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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Hofdiener an, die sogenannten Kapaunenstopfer. Zur Erhöhung der Pracht gewöhnte man sich endlich an überaus feierliche Hof-Etiquette, welche den Landesherrn noch mehr von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden und als ein Wesen besonderer Gattung darstellen sollte. Alles geschah nun mit Feierlichkeit, und der Mittagstisch war so sehr von Gepränge begleitet, daß es eine Kunst wurde, das dabei übliche Ceremoniel zu erlernen. Während der Bischof von Bamberg und Würzburg dreißig Kammerherrn unterhielt, stieg die Zahl der Kämmerer bei dem Erzbischof von Köln sogar auf einhundertundfünfzig, und an diese schloß sich erst ein Heer von Hof-Cavalieren an, welche bei Festlichkeiten förmliche Spaliere bildeten.“

Soweit Wirth. In dieser Vergöttlichung der fürstlichen Menschen durch das adlige Hofschranzenthum liegt die einzige Entschuldigung für jene selbst. Sie waren der Staat, und was sich um sie herum drängte, zählte sich mit zum Staat, der sich in der That auf den Hofstaat beschränkte, zu dessen Füßen die übrige Einwohnermasse, das sogenannte Volk, als pflichtschuldiger Arbeiter für jenen lag.

Zum Hofstaat gehörte, namentlich in den kleineren Ländern, auch eine stattliche Truppenmacht: sie gab dem Fürstenthrone erst das rechte Fundament. Da hielt zum Beispiel der Herzog des kleinen Braunschweig nicht weniger als zweiundzwanzig Regimenter Fußgänger und dreizehn Regimenter Reiter, Kursachsen eine Armee von 25–30,000, Würtemberg von 14,000, Hannover sogar von 20,000 Mann, und Pfalzbaiern theilte seine 18,000 Mann in dreißig Regimenter mit soviel Officieren, daß sie den vierten Theil der Armee ausmachten; für seine drei kleinen Wachtschiffe auf dem Rhein besoldete es einen „Ober-Admiral“!

Dieses kostbare Spielzeug der fürstlichen Prunksucht wurde durch Werben aufgebracht, solange die Fürsten es noch für vortheilhaft hielten, die eigene fleißige und arbeitende Mannschaft im Lande zu schonen, oder so lange das Vermiethen und Verkaufen von Truppen noch nicht als eine der einträglichsten fürstlichen Erwerbsquellen entdeckt worden war. Als erst diese hohe Speculation begonnen hatte, warb und hob man zugleich im eigenen Lande aus, rein nach Passion oder je nachdem das Angebot auf die Waare lautete.

Das Werbesystem schmeichelte sich allerdings dadurch ein, daß es im eigenen Lande den Bauer am Pflug, den Handwerker in der Werkstatt erhielt und daß dafür die große Menge der Herumlungerer, denen durch den dreißigjährigen Krieg der Krieg selbst ein Nahrungszweig geworden war, unter den Fahnen für die bürgerliche Gesellschaft unschädlich wurde. Man machte freilich erst später die Erfahrung, wie nach jedem Krieg durch die Entlassung der überflüssigen Soldateska eine wahre Landplage von Gesindel sich über das Reich ausbreitete. – Die Werbung selbst, zu welcher jeder Reichsfürst das Recht hatte, wurde durch Werbeofficiere ausgeführt, die mit einem Werbepatent und mit Werbegeldern versehen sein mußten und einen bestimmten Werbeplatz und Werbedistrict angewiesen erhielten, und sie war entweder eine öffentliche und ganz legale, oder eine heimliche, mit List und Gewalt verbundene. In ersterem Fall zog der Werbeofficier von seinem Quartier aus, wo er seine Fahne ausgesteckt hatte, mit einem Trommler, Pfeifer oder Trompeter durch den Ort und von Ort zu Ort in seinem Werbebezirk, forderte zum Eintritt in seine Truppe auf, und selten verfehlte er seinen Zweck. Der Faulheit und Liederlichkeit, sagt Karl Biedermann in seinem „Deutschland im achtzehnten Jahrhundert“, boten diese Werbeptätze eine willkommene Zufluchtsstätte. Verbrecher fanden hier nicht selten Schutz vor der Gerechtigkeit und waren froh, um diesen Preis einem härtern Schicksal zu entrinnen. Entlaufene Mönche suchten unter der Fahne des protestantischen Königs von Preußen der strafenden Hand ihrer Kirche zu entgehen. Vagabunden wurden von Polizeiwegen, ungerathene Söhne von den eigenen Eltern oder Vormündern „zur Correction“ unter die Soldaten gesteckt. Bankerotte Kaufleute, erwerbs- und aussichtslose Gelehrte ergriffen, um ihr Leben zu fristen, aus Verzweiflung die Muskete. Kam jedoch auf diesen und ähnlichen Wegen die erforderliche Anzahl von Soldaten nicht zusammen, so gebrauchten die Werber ungescheut alle Mittel der List, der Täuschung, selbst der Gewalt, um die Lücken auszufüllen. Bekamen sie doch eine bestimmte Prämie für jeden Mann, den sie den Fahnen zuführten! Da wurden betrügerische Vorspiegelungen gemacht, die man niemals zu halten gesonnen war, Verlegenheiten benutzt, in welche man oft selbst die unglücklichen Schlachtopfer hatte stürzen helfen; auch berauschende Getränke sparte man nicht, und mancher junge Mann fand sich, nüchtern geworden, zu seinem Schrecken, in den bunten Rock gekleidet, den man im Taumel des Rausches ihm aufgeschwatzt.

