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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

fünfzig Gulden Strafe, das zweite Mal hundertfünfzig Gulden, und das dritte Mal werden wir gethan hinter Schloß und Riegel auf volle drei Monat. Von der Straf’ kriegt der Anzeiger die Hälfte als Fanggeld. Könnt’ ich mir nicht verdienen fünfundzwanzig Gulden? Gebt mir einen Napoleon, es soll nicht sein Euer Schaden.“

„Miserabler Bub’,“ zürnte der Bauer, „dann fang’ ich lieber gleich mit der dritten Strafe an und gebe Dir die Hälfte, sechs Wochen Correctionshaus. Lieber bezahl’ ich dem Amtmann fünfzig Gulden Straf’, als Dir einen Kreuzer Hehlgeld.“

„Peter, seid vernünftig,“ mahnte Fays, „Ihr könnt nicht zahlen an den Amtmann. Der Amtmann setzt nur die Strafen, aber Geld darf er keins nehmen. Er schreibt die Straf’ in ein groß Buch. Das Buch wird geschickt alle Vierteljahr an die Steuercasse. Die schreibt dem Rentmeister und der dem Erheber und der dem Dorfschulzen, und dann wird’s Euch gefordert. Eh’ Ihr’s nur bezahlen dürft, werdet Ihr eingeschrieben in sechs große Bücher und herumgeschleppt bei allen hohen und niedrigen Obrigkeiten. Weiß es der Dorfschulze, weiß es Euer Schwiegervater; weiß es der, dann weiß es Eure Frau, daß Ihr gespielt habt an der Roulette. Nun Peter, wie heißt?“

„Kerl, ich zerschlage Dir alle Knochen in Deinem nichtsnutzigen –“ schrie Peter, indem er den Stock hob.

„Halt, Peter, halt,“ mahnte Fays, „hitzig ist nicht witzig. Peter, bedenkt, wart Ihr nicht gewesen am vorletzten Sonntag mit dem Schuster-Jacob zu Wiesbaden in dem Wirthshause bei dem Polen-Bücher, wo gesungen worden sind gefährliche Lieder? ,Noch ist Polen nicht verloren’, und ,Fürsten, zum Land hinaus’, und sonst?“

„Ich hab’ nicht mitgesungen,“ antwortete Peter mit der Ruhe eines guten Gewissens.

„Nicht mitgesungen? Wird Dir was Schönes helfen,“ höhnte Fays, „solche Lieder singen ist Hochverrath. Wer Hochverrath hört, sieht oder riecht, muß es anzeigen in den ersten vierundzwanzig Stunden, sonst ist er so schuldig und strafbar, wie der Maleficant selber und kommt auf Lebenszeit wohin, wo er scheinen sieht keine Sonn’ und keinen Mond. Peter, bedenkt. Hier steh’ ich, wenn es noch dauert eine Minut’ und ich hab’ nicht zwei Napoleon, dann kost’s drei; und dauert es dann noch eine Minut’, dann geh’ ich und schell’ den gestrengen Amtmann aus seinem Bett, nicht wegen Roulettespiel, aber wegen Hochverrath, und es dauert keine halbe Stund’, dann kommen die Landjäger zu reiten mit den Ketten, und Du und der Schuster-Jacob –“

Peter ließ ihn nicht ausreden. Das Ende vom Liede war, daß Fays zwei Napoleon erhielt und Schweigen versprach. Er drückte zum Abschied Petern die Hand mit dem Bemerken: „Ihr werdet mich kennen lernen als einen Mann von Wort, als einen Mann von Wahrheit und Ehre; wenn Ihr habt nöthig Beistand und Hülf, kommt zum Fays.“

Und es ist richtig; was er über die bestehenden Gesetze gesagt hatte, das war wahr. Als das Ziegenherzchen heimlich wie ein Schatten in der Allee verschwunden war, wischte Peter seine Hand, die ihm Fays gedrückt, im nassen Gras neben dem Wege ab. Sie kam ihm vor wie schmutzig. Die vierunddreißig Napoleon brannten ihm in der Tasche, wie höllisches Feuer, und auf der Zunge glitt ihm ein Fluch hin von der hier landesüblichen Länge. Er fing an mit: „Himmel-Kreuz-Element-Millionen-Donnerwetter-Schockschwerenoth, krieg’ die Kränk’, Du miserabeliger –“ etc., und als er zu Ende war, war Peter zu Haus. Er hatte vierunddreißig Goldstücke, aber einen Mitwisser, einen Rathgeber, einen Beherrscher. Das lag ihm schwer auf dem Herzen.


