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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aus dieser Geister- und Gespenster-Sphäre und -Atmosphäre geleitete uns unser einsichtsvoller Führer den Kreuzgang entlang nach der Ostseite und zeigte uns dort ein dunkles Gemach, wo wir beim Schein einer angezündeten Kerze das Bild eines Mönchs mit der Ruthe in der Hand auf der Mauer erkannten. „Es gab nicht immer Hammelskeulen,“ sagte er, „Wein und Fische für Jeden im Kloster; zuweilen mochte einer oder der andere der heiligen Männer an die Kutte nicht gedacht haben, in die er seinen Leib gesteckt, und dann wurde er hier in stiller Abgezogenheit dieser Kammer daran erinnert; davon hieß sie die ‚Geißelkammer‘. – Heiterer sieht es drüben aus, weiter rechts, wenn’s gefällig ist. Freilich liegen Grabsteine auf dem Fußboden, und darunter wird an Todtengebeinen kein Mangel sein; es war aber doch kein eigentlicher Begräbnißplatz, außer etwa zu besondern Ehren; es war der Capitelsaal, wo die geistlichen Herren Rath pflogen, bei hellem Tageslicht, das durch die großen, offenen Fenster zu ihnen hereingeschienen – denn hier, sehen Sie, ist nie ein Fensterrahmen befestigt gewesen. Allgemein bewundert man die Reihe der schönen Säulen, die das prächtige Sterngewölbe wie einen Sternenhimmel tragen.“

Zwischen Geißelkammer und Capitelsaal führt ein kleiner Gang in einen schönen, lichten, mit einem gerippten Tonnengewölbe überdeckten Corridor, aus welchem man links in die Prälatur, rechts in einen reizvollen Garten gelangt. Wir gingen rechts. Wie lieblich ist die Stelle! Mauern und Geländer mit blühenden, grünenden Rankengewächsen bedeckt, zur Seite ein frischer, plätschernder Brunnen, vor uns Blumenbeete, weiche Rasenplätze, fruchtbeschwerte Pflaumen-, Aepfel- und Birnenbäume, Wege und Wiesenplätze übersäet mit dem abgefallenen, überreifen Obst, das ungeachtet seiner Güte in seiner Ueberfülle dem Verderben Preis gegeben war. Dazu nun ein überraschend malerischer Anblick der Ostseite der Kirche, der Prälatur zur Rechten und eines alten halbverfallenen Thurmes zur Linken. Wie ist es hier so heimlich und gemüthlich! Das mochten auch Andere außer uns empfunden haben; denn hier und da im Grase saßen Gäste, die sich’s wohl sein ließen im lichten Sonnenschatten, im Genuß des behaglichsten Daseins.

„Endlich,“ sagte ich, „sind wir zur Stelle, an unserem eigentlichen Reiseziel! Es ist nicht so gemüthlich und harmlos, wie es augenblicklich den Anschein hat, bei diesem Segen Gottes über und um uns und bei der allgemeinen Lebenslust in uns. Nehmen Sie Platz, meine Damen, aber auch allen Muth zusammen, dessen Sie fähig sind; denn wir haben es hier mit größeren Ereignissen zu thun, als mit der Jagd auf die schwarze, schwanzlose Katze in der Prälatenkutsche! Ist’s nicht so, vortrefflicher Schließer dieses geheimnißvollen Thurmes? Sagen Sie uns, was ist’s mit diesem Thurme und welche Geschichte spielt hier?“

Während ich mein Skizzenbuch zur Hand nahm, um das in der That sehr malerische Bild vor mir wenigstens in allgemeinen Zügen für die Erinnerung fest zu halten, begann unser kundiger Führer: „Eine grauliche Geschichte, mein Herr! ja, eine sehr grauliche Geschichte hat hier gespielt! Gottlob, daß die Zeiten vorüber sind, wo sie spielen konnte! Wie die Schrift sagt: ‚Er geht herum wie ein brüllender Löwe,‘ ich meine den † † † mit Schwanz und Pferdefuß, und wie er zum Dr. Martin Luther selig gekommen, der ihm aber das Tintenfaß an den Kopf geworfen, so ist er hier auch in diesen Thurm gekommen, zu dem Dr. Faust von Knittlingen, unseligen Angedenkens, der ihm leider das Tintenfaß nicht an den Kopf geworfen, sondern seine Seele verschrieben hat, und zwar mit seinem eignen Blute statt der Tinte, dafür, daß ihm der Böse von Allem Wissenschaft gegeben hat, was auf der Erde und in der Erde ist – von dem, was über der Erde ist, im Himmelreich, hat er nichts zu wissen begehrt – und daß er sich wünschen könnte auf Erden, wohin und was er wollte, so sollte es ihm werden, dreißig Jahre lang. Nach Ablauf aber dieser Frist gehöre ihm, dem † † †, die Seele des Doctors. Nun war zu der Zeit der Prälat Entenfuß Abt von Maulbronn, auch aus Knittlingen gebürtig und ein Jugendfreund des Doctor Faust. Er hat ihn öfters zu sich eingeladen – gewiß ohne seine geheime Verbindung zu kennen – und wenn dann Faust zum Besuch kam, wurde er in diesen Thurm einquartiert, der ehedem ganz hübsche Zimmer hatte und von da an bis zur Stunde der Doctor-Faust-Thurm genannt worden ist. Hier hat er, so oft er da war, sein höllisch Spiel getrieben, die schwarze Kunst, und hat das Vieh im Stall, die Tauben auf dem Dach, die Trauben am Rebstock verhext, daß sie die Pestilenz bekommen und abgestorben sind, wie das Laub im Spätherbst. Er hatte immer einen schwarzen Pudel bei sich, den er Mephisto rief, mit feurigen Augen und rother Zunge. War er mit ihm allein im Thurm, dann zog der Pudel seinen schwarzen Pelz aus und stand in seiner höllischen Gestalt neben ihm und half ihm beim Goldmachen und anderen Hexenkünsten. Mehr als ein Mal hat man ihn in einem weiten Mantel zum Fenster hinaus in die weite Luft fliegen sehen, obwohl der Abt Entenfuß um seines eigenen Rufes willen all diesen Geschichten keinen Glauben hat schenken wollen. Und doch haben ihn ganz zuverlässige Leute auch in Venedig vom Marcusthurm frei fortfliegen sehen! Nun, der Krug geht so lange zu Wasser, bis – die dreißig Jahre um sind, und dann hat auch der Abt Entenfuß daran glauben müssen!