Wie annehmlich nun dieses Werbesystem für die Fürsten insgemein erscheint, so konnte es doch für die kleinen den großmächtigen, also schon damals Preußen und dem Kaiser gegenüber, zur Ursache großer Verlegenheiten werden. Eine solche, in welcher wir Goethe, den Minister, noch vor der französischen Revolution sich winden sehen, dürfen wir unsern Lesern nicht vorenthalten.

Friedrich der Große drang im Winter von 1778 auf 1779 darauf, daß der Herzog von Weimar ihm die Werbung in seinem Lande gestatte, und beauftragte den preuß. General Möllendorf mit der Leitung dieser Angelegenheit. Goethe berichtet darüber an Carl August: „Gesetzt, man fügt sich dem Begehren des Königs, so kann es entweder geschehen, wenn man ihm die Werbung erlaubt, oder mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl abzugebender Mannschaft übereinkommt und auch diese entweder durch die Preußen ausnehmen läßt oder sie selbst ausnimmt und sie ihm überliefert. Erwählt man das Erste, so werden diese gefährlichen Leute sich festsetzen und überall Wurzel fassen; sie werden auf alle Weise die beste junge Mannschaft an sich zu ziehen suchen; sie werden mit List und Gewalt eine große Anzahl wegnehmen; sie werden’s an nichts fehlen lasten, selbst die Soldaten Ew. Durchlaucht untreu zu machen.

Will man mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl übereinkommen und ihnen etwa selbst überlassen, die junge Mannschaft mit gewissen zu fertigenden Verzeichnissen aus den Aemtern auszuheben, so kann man nicht versichert sein, daß es dabei bleiben wird. Ein und der Andere, der es merkt, wird austreten, sie werden statt dessen nach Andern greifen, es werden Händel entstehen, und sie werden davon Anlaß nehmen, was man mit ihnen ausgemacht hat, zu überschreiten.

Will man endlich sich entschließen, eine Auswahl selbst zu machen, und ihnen die Leute ausliefern: so ist darin wohl für das Ganze das geringste Uebel, aber es bleibt doch auch dieses ein unangenehmes, verhaßtes und schamvolles Geschäft. – – Diese mit Gewalt in fremde Hände gegebenen Leute werden desertiren etc., die Preußen werden sie wiederfordern etc.“ – Dazu noch die Bedenken, daß für die so wider Willen Preußen gestattete Werbung ohne Zweifel ,der kaiserliche Hof’ dem fürstlichen Haus manches Unangenehme fühlen lassen werde.“[1]

Und dennoch scheint man zu letzteren Auskunftsmittel geschritten zu sein, denn ein Brief Goethe’s (die obige Notiz steht in dem Briefwechsel des Großherzogs Carl August mit Goethe) aus Buttstedt vom 8. März 1779 beginnt: „Indeß die Pursche gemessen und besichtigt werden, will ich Ihnen ein Paar Worte schreiben.“

So etwas war noch unter Carl August und Goethe in jenen Zeiten vor der französischen Revolution möglich, nur daß Beide darin ein schamvolles Geschäft erkannten, während es den meisten Fürsten als ein landesherrliches und dazu ein sehr einträgliches Recht galt.

An dieses Recht, andere deutsche Mächte im eigenen Lande werben zu lassen, schloß sich das noch entsetzlichere, das zuerst durch Seume’s Schicksal und Donnerworte in seiner ