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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

stieß sein Glas so heftig auf den Tisch, daß es in Stücke zerbrach.

„Marowsky,“ sagte er, den Wein von Hand und Aermel schüttelnd, „ein neues Glas und eine zweite Flasche!“




Während Gustav in herbem Ungarwein sich Trost trank, saß der gelästerte Oldenburg in seinem Arbeitszimmer. Er hatte beide Arme auf den Schreibtisch gestützt und barg sein Haupt in die Hände. Durch das breite Fenster, das nach der Marktstraße ging, fluthete der Sonnenschein und ließ das zerwühlte Haar des Sinnenden wie Gold schimmern. Ein zitternder Strahl von dieser Lichtfülle, vom wunderschönen Sommertag stahl sich durch die halboffene Thür in das verdunkelte Nebengemach, wo die kranke Frau des Schriftstellers lag.

Auf der Schwelle, welche die beiden Zimmer verband, erschien jetzt ein Mädchen, das Gesicht von Gram, Angst und Thränen entstellt. Sie trat mit geräuschlosen Schritten hinter Oldenburg und berührte leise seine Schulter. Er fuhr erschrocken empor, sah verstört um sich und stieß, als er das Mädchen erblickte, ein tiefes Stöhnen aus.

„Elise,“ sprach er, „sind Sie noch hier? Ach, ich leide entsetzlich …“

Er schlug sich vor die Stirn, dann stand er plötzlich auf, preßte Elise’s Hände krampfhaft in die seinigen und fragte mit verzweiflungsvollem Blick: „Elise! Ist denn keine Hoffnung? Muß sie sterben? Muß ich ein Mörder sein?“

„Um des Himmels willen, still!“ flehte Jene. „Sie kann Sie hören; sie ist aufgewacht und begehrt nach Ihnen. Kommen Sie!“

„Darf ich unter ihre Augen treten?“

„Wenn Sie verzweifeln,“ beginn das Mädchen, „woher soll ich dann den Muth nehmen, diese Tage, diesen Tod zu überleben? Bin ich weniger unglücklich, weniger schuldig als Sie?“

„Heinrich!“ rief aus dem Nebenzimmer eine schwache Stimme, bei deren Klang die kräftige Mannesgestalt zitternd zusammenzuckte.

„Kommen Sie!“ drängte Elise. „Sie sagt, sie müsse Sie sprechen, denn –“ ihre Stimme stockte und ward von hervorbrechenden Thränen fast erstickt – „denn heute sei ihr letzter Tag!“

Als beide Unglücklichen vor dem Leidenslager standen, bat die Sterbende, die Fensterladen zu öffnen. „Das Licht blendet meine Augen nicht mehr,“ sagte sie, „denn sie ahnen schon den Schimmer eines höheren. Aber noch einmal vorher will ich mein Liebstes auf dieser Welt in der Sonne wandeln sehen.“ Heinrich warf sich im Uebermaß des Jammers vor dem Lager auf die Kniee und bedeckte die abgemagerten Hände seiner Gemahlin mit heißen Küssen. Elise aber öffnete vorsichtig die Fensterladen, und während das süße Licht allmählich und mehr und mehr die Stube erfüllte, richtete die Kranke das Haupt des Gatten sanft empor und betrachtete mit schmerzlich seligem Lächeln sein Antlitz Zug für Zug.

„Weine nicht,“ bat sie dann, „denn sonst muß ich fürchten, Du glaubest an kein Wiedersehen – dort.“

„Bleibe! bleibe! verlaß mich nicht!“ rief er verzweifelnd aus, „oder laß mich mit Dir sterben!“

„Was soll dann aus Elise werden?“ sagte sie sanft, ohne Vorwurf. Und da er vernichtet sein Antlitz in die Hände barg, beugte sie sich zu ihm und sprach: „O Du mein Alles, zürne mir nicht! Ich will ja nur Eins wissen, um Euch vor meinem Scheiden segnen zu dürfen: Liebt Ihr Euch?“

In diesem Augenblick sah Elise, die in dumpfem Sinnen am Fenster stand und theilnahmlos zur Straße niederschaute, aus dem Hause gegenüber einen jungen Mann treten, dessen Anblick sie wie ein Dolchstoß durchzuckte. „Heiliger Gott!“ stammelte sie, „das ist – – Gustav!“ schrie sie plötzlich mit herzzerreißender Stimme. „Gustav!“

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 17. Das Gespensterkloster in Schwaben.
Von E. Förster.

Ein köstlicher Spätsommertag war es, einer der wenigen freundlichen dieses kühlen, trüben, weinfeindlichen Jahres, als eine heitere Gesellschaft von Männern und Frauen von Stuttgart aus nach dem nahen, vielbesuchten alten Kloster Maulbronn fuhr.

