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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

bauen, denn sie fürchteten von der Gottesstatt für ihr Handwerk. Da sagte einer der Mönche und schwor’s den Räubern zu, der Bau solle unvollendet bleiben. Damit gelang es, die Räuber zu verblüffen, so daß sie die Mönche unbehelligt ließen. Diese aber bauten lustig weiter, und bald riefen die Glocken die Andächtigen zum Gottesdienst. Da kamen aber auch die Räuber wieder und wollten Rache nehmen für den Betrug. Die Mönche aber zeigten ihnen oben an der Chorwand die leere Stelle – sehen Sie sie, dort links vom Crucifix? – und unten den Stein, der noch hier liegt, und sagten: ‚Vollendet ist die Kirche nicht und soll es nie werden; denn der Stein wird niemals eingesetzt!‘ Und damit mußten die Räuber abziehen. Da oben aber sehen Sie in der Wand die zum Schwur erhobene Rechte, eine Kelle, ein Winkelmaß und einen Spaten zum Andenken an die betrogenen Räuber. – Das Kloster ist aber bald sehr reich geworden, hat herrliche Gründe erhalten mit Obstbäumen, Feldern, Weinbergen, fischreichen Seen und mit Wäldern voll Hirschen, Rehen und Hasen; und viele Mönche sind hier eingezogen, und was an die Kirche, die, wie Sie sehen, gar schlicht und einfach ist, der Cistercienser Regel gemäß, nicht gewandt werden durfte, das haben sie dann auf ihren Leib gewendet, an ihre Wohnung, an Küche, Keller, Speisesaal, Spaziergang und Garten, wie Sie sich noch überzeugen können, wenn die Herrschaften mir folgen wollen.“

Das thaten wir denn mit Vergnügen und überzeugten uns bald, daß die frommen Väter gegen ihr zeitliches Wohl sich nicht gleichgültig verhalten haben und daß es kein Wunder gewesen, wenn sie im Chorstuhl beim Gedanken an die übrigen Klosterräume hie und da zu scharren begonnen haben. Da ist gleich hart an der Kirche der kleine Keller, größer als der dritte Theil der Kirche bis zum Chor, und weiterhin der große Keller, in welchem der kleine einigemal Platz haben würde. Der Speisesäle oder Refektorien waren drei, zwei für den Sommer, einer für den Winter.

Das ältere Sommerrefectorium liegt ganz in Trümmern, das neuere aber vom Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ist noch ziemlich gut erhalten, und macht mit seiner einen Reihe hoher, schlanker Säulen und seinen leichten Wölbungen, den hohen Fenstern, Wandpfeilern und Nischen einen sehr heitern und festlichen Eindruck und somit seinem ausdrucksvollen Namen „Rebenthal“ alle Ehre. Unser Führer machte uns darin auf eine Säule aufmerksam, die, mit zwei Seitenöffnungen versehen, als Brunnen und zwar für rothen und für weißen Wein gedient haben soll. Er hatte auch vorher in der Kirche uns ein anderes Denkmal der Zechlust der fröhlichen Brüder gezeigt, an dem Chorgewölbe nämlich die Buchstaben: A. V. K. L. W. H. und Noten darunter, nach welchen die Mönche in’s Gloria hinein gesungen haben:

„Alle voll! Keine leere! Wein her!“

Bei allen Klöstern und Stiften bildet der sogenannte Kreuzgang einen Glanzpunkt der Gesammtanlage. Der Maulbronner gehört zu den schönsten in Deutschland; der ältere Theil, zunächst der Kirche, ist zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts erbaut. Die übrigen drei Abtheilungen stammen aus dem vierzehnten Jahrhundert.

„Also dies ist,“ begann einer meiner Reisegesellschafter „die bedeutungsvolle Stelle, an der unser würdiger Freund, Justinus Kerner, in frühester Knabenzeit seine Geisterjagd begonnen, die ihn später so berühmt gemacht. Sein Vater war in den neunziger Jahren Oberamtmann von Maulbronn, und wenn er nächtlicher Weile mit einer kleinen Laterne oder beim trügerischen Schimmer des Mondes von seinen Spielkameraden nach Hause ging, wählte der neunjährige Junge mit Vorliebe den Weg durch die Klosterkreuzgänge, in der Hoffnung, daß einmal einer der ehrwürdigen alten Kuttenträger mit langem Bart und dem schwarzen Gürtel der heiligen Jungfrau aus einem der eingesunkenen Gräber aufstehen und ihm erscheinen möchte. Auf jene Zeit bezieht sich sein bekanntes Gedicht:

„Würde wahrlich nicht erschauern,
Schwebtet ihr aus Grabesmauern,
In den Kutten, schwarzen, weißen,
In den Bärten, langen, greisen,
Im Gesichte Geistertrauern.
Schläfer, auf zum Rebenthale!
Dort im bunt bemalten Saale
Warten Euer die Pokale,
Warten auf dem Eichentische
Wildpret und gebackne Fische.“ etc.

