sprang, der Bankhalter sprach einige Worte, die Peter nicht verstand. Der Croupier schob ihm mit einem hölzernen Rechen fünfunddreißig blanke Goldstücke zu seinem einen hinzu. Die Nummer war herausgekommen. Peter griff mit beiden Händen zu und schob das Gold in die Hosentaschen. Er stürzte aus dem Saal in’s Freie. Er konnte kaum athmen und fürchtete einen Schlagfluß. Erst nach und nach kam er zu sich, aber er war nicht froh. Er ging den Lampen, die vor dem Hause hingen, aus dem Wege und suchte sich die dunkelste Hainbuchen-Allee auf, welche dem Weinbrunnen und dem Paulinenbrunnen entlang an den Münzbach aufwärts führt. Je näher er dem Walde kam, desto unheimlicher ward es ihm, er glaubte allerlei Schatten zu sehen und Stimmen zu hören. Hatte es nicht da eben dicht neben ihm ganz leise „Peter“ gerufen? Es „gruselte“ ihn. Auf einmal hält ihn auch Jemand an dem Zipfel des erborgten Leibrocks. Es war eine lange, knochige, krallenartige Hand und die Hand gehörte einem aus dem Schatten einer alten Hainbuche hervortretenden kleinen Menschenkind mit krummem Rücken und noch krummerer Nase, dem über seine niedrige Stirn kleine schwarze Locken in Propfenzieher Format herabhingen. Es war Fays. „Peter,“ schmunzelte er, „was habt Ihr in Eurem Hosensacke? Gebt mir eins von den schönen blanken Dingen. Mir habt Ihr sie doch zu verdanken. Es war ein Heckethaler, den ich Euch wechselte. In ihm stak das Glück. Gebt mir eins; es wird Euch nicht thun leid, es wird nicht sein Euer Schaden!“

„Dummes Geschwätz,“ sagte Peter und wollte weiter eilen. Aber Fays folgte ihm zur Seite, wie sein Schatten, immer leise auf ihn einredend.

„Peter,“ lispelte er, „Ihr habt gespielt an der Roulette. Wißt Ihr, wer spielen darf an der Roulette? Der Curfremdling. Wißt Ihr, wer nicht spielen darf? Das eingeborene herzoglich nassauische Landeskind. Für uns hat gemacht der gnädigste Landesvater ein mächtig Gesetz, wo gedruckt steht im Gesetzblatt, daß, wenn wir spielen an der Roulette, so kostet’s das erste Mal

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_714.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)