Durch eine offene steinerne Vorhalle, auf welche mächtige Linden ihre Schatten warfen, traten wir in die wohl zufällig offene Klosterkirche. Man erkennt sogleich die verschiedenen Bauzeiten des Langhauses und des Chors aus dem zwölften Jahrhundert gegenüber der spätern Vorhalle und der noch spätern gothischen Südseite. Ein colossales leidlich erhaltenes altes Marienbild, das an einem der Pfeiler angebracht ist, zog zunächst die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich. Der Kirchendiener war inzwischen erschienen und hatte sich zu uns gesellt. Er gab die Erklärung, daß das Bild den heiligen Christoph vorstelle.

„Ja aber, bester Mann,“ erwiderte ich, „das ist ja offenbar ein Frauenbild; St. Christoph hatte einen langen Bart und keine Brust, an der er ein Kind hätte nähren können.“

„O,“ antwortete er, „das haben Andere auch schon gesagt, es sei die Madonna; ich aber sage, die Jungfrau Maria war so groß nicht, so groß war nur der heilige Christoph!“

Dagegen ließ sich nichts ausrichten; ich meinte nur, am Ende sei die Bavaria in München auch ein heiliger Christoph. Der Mann führte uns in’s Chor, wo uns die Chorstühle mit den seltsamen Holzschnitzereien fesselten. Mehr aber beschäftigte uns ein räthselhafteres Menschenwerk unter und vor den Chorstühlen. Da sind die dicken Dielen, ja selbst an deren Stelle gelegte starke Steinplatten stellenweis bis zur Durchlöcherung ausgewetzt. Hier schien mir unser Führer nach etwas rationelleren Grundsätzen zu erklären, als beim heiligen Christoph. „Diese Löcher sind noch aus der alten, katholischen Zeit,“ sagte er, „wo die Mönche hier Hora sangen. Das Horasingen muß ein langweiliges Geschäft sein, und gewiß sind die alten Herren darüber oft ungeduldig geworden und haben, wenn’s zu lang gedauert, mit den Füßen zu arbeiten und zu scharren angefangen, und so haben sich nach und nach die Löcher gebildet. Noch zu rechter Zeit ist die Kirche protestantisch geworden, sonst wären die frommen Väter gar durchgefallen.“

„Mir sind noch mehrere Beispiele der successiven Wirkung anhaltender Frömmigkeit bekannt,“ sagte ich. „Dem heiligen Petrus in der Peterskirche zu Rom muß, obschon er von Erz ist, von Zeit zu Zeit ein neuer Schuh angezogen werden, sobald der alte durchgeküßt ist; in der St. Lorenzkirche vor den Mauern Roms sind die Marmorstufen um sein Grab durchgekniet, und eine Madonna in der Marcuskirche zu Venedig verbraucht auch viel Schuhmacherarbeit, um die Andacht der Frommen auszuhalten.“

„Ja, ja,“ meinte der Mann; „aber hier giebt es doch noch andere Sehenswürdigkeiten; denn das Kloster ist sehr alt und hat viele und große Schicksale erlebt. Sehen Sie,“ fuhr er fort und wies nach einem halbverlöschten Gemälde oben an der Südwand der Kreuzung, „da kniet der Gründer des Klosters, Ritter Walther von Lomersheim aus Eckweiler. Es ist eine sonderbare Geschichte.

Der Ritter hatte das Kloster in Eckweiler gründen wollen; aber den Mönchen, die er aus Kloster Neuburg im Elsaß berufen, gefiel der Platz schlecht; sie packten ihre Geldsäcke auf einen Esel, nämlich auf einen Maulesel, und zogen weiter und beschlossen, da, wo der Esel stehen bleiben würde, da wollten sie auch bleiben und Gottes Fingerzeig darin erkennen und ihm da eine Wohnstatt erbauen. Nun kamen sie an eine Stelle im Walde, da immer viel Raub und Mord verübt worden, und wären gern ohne Aufenthalt weitergezogen; aber es war da auch eine frische Quelle; und ob nun aus Gottes Fügung, oder weil der Maulesel durstig war und das Plätzchen schattig und kühl – kurz, er blieb stehen und wollte auch nicht mehr weiter, und die Mönche sahen, das sei die Stelle, wo sie das Kloster erbauen sollten; und weil der Maulesel an dem Brunnen stehen geblieben, nannten sie den Ort Mulenbrunnen oder Maulbronn, wie er noch heißt bis auf diesen Tag.

Freilich, leicht ist es den Mönchen nicht geworden, ihr Werk auszuführen. Denn als sie mitten im Bau waren, kamen die Räuber und bedrohten sie mit Feuer und Schwert, nicht weiter zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_756.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)