Und einstmals – es ist spät im November gewesen und wüstes Wetter dazu – ist Doctor Faust wieder zum Besuch in Maulbronn und hat im Thurm sein Wesen gehabt, und der Herr Abt ist bei ihm gewesen ohne Arg, und wie er ihm gute Nacht sagt, um nach der Prälatur zurück zu gehen, sagt Doctor Faust zu ihm: ‚Höre, Freund Entenfuß, erschrick nicht, wenn Du’s heut Nacht hier im Thurm poltern und lärmen hörst, mein Hund ist den ganzen Tag über schon so ungebehrdig gewesen, daß ich fürchte, ich bekomme später noch Händel mit ihm.‘ Richtig! nach Mitternacht hört der Abt ein fürchterliches Poltern im Thurm, mit Ach und Krach, als wie bei einer blutigen Rauferei, und wäre wohl hinüber gegangen, um nachzusehen, hätte ihm der Doctor nicht voraus die Andeutung gegeben. Als aber am andern Morgen der Doctor nicht wie gewöhnt zum Frühstück kommt, geht der Abt in den Thurm und sieht mit Schrecken die gräuliche Bescheerung. Stühle und Tische liegen halb zerbrochen am Boden, zerfetzte Bücher dazwischen, die Lampe in Stücken, Gläser, Büchsen in Scherben unter Todtenschädeln und Thiergerippen – ein gräulicher Anblick! Im Kamin noch ein paar glimmende Kohlen und darauf der halbversengte Pelz des schwarzen Pudels; Blutflecken an der Wand neben dem Kamin – man sieht sie noch heutigen Tags – vom Doctor keine Spur! Er hatte mit dem † † † auf Tod und Leben gerungen. Der aber war mit ihm durch den Kamin nach einem andern Feuer abgezogen!“

Wir mußten nun der herannahenden Stunde unserer Rückreise denken, beschenkten und verabschiedeten daher unsern kenntnißvollen Führer und gingen nach dem Wirthshaus, wo wir erfahren sollten, daß man auch neben dem Kloster noch verstehe zu leben und leben zu lassen.

„Was ist aber jetzt aus der alten Abtei geworden? Vielleicht können Sie uns davon berichten,“ wandte ich mich an den Wirth, der den Tisch ordnete und intelligent genug aussah, um auf die Frage Rede zu stehen.

„Sind Sie nicht mit unserm Herrn Ephorus Bäumlein bekannt? Der hätte Ihnen sehr gründliche Belehrung geben können; er hat auch eine sehr gelehrte Schrift über das Kloster herausgegeben. Ich habe sie gelesen und mir Einiges daraus gemerkt. Weiß nicht, ob es Ihnen genügen wird. So viel ich mich erinnere, haben sich in alten Zeiten mehrere große Herren, ich glaube der Pfalzgraf bei Rhein und der Herzog von Würtemberg um die Ehre gestritten, das Kloster zu beschirmen. Schließlich hat der Kaiser Maximilian den Herzog Ulrich von Würtemberg als Schirmherrn von Maulbronn eingesetzt. Dieser war der Lehre Luther’s zugethan und hat sich viel Mühe gegeben, die Reformation im Kloster einzuführen. Das ist ihm aber nicht gelungen, und erst unter seinem Nachfolger, Herzog Christoph, ist der erste protestantische Abt, Prälat Valentin Wanner, im Jahre 1550 eingesetzt und die Klosterschule nach evangelischer Ordnung gegründet worden. – Im dreißigjährigen Krieg, der auch an manchem Steine im Klostergebäu gerüttelt, bekamen die Katholischen zeitenweis die Oberhand und die Maulbronner ihre alten Klosterbrüder wieder zu sehen. Es war aber doch nur Märzenschnee und ist bald wieder zerflossen. Nach dem westphälischen Frieden ist Maulbronn wieder protestantische Klosterschule geworden und geblieben.

Die jungen Leute, die man durch eine Art Mönchskutte auf gesetzten Wegen zu halten gesucht, haben sich aber die tollsten und schlechtesten Streiche zu Schulden kommen lassen und eine Ehre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_759.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)