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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

muß. Waren Lade, Büchse und Bücher nach Handwerksgebrauch geöffnet, auch, wie z. B. bei den Schneidern, Krone und Scepter aufgerichtet, so redete der Altgeselle die löbliche Bruderschaft und die Herren Beisitzmeister, welche – gleichsam das Herrenhaus bildend – an einem besonderen Tische saßen, mit folgenden Worten an: „Es trotze, fluche, schwöre mir Keiner vor öffentlicher Lade, es gehe mir Keiner die Stube auf und ab spazieren, es trete mir sogleich der jüngste Bursche vor die Thür und verwahre mit der Hand das Schloß, damit Niemand hinaus und herein kann, bevor er gemeldet ist; bei Buße!“

Hierauf wird vom Altgesellen bekannt gegeben, wie viel der in die Bruderschaft Aufzunehmende zahlen wolle, und in Berathung darüber eingetreten, ob man mit dem Gebotenen sich begnügen oder ein Mehreres fordern wolle. Ist dies geschehen, so holt der Junggeselle den Fremden, der draußen warten muß, herein. Nun wird der natürlich ohne Kopfbedeckung Eingetretene vom Altgesellen gefragt, was er begehre, und weiter, wie viel er „anwenden“ wolle. Hat die löbliche Bruderschaft ihre Zustimmung ertheilt, so legt der Fremde das zu zahlende und oft wer weiß wie sauer verdiente Geld auf dem geweihten Tische nieder. Nunmehr theilt ihm der Altgeselle die Geheimnisse der Bruderschaft mit, verpflichtet ihn auf Geheimhaltung derselben, lehrt ihn also, wie er sich auf der Herberge und gegen andere Gesellen zu verhalten habe, und offenbart ihm die Observanzen beim Zutrinken u. dergl. Zuweilen wurde außerdem auch eine Abschrift der gebräuchlichen Grüße und Ceremonien gegeben. Nachdem hierauf der Name des Fremden nebst Datum in das Buch der Bruderschaft eingetragen und ihm auch der mit dem Siegel der Bruderschaft und den Unterschriften des Altgesellen und wenigstens zweier anderer Gesellen versehene „Pathenbrief“ oder das Diplom ausgehändigt worden war, wurde die Lade nach Handwerksgebrauch geschlossen, und die schon vorher bestellte Mahlzeit begann. Bei Tische hatte der Held des Tages als Jungbursche den untersten Platz einzunehmen. Nach dem Essen präsentirte ihm die Herbergsschwester, d. h. die Tochter oder die Magd des Herbergsvaters, auf einem Teller eine kleine thönerne, mit rothem Bändchen verzierte Tabakspfeife, damit auch für sie ein Trinkgeld abfallen möge. Glücklicher Fremdling! Was wolltest Du noch mehr! – Zuweilen fand bei der Aufnahme in die Bruderschaft auch noch eine scheinbar ernste Ermahnung statt, hinter welcher sich jedoch in derber Weise der Schalk auf den Plan machte. So war bei den Seifensiedern und verschiedenen anderen Zünften folgende Ansprache des Altgesellen an den in die Bruderschaft Aufzunehmenden gebräuchlich: „Also mit Gunst und Erlaubniß! Dieweil Du vor etlichen Jahren bei einem ganzen ehrsamen Handwerke und in unsere öffentlichen Ehren-Hauptlade bist aufgenommen und nun kürzlich bist frei- und losgesprochen worden und jetzo willens bist, Dich zu einem ehrsamen Burschen machen zu lassen, und Dich zu uns wendest, woran Du auch recht und wohl thust, also will ich Dich im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes und des Herrn Beisitzers, sowie auch einer ganzen löblichen Bruderschaft gesagt haben, daß Du nunmehr alle Jugendpossen bei Seite setzest, nicht auf Straßen pfeifst, singst, springst und tanzst und dergleichen unanständige Dinge treibst, sondern Dich zu rechtschaffenen Burschen hältst, und wirst von keinem gewanderten Gesellen die Schuldigkeit nehmen ohne Vortuch und Halstuch, nie ohne Rock und Stock, Weste und Hut über die Straße gehst und einem jeden eingewanderten Gesellen die Schuldigkeit anthust. – Also mit Gunst und Erlaubniß! Ich frage Dich im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes, des Herrn Beisitzers und einer ganzen löbl. Bruderschaft, ob Du dasjenige ausstehen willst, was ich und andere ehrliche Bursche ausgestanden haben? (Antwort: Ja!) Also mit Gunst und Erlaubniß! So werde ich Dich hiermit im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes, des Herrn Beisitzers und einer ganzen löblichen Bruderschaft auf Du und Du zugebracht haben, und will Dir dies Alles mit einer trockenen Ohrfeige versichern; die leidest Du von mir und keinem Andern, und hat er einen Bart bis auf die Schuh’, so ist er doch nicht mehr als Du!“ –

Allein nicht immer blieb es bei einer „trockenen“; die meisten Bruderschaften waren in diesem Punkte äußerst freigebig. Den Gipfelpunkt erreichte diese Unsitte jedoch bei den Schlossern und Schmieden, so daß hier geradezu von dem „Gesellenschlag“ in des Wortes verwegenster Bedeutung die Rede ging. –




Aerztliche Winke für die Wintersaison.
Der kalte Trunk auf dem Balle. – Der erstickende Kohlendunst. – Der leichtsinnige Brustkranke.
1. Der kalte Trunk.

