Seite:Die Gartenlaube (1864) 735.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der Winterruhe zu feiern. Dies geschah denn auch wahrscheinlich in reichlicher Weise. Vielleicht ist das Verzehren der Martinsgans ein Brauch aus uralter Zeit. Dieselbe mußte in neuem Weine schwimmen. Daher schreiben sich die Gastmahle um diese Tage, zu deren Ehren die Mönche allerlei schnurrige Lieder gedichtet haben:

Herbei, herbei zur Martinsgans,
Herr Burkart mit den Bretzeln – jubilemus
Bruder Urban mit den Flaschen – cantemus
Sanct Bartel mit den Würsten – gaudeamus
     Sind alle starke Patronen
     Zur feisten Martinsgans.

oder:

Bruder Urban, gieb uns Wein,
So trinken wir und schenken ein,
Die Gans, die will begossen sein,
Sie will noch schwimmen und baden,
So wird uns wohl gerathen
Haec anseris memoria

Dann ist aber der Tag auch deshalb merkwürdig, weil an demselben der Pächter seinem Gutsherrn den Zins zu entrichten verpflichtet war. Dieser Gebrauch besteht am Niederrhein noch allerwärts. Außerdem ist Sanct Martin von mystischer Bedeutung in Beziehung auf das Wetter. An seinem Vorabende gehen die Winzer hinaus und betrachten den Himmel. Soviel Sterne dann am Himmel stehen, soviel Ohm Wein bringt die nächste Weinlese. Der in altdeutschen Gedichten vorkommende Martinsvogel ist von besonderer Vorbedeutung: glücklich, wenn er von der linken zur rechten Seite vor dem Wanderer hinfliegt; unglücklich, wenn er sich links vom Wege niedersetzt. Stellen dieser Art finden sich in Reinhardt Fuchs (s. Ausg. von Jakob Grimm, S. 151). Ob die Legendengestalt des heil. Martin, der bekanntlich seinen Mantel mit einem armen Manne theilt, in Zusammenhang mit dem altdeutschen Gotte Wodan steht, wage ich als Laie nicht zu unterscheiden. Der verdienstvolle Forscher der rheinischen Vorzeit, Montanus, stellt diese Hypothese auf.

Leider verschwinden die schönen alten Volksbräuche mehr und mehr vor denen einer sich verallgemeinernden Welt- und Lebensanschauung, welche alle Völker und deren Gesellschaftsschichten durchdringt. Damit soll aber diese Zeit und ihre Bestrebungen nicht getadelt sein, zumal da sie in staatlichen und politischen Beziehungen ungleich bessere und glücklichere Grundlagen gewonnen hat. Es ist nur eine falsche Richtung der Bildung, wenn man die alten Sitten und Bräuche verspottet und verlacht und auf diese Weise zu ihrem Verschwinden beiträgt. Solche Leute haben sich nie die Mühe gegeben, den eigentlichen Sinn dieser Herkömmlichkeiten zu erforschen, sonst würden sie die schönen Feste pflegen und hegen, statt daß sie dieselben beseitigen. Es ist ein Glück, daß man noch in der letzten Stunde auf diese uralten Heiligthümer aufmerksam gemacht und daß ernste Forscher sie wenigstens durch Aufzeichnungen erhalten haben, wie dies namentlich durch die Gebrüder Grimm und ihre Schule geschehen ist.

Auch die deutsche Kunst erleidet durch das Verschwinden der alten Volksfeste keine geringe Einbuße. In einer Zeit, wo der künstlerische Geist sich mit besonderer Vorliebe der Darstellung des Volkslebens zuwendet, hätten manche Vorgänge dieser Art willkommene Vorwürfe zur bildnerischen Darstellung geboten. Als Beweis mögen die oben erwähnten Martinsabendbilder aus der Düsseldorfer Schule gelten. Als Rheinländer, der von früher Jugend her mit den alten Bräuchen der Heimath bekannt ist und dem sie an das Herz gewachsen sind, habe ich gleichfalls versucht, die schönsten und anmuthigsten derselben in poetischer Weise zu schildern. „Die Maikönigin, eine Dorfgeschichte in Versen (Stuttgart, b. Cotta)“, ist ganz besonders in der Absicht entstanden, die verschwindenden Bräuche unseres Landvolks durch den ganzen Kreislauf des Jahres in einer poetischen Erzählung zu fixiren. In derselben heißt es vom Sanct Martinsabend (S. 61):

Drum klingt es rings, ob die Natur
Auch siechend stirbt, ob Berg und Flur
In Nacht schon liegt, noch einmal auf
In Strahlenlust, im Jubellauf.
Schau hin, das ist ein freudig Blitzen,
Denn hoch aus hundert Bergesspitzen
Erlodern hundert Feuer helle;
Im Lichte sprudelt auf die Welle
Des angeschwollnen wilden Rheines;
Es blinkt in’s Land des glühen Scheines
Lichtrothe Loh. In ihrem Glanze
Da springen keck zum Fackeltanze
Die lustberauschten Knaben hin.
Der Schein gestaltet sich dem Sinn
Seltsam wie ein Gespensterreigen.
Geworfne Flammenbündel steigen
Hoch in die Luft; ein zuckend Schrein
Phantastisch klingt in’s Thal hinein;
Es sieht so wirr und bunt und kraus
Gleich einer Hexenküche aus. –