Ein Mann, der gespielt und gewonnen, ist wie ein Löwe, der Blut geleckt hat: er kommt wieder. Denn es schmeckt nach Fortsetzung. Jeden Sommer lassen die Spieldirectoren von bezahlten Federn große Gewinne in die Welt posaunen. Da heißt es: In Homburg vor der Höhe hat der große Spieler Don Manuele Garcia die Bank gesprengt und eine halbe Million gewonnen; in Wiesbaden hat der walachische Fürst Mekadiamantopetrovicz oder der Grieche Anakaladiapopulos das Gleiche gethan und eine Million Franken davongetragen. Es ist gerade, als wenn alle Spielbanken der Welt Bankerott machen müßten. Wenn aber im Herbst die Herren Spieldirectoren den Actionären auf der Generalversammlung Rechnung ablegen, dann weist der „Baron Wellens“ in Wiesbaden eine Spieleinnahme von anderthalb Million Gulden nach und vertheilt einige dreißig Procent Dividende. Wie stimmt das zusammen? Die Einnahme und Dividende sind jedenfalls Wahrheit, und die Nachrichten über die Verluste sind theils übertrieben, theils ganz erfunden, um Gimpel in das Netz zu locken. Wenn aber einmal ein Spieler wirklich einen großen Gewinn gemacht hat, dann streicht der „Spielbaron“ lächelnd seinen Bart und sagt: „Das ist blos geliehen.“ Und richtig, der Spieler kommt wieder, er verliert seinen Gewinn und wird daneben noch ausgeplündert bis auf’s Hemd. Der vielgenannte Spanier, der in Baden, Wiesbaden, Homburg, Nauheim etc. die Millionen gewonnen hat, endete damit, daß ihn das Schicksal nackt und bloß an den Strand von Paris warf, wo ihn die Polizei in einer geheimen Spielhölle beim Betrug ertappte und durch Vermittelung des Gerichts auf die Galeeren schickte. Die Spieler kommen von den Galeeren, oder sie gehen dahin – und das Alles unter der schützenden Aegide deutscher Landesväterlichkeit!


Auch Peter kam wieder, wobei ihm sein Freund Fays, als „Mann von Wort und Ehre“, behülflich war. Fays hatte, nachdem er die zwei Napoleon bekommen, Wort gehalten. Er hatte Petern weder wegen Hochverraths, noch wegen strafbaren Hazardspiels denuncirt, er hatte ihm vielmehr seinen Beistand und seine Hülfe angedeihen lassen, freilich in seiner Art. Zunächst hatte Peter seiner Frau etwas vorgeschwindelt in Betreff der Einnahmequelle, woraus das Geld geflossen. Den größern Theil hatte er zu wirthschaftlichen Zwecken verwandt, den Rest aber u. A. dazu, sich städtische Kleidung anzuschaffen, womit er seinem eigenen Hochmuth schmeichelte, die bäuerlichen Landsleute gegen sich erbitterte und, was das Schlimmste war, sich die courfähige Tracht zum Spielsaal erwarb.

Sein zu Tag getragener Wohlstand, dessen Ursache man im Dorfe nicht kannte, weckte den Neid. Man raunte sich zu, das sei nicht just, wer wüßte, wem der sich verschrieben; der habe gewiß ein Hanselmännchen, oder eine „Spirifilaris“ (spiritus familiaris). Darüber gab’s Zank, Streit, blutige Köpfe, Untersuchung, Strafe, Kosten, Amtsgeläufe, Sporteln, Anwaltstaxen und – immer größere Abhängigkeit von dem „Manne von Wort und Ehre“, immer häufigere Rückkehr zum Spiel. Aber das Glück hatte sich gewandt. Die Alten malen es als ein reizendes Weib, das auf der Stirn schöne volle Locken trägt und auf dem Hinterhaupt eine Glatze. Für unsern armen Peter existirten die Locken nicht mehr, nur noch die Glatze.

Nachdem er ansehnliche Summen verloren, kam er auf die Idee, das Terrain in Schwalbach sei ihm nicht mehr günstig. Denn alle Spieler sind abergläubisch. Statt von Wombach aus gen Norden, nach Schwalbach zu pilgern, zog er gen Süden, nach Schlangenbad, wo damals auch eine Spielbank war. Als es dort auch schlecht ging, zog er nach Wiesbaden und dann nach Homburg vor der Höhe und darauf nach Wilhelmsthal, Nauheim und wie alle diese Spielbäder heißen, die sich unweit des Rheins gruppiren als Ueberreste aus jener Zeit, da man diesen Strom die „große Pfaffengasse“ nannte und sich Erzbischof und Bischof, Prior und Abt, Domherr und Generalvicar, Weihbischof und Ordinariatsrath, Canonicus und Aebtissin, Deutschordensherr und Stiftsdame und der sonstige hohe und niedere Adel aus den zahlreichen und üppigen Manns- und Frauenklöstern der Umgegend in diesen Bädern tummelten.

Peter entfremdete sich immer mehr der treuen Mutter Erde, welche dem Bauer ein schweres, aber sicheres Stück Brod bietet. Er wurde ein Spiel-Nomade. Habe ich nöthig, ausführlich zu erzählen, wie er von Stufe zu Stufe seines Wohlstands berabstieg; wie er dies und jenes verkaufte, um seiner Frau die wirkliche Lage zu verheimlichen; wie er in den Schuldthurm wandern mußte und in Concurs gerieth, und wie sein Weib endlich vor Gram sich hinlegte und starb?

Unermüdlich wanderte Peter von einem Spielbad zum andern, ein moderner Ahasver. Sein Haar wurde vor der Zeit grau und fiel dann aus. Seine Rettung erblickte er endlich in einem Franzosen, der zu der Zunft der professeurs de jeux gehörte und auf wissenschaftlich-praktischem Wege das unfehlbare Mittel entdeckt hatte, eine jede Bank zu sprengen. Das gab einen Wendepunkt in Peter’s Schicksal. Er wurde nämlich von nun an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_715.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)