„Sie hat auf die Hitze getrunken, als sie vom Tanzen noch ganz echauffirt war;“ ist’s da ein Wunder, daß die Leichtsinnige nun an einer gefährlichen Brustkrankheit darniederliegt? An was denn für einer Brustkrankheit? Die Einen sagen: an der Lungenschwindsucht, die Anderen: an einer Lungen- oder Herzentzündung.

Freilich kann das Echauffement auf einem Balle gefährlich werden, aber nun und nimmermehr ein kalter Trunk. Die Sache verhält sich nämlich so: schnelle Abkühlung der erhitzten Haut erzeugt eine sehr hitzige Erkältungskrankheit, welche theils mit sehr schmerzhaften Gelenkentzündungen (acutem Rheumatismus), theils mit Herz- und Herzbeutelentzündung einhergeht. Tödtet eine solche Herzentzündung nicht bald, dann hinterläßt sie in der Regel unheilbare Herzfehler (Verengerung der Mündungen und Schlußunfähigkeit der Klappen des Herzens). Hat sich Jemand auf dem Balle eine dieser Erkältungskrankheiten zugezogen, so trägt stets ein schnelles Abkühlen der heißen Haut, welches außerhalb des Ballsaales, in der Garderobe, in der Nähe einer Thür oder eines Fensters zu Stande kommen kann, die Schuld davon, nicht aber das kalte Getränk, das während dieser Abkühlung getrunken wurde. Bei der ärgsten Erhitzung kann man kalt trinken, nur hüte man sich dabei vor einer Erkältung der Haut. Sollte aber eine solche doch stattgefunden haben, dann suche man so schnell als möglich wieder in Schweiß zu kommen, was durch starke Bewegung (Tanzen) oder reichlichen Genuß recht heißen Getränkes erreicht wird.

Sowie nun das schnelle Abkühlen der erhitzten Haut recht leicht die genannten gefährlichen Entzündungen nach sich ziehen kann, ebenso ist gar nicht selten auf dem Balle oder überhaupt beim Aufenthalt in warmen Localitäten der schnelle Wechsel der warmen und kalten Luft, welche man einathmet, Ursache von schweren Lungenkrankheiten. Denn die kalte Luft, welche man plötzlich einathmet, nachdem man vorher in warmer Luft geathmet hat, ruft innerhalb der Lunge einen Reizungszustand hervor, der entweder eine Lungenentzündung veranlassen oder, wenn die Lunge von früher schon krank (tuberculös) war, eine tödtliche Lungenschwindsucht hervorrufen kann. Da nun manche auf dem Balle durch das Tanzen Erhitzte außerhalb des Ballsaales im Kalten trinken, so wird, wenn sie darauf lungenkrank werden, stets der unschuldige kalte Trunk, nicht aber die eingeathmete kalte Luft als Ursache der Krankheit angeklagt.

Uebrigens erzeugt weder das Einathmen kalter, noch auch das staubiger Luft in einer noch ganz gesunden Lunge die sogenannte Lungenschwindsucht; wohl kann aber das Athmen in einer solchen Luft bei schon kranken (tuberculösen) Lungen einen sogenannten Tuberkel-Nachschub (d. i. eine neue Ablagerung von käsiger Schwindsuchtsmaterie) erzeugen, der nicht selten zum Tode führt. – Auch wenn sich beim Tanzen (zumal in staubiger Luft) ein kurzathmender Hustender so anstrengt, daß er starkes Herzklopfen bekommt, auch dann kann er sich recht leicht einen tödtlichen Tuberkelnachschub zuziehen.

Also nochmals: nicht der kalte Trunk auf dem Balle bringt Gefahr; wohl können das aber, zumal bei schon kranken Lungen die schnelle Abkühlung der erhitzten Haut, das Einathmen kalter oder staubiger Luft, Herzklopfen erzeugendes Tanzen, besonders bei enger, den Brustkasten am Athmen hindernder Kleidung.


2. Der erstickende Kohlendunst.

Beim Verbrennen von Holz, Holzkohle, Braun- und Steinkohle, Coaks, überhaupt von kohlenstoffhaltigen Materien, erzeugen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_746.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)