Seltsame Erscheinung! So hatte ich es in meiner Kindheit gesehen und so sah ich es jetzt wieder. Ja, die Jugend läßt sich ihre Spiele nicht nehmen, das thun nur die erwachsenen Leute. Das reizende Maifest, die lustigen Schwingtage, die wilde Thyrjagd, die dem bairischen Haberfeldtreiben gleicht, sind in unseren Gegenden gänzlich verschwunden. Aber der Martinsabend unserer Kinder ist derselbe geblieben. So wird auch das Niklas- und Weihnachtsfest in zäher Lebenslust fortdauern. Ich muß indeß gestehen, daß ich über meinen heurigen Martinsabend im höchsten Maße erstaunt war. So glänzend und herrlich hatte ich ihn in meinen Leben nicht gesehen, wie auf dieser nächtlichen Fahrt. Besonders herrlich wurden die Feuer- und Fackeltänze, als wir unter Andernach in das engere Rheinthal gelangten. Dort erhoben sich über den Dörfern auf allen vorspringenden Kuppen hochauflodernde Feuersäulen, um welche sich die Knaben mit ihren brennenden Strohwischen tummelten. Es war das doppelt schön, weil sich diese Scenen in den Fluthen des breiten majestätischen Rheines spiegelten. Mitunter sah man auch jenseits der Bergränder rothe Gluthen gegen die Wolken steigen. Es waren die Feuer der landeinwärts gelegenen Orte. Wenn der Zug hin und wieder an den Stationen hielt, so vernahm man das alte Lied:

Der hellige Sint Märten
Dat es ’ne brave Mann.

Wer weiß ob die Melodie nicht aus dem Heidenthum stammt. So ging es bis unter das Siebengebirge hinab. Als wir die niederrheinischen Ebenen berührten, war die Zeit für das Kindervergnügen abgelaufen. Ich hatte indeß in dem einsamen Wagen einen so genußreichen Abend gehabt, daß ich dem Leser anrathe, an demselben Tage und zu derselben Zeit einmal dieselbe Reise zu machen.

Wolfg. Müller von Königswinter. 




Blätter und Blüthen.

Handeln die Thiere nur nach Instinkt, oder auch mit Ueberlegung, Vorbedacht und Berechnung? Die interessanten Beobachtungen, welche mein alter Universitätsfreund Wilhelm von Waldbroel (von Z.) für letztere Ansicht mitgetheilt hat, veranlassen mich, zur Bestätigung der selben einige Thatsachen aus meiner eigenen Erfahrung anzuführen.

In früheren Jahren besaß ich einen Fuchs, welchen ich aufgezogen und auf dem Hofe an einer Kette liegen hatte. Von meinem Wohnzimmer aus konnte ich ihn den ganzen Tag beobachten und hatte dadurch Gelegenheit, während vier Jahren fast täglich folgenden Schelmenstreich zu constatiren. Sobald Meister Reinecke sein Mittagsmahl verzehrt hatte, fanden sich viele Vögel, besonders Rothschwänzchen, ein, welche die Reste seines Mahles verzehren wollten. Anfangs setzte sich der Fuchs in die Nähe seiner Schüssel und suchte, jedoch stets vergeblich, einen Vogel zu erhaschen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen legte sich der Erzschelm auf den Rücken, schloß halb und halb die Augen und stellte sich schlafend, um die Vögel zutraulich zu machen, was ihm auch so gut glückte, daß er fast täglich einige, welche über ihn hin- und herflogen, erschnappte. Ebenso charakteristisch ist eine andere Thatsache. Im Jahre 1859 jagte ich in den Rheinbergen in der Nähe der vielbesungenen Lorelei. Während zwei Jagdfreunde mit mir die Rückkehr unserer Hunde abwarteten, sahen wir in einer uns gegenüberliegenden Bergwand, welche nur mit einzelnen kleinen Büschen bewachsen war, einen Fuchs herumschleichcn und beobachteten ihn fast eine Stunde lang. Der Fuchs ging den ganzen Berg ab von einem Busche zum andern, stellte sich der Länge nach quer gegen den Busch und schlug mit seiner Ruthe durch die dem Kopfe entgegengesetzte Seite, wodurch der darin sitzende Vogel veranlaßt wurde, auf der Seite hinauszufliegen, wo der Kopf des Fuchsen sich befand, so daß er oft von demselben gefangen wurde. Eine halbe Stunde später hatte ich die Freude, den Räuber zu erlegen. Die sofort vorgenommene Section des Magens ergab, daß er bei seiner originellen Treibjagd, welche meines Wissens noch nirgend erwähnt worden ist, sieben Vögel erbeutet hatte.

Der Oberforstmeister von Wildungen theilt in seinem Taschenbuch vom Jahre 1796 mehrere andere interessante Fälle mit.

Ein Jäger, Abends auf dem Anstande nach einem Hirsche, sieht einen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_735.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)