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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Urmensch.
Von Karl Vogt in Genf.


III.
Verschiedener Menschentypus der verschiedenen Epochen. – Die Pfahlbauerepoche. – Verbreitung der Pfahlbauten über ganz Europa. – Die Steinpfähler. – Die Bronzepfähler. – Die Epoche des Eisens. – Der helvetische oder Sion-Menschtypus. – Das Alter des Menschengeschlechts.

Die Aufeinanderfolge der Epochen, welche wir aus der Veränderung der umgebenden Thierwelt, aus der Bearbeitung der Instrumente und der Zähmung der Hausthiere nachzuweisen suchen, hat uns also von Belgien und Nordfrankreich nach Südfrankreich und Nordspanien und von dort wieder nach Dänemark und Norddeutschland geführt. Dabei hat sich aber das merkwürdige Resultat herausgestellt, daß jede dieser Epochen wenigstens eine ihr zukommende Menschenrace besitzt, deren physische Charaktere ebensoweit von einander abstehen, wie nur die jetzigen, über die ganze Erde verbreiteten Menschenracen abweichen können. Mit der Ansicht, daß alle Menschenarten von einem einzigen Paare abstammen und ihre Verschiedenheiten sich nur allmählich herausgebildet haben, wie jeder konsequente Einheitler des Menschengeschlechtes doch annehmen muß, stimmt doch wohl diese nackte Thatsache am wenigsten. Die Verschiedenheit der Menschenracen ist schon in den ältesten Resten derselben vorhanden, die wir nur irgend kennen.

Aber unsere Aufgabe ist noch nicht beendet. Innerhalb der engen Grenzen, welche die Unkenntniß der Metalle und die Beschränkung auf Stein, Horn und Holz dem menschlichen Erfindungsgeiste zieht, innerhalb der Steinzeit, wie man diese lange Urzeit genannt hat, ist noch mancher Fortschritt möglich. Wir treten in die Epoche der Pfahlbauer.

Warum sie gerade in Lagunen, in Seen, in Torfmoore und Flußbuchten bauten? Man hat uns neulich gerathen, nach Venedig zu gehen, dessen Paläste ebenfalls auf Pfähle und Roste gegründet sind, und dort nach dem Grunde der Erscheinung zu suchen. Aber ich zweifle, daß Venedig, wo sich Civilisation auf Civilisation gethürmt hat und die alten Culturschichten unter der Last der Marmorpaläste vergraben liegen, daß diese Lagunenstadt uns nur so viel bieten könnte, als die alten Pfahlbauten, über die sich nur schützender Torf oder Schlamm gelegt hat. Der fromme Troyon hat die Frage für alle Frommen genügend beantwortet – die Pfahlbauten sind die bibelgemäße Entwicklung der Flöße, auf welchen die Nachkommen Sem’s, Ham’s und Japhet’s das Mittelmeer umschifften und in die Flußmündungen eindrangen, um dem Laufe der Flüsse folgend bis in das Innere des Continents zu gelangen. Mußten doch capitale Kerle sein, diese Flößer! Heut zu Tage flößt man flußabwärts, genau in derselben Richtung, in welcher das Wasser strömt – damals floß wahrscheinlich das Wasser bergauf! Welche Antwort man wohl von einem Schwarzwälder Floßmeister bekommen würde, dem man zumuthen wollte, sein Floß von Basel aus nach dem Bodensee, statt nach der Nordsee schwimmen zu lassen?

Mögen es nun Wohnungen zum Schutze gegen Angriffe und wilde Thiere oder Magazine sein, welche auf den damals fast nur allein möglichen Handelswegen der Wasserverbindungen errichtet wurden – genug, die Pfahlbauten existiren und der Kreis ihrer Verbreitung erweitert sich mit jedem Tage. Die Schweiz ging voran mit der Entdeckung und allseitigen Ausforschung, Italien folgte, Irland und England blieben nicht zurück, und neuerdings nimmt Deutschland auch seinen Antheil daran, indem Desor mit seinem treuen Benz im Stahrenberger See und Jeitteles in Olmütz sie nachwies. „Was sie im Auslande nicht Alles erfinden!“ sagte ein Custode in München zu einem meiner Freunde. „Da ist neulich ein Professor aus der Schweiz gekommen mit einem kleinen Kerl mit katzgrauen Augen, und der Professor sagte: Da im See, da an der Roseninsel, da müssens’s sein. Ja, sagte der Andere, ich seh’s auch. Und da fischten sie hinein und zogen die Sachen heraus. Unsere Herren, die mit waren, konnten nix sehen, bis es heraus war. Dann sind sie wieder fort – aber den Orden werden’s dem Professor wohl nachschicken, wenn er auch in der Schweiz wohnt, wo sie darauf nicht viel geben.“

Die Pfahlbauten sind also wohl über ganz Europa zerstreut und dienen sogar häufig als Grundlagen späterer Ansiedlungen, die sie verdecken. In Italien kömmt es nicht selten vor, daß man über der Pfahlbauschicht alle die Culturschichten findet, welche auf diesem classischen Boden sich ausgebreitet haben, etruskische, römische, mittelalterliche Reste, die einen die andern deckend und bergend. Anderswo sind diese Reste unter dem Schlamm der Seen, unter dem Torf der Moore begraben.

Es waren längliche Hütten, die theils auf Rosten, theils auch auf Packwerk standen, das aus Holzstücken zusammengehäuft, mit Lehm verbunden und durch Pfähle festgehalten wurde. Offenbar liefen um die Hütten Rostböden, die über dem Wasserspiegel standen und die Communication vermittelten. Die Pfähle selbst staken tief im Seegrunde, häufig mit angekohlten Spitzen. Die meisten Ansiedlungen sind durch Feuer zerstört worden, und aus der Richtung der Kohlenstückchen und der Asche konnte Messikomer, einer der verdientesten Forscher in der Nähe von Zürich, nachweisen, daß die Ansiedlung von Robenhausen am Pfäffikon-See bei einem heftigen Föhnsturme abgebrannt sei.

In der Schweiz läßt sich der Fortschritt in der Civilisation des Urmenschen während der Pfahlzeit deutlich verfolgen. In der Ostschweiz am Bodensee, an den Seen von Pfäffikon und Zürich sind die Geräthschaften noch roh, klotzig, unbeholfen, bäurisch in der Form, in der Westschweiz, bei Concise am Neuenburger See, in einer sehr reichen Station, welche der waadtländische Cantönligeist, gestützt auf die sprüchwörtlich gewordene Selbstsucht eines frommen Privilegienhaschers, während längerer Zeit der freien Forschung unzugänglich gemacht hatte, in Concise finden sich feinere Formen, gefälligere Werkzeuge, besser ausgearbeitete Verzierungen.

Offenbar ist es der Besitz fester Wohnungen, welcher die erste Bedingung der Civilisation bildet. Sobald das Jäger- und Nomadenvolk sich an den Boden gefesselt hat, strengt es auch seinen Scharfsinn an, denselben urbar und nutzbar zu machen, seine Production zu erhöhen und mehr Nahrungsstoff aus der Umgegend zu ziehen, als diese freiwillig bieten würde. Mit dem Zusammenwohnen muß auch eine gewisse Ordnung, ein gesellschaftlicher Verband entstehen, der vielleicht im Anfange sich nur auf die Familie beschränkt, bald aber sich ausdehnt. Wenn man bedenkt, daß in den Seen und Torfmooren der Schweiz allein jetzt über dreihundert Pfahlbauten nachgewiesen worden sein mögen, daß der Bieler- und Neuenburger-See überall den Ufern entlang mit solchen Bauten, deren Flächenraum oft großen Dörfern entspricht, förmlich bespickt erscheinen; daß außerdem noch ganz gewiß auf dem Lande Ansiedlungen waren, da man einerseits bei Zürich am Ebersberge eine solche gefunden hat, anderseits menschliche Gebeine in der Umgebung der Wasserbauten fast gänzlich fehlen: so kommt man unwillkürlich zu dem Schlusse, daß diese Bevölkerung eine ziemlich zahlreiche gewesen sein muß, in gesellschaftlichen Beziehungen lebte und Ackerbau und Viehzucht zu treiben genöthigt war, um auf so beschränktem Raume sich nähren zu können.

Der Fortschritt der Cultur läßt sich besonders an den Hausthieren, an der Landwirthschaft und den Gewerben nachweisen. Der Hund, der auch in den ältesten Zeiten der dänischen „Küchenabfälle“ vorhanden war, findet sich überall in der Schweiz; eine eigene Schweinsart, das Torfschwein, dessen Nachkommen jetzt kaum noch in den Thälern um den Gotthardt gezüchtet werden, findet sich anfangs nur wild, später aber in gezähmtem Zustande vor; das Wildschwein bleibt lange noch wild, erst in Concise gegen das Ende der Periode, die wir als die Epoche der Steinpfähler bezeichnen können, kommt es[WS 1] gezähmt vor und scheint dort als zahme Hausthierrace eingeführt worden zu sein. Der Wisent oder Auerochs, der jetzt noch in den polnischen Wäldern lebt, ist niemals gezähmt worden; der nicht minder große Ur hat sich zur friesischen Rindviehrace einigermaßen umbilden lassen, zeigt sich aber in der Steinzeit nur selten gezähmt. Dagegen giebt es eine kleine Rindviehrace, am ähnlichsten vielleicht dem noch jetzt in Algier gezüchteten Kleinvieh, die Torfkuh, welche allgemeines Hausthier wurde und die bekannte Schwyzer Race oder das Braunvieh der Schweiz gebildet hat. So haben also die Steinpfähler das Schwein und das Rind – aber auch das Schaf und die Ziege fehlen nicht. Letztere unterscheidet sich nicht von der gegenwärtigen, das Schaf aber hatte ziegenähnliche Hörner und scheint sich noch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage mit Doppelung "in Concise"
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_726.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)