„Sollte mich sehr wundern,“ fiel unser kundiger Führer ein, „wenn die Beschwörungsformel des seligen Herrn Doctor Kerner keine Wirkung gehabt hätte! Er hat Geister genug gesehen, wie er mir selber gesagt, als er vor einigen Jahren noch einmal hier war, und in Kloster Maulbronn war nie Mangel an Geistern und Gespenstern, vornehmlich als die schwarze Katze hier ihr Wesen getrieben.“

„Hu! das wird interessant und gruselig,“ sagte lachend eine der Damen, „erzählen Sie uns von der schwarzen Katze! Bei Sonnenschein ist’s nicht so bedenklich, wie im Mondenlicht.“

„Sehen Sie,“ hub der Schlüsselmann an, „wenn Sie den seligen Herrn Doctor Kerner gekannt haben, so wird er Ihnen gewiß von seinem alten Matthias, dem Kutscher des Herrn Oberamtmanns, erzählt haben und was der Alles erlebt und gesehen. Ich hab’ den auch noch recht gut gekannt, und mir hat er’s mehr als einmal zum Besten gegeben. Der hat verschiedentlich mit eigenen Augen den längst verstorbenen Prälaten Weiland im weißen Frack mit schwarzen Aufschlägen die Treppe herunter und in die Prälatenkutsche einsteigen sehen. Es hatte nämlich der Prälat Weiland für den üblichen Jahresbesuch bei dem katholischen Prälaten von Bruchsal sich – zum Angedenken an die alten weiß mit schwarz gekleideten Cistercienser von Maulbronn und vielleicht um seinem katholischen Herrn Collegen eine Artigkeit zu erweisen – einen weißen Frack mit schwarzen Aufschlägen machen lassen; ist aber plötzlich erkrankt, so daß er den Besuch aufgeben mußte. Um sich aber gewissermaßen zu entschädigen für das gestörte Glück, ließ er den schwarz-weißen Habit sich gegenüber über dem Bett aufhängen und betrachtete ihn von früh bis spät, bis sein Auge brach; und weil sein letzter Blick daran haften geblieben und sein letzter Gedanke der Besuch bei dem Herrn Prälaten in Bruchsal gewesen, hat er nach seinem Tode noch immerfort den weißen Frack mit den schwarzen Aufschlägen anziehen und in die Prälaturkutsche steigen müssen. Ich habe diese Prälatenkutsche noch gekannt, die jetzt längst zu ihren Vätern versammelt ist. Es war ein großes Gebäude, eine Kutsche wie ein kleines Haus, in welcher die Prälaten ihre Staatsvisiten abstatteten. Sie wurde von vier starken Pferden gezogen, den Vorreiter nicht gerechnet. Es soll eine Pracht gewesen sein! Sie wurde nur zwei- oder dreimal im Jahr angespannt; in der Zwischenzeit wohnten Fledermäuse darin, und Katzen hatten da ihr Lager aufgeschlagen, und vornehmlich die schwarze, bucklige Teufelskatze ohne Schwanz.“

Er sah uns dabei Eins um das Andere an, und als er bemerkte, wie wir die Ohren spitzten, fuhr er fort: „ Ja, die alte, böse, schwarze Katze! von der läßt sich was erzählen. In den festverschlossenen Zimmern hat es gerumpelt und getobt, als ob eine Schlacht mit Holzfällen geliefert würde, und wenn man aufschloß und sah in die Stube, war nichts darin, als die schwarze Katze; und die verschwand vor Aller Augen wie Pulverdampf. In Schlappschuhen hörte man die Geister treppauf, treppab gehen; Tische, Bänke, Stühle, Krüge wurden von unsichtbaren Händen aufgehoben und durch’s Fenster in den Garten geworfen, oder eigentlich nicht geworfen, sondern gleichsam durch die Luft getragen und langsam auf den Boden niedergesetzt.“

„Was Kuckuk,“ rief ich, „da haben wir ja schon die Seherin von Prevorst mit den interessanten Erlebnissen, die uns unser würdiger Freund von Weinsberg von ihr erzählt hat.“

„Es muß doch sehr ernsthaft gewesen sein,“ fuhr der Schließer fort; „denn Prälat Schlotterbeck hat wegen des Gepolters und wegen der schwarzen Katze das Prälatenhaus verlassen und eine andere Wohnung bezogen; Militär ist requirirt worden gegen den Teufelsspuk, und eine Commission fürstlicher Räthe wurde von Stuttgart hierher gesandt, die nach gründlicher Prüfung der Umstände in der schwarzen Katze die Quelle alles Unheils und aller bösen Anschläge sah. Die Regierung setzte nach deren Bericht einen Preis von vierzig Gulden auf ihren Kopf. Verdient hat sie Niemand; aber die schwarze Katze ist verschwunden, und seitdem –“

„Spukt es nicht mehr?“ frug ich.

„Wenig nur,“ antwortete er, „man könnte sagen, fast gar nicht mehr. Doch ganz sicher ist man nicht, und unheimlich ist’s noch immer in dem alten Gemäuer bei finstrer Nacht oder bei Mondenschein, wo man lange Processionen durch den Kreuzgang hat ziehen sehen, freilich von Ratten, sagen sie, die der Durst zum Brunnen treibt; aber man weiß schon, was für Ratten das sind.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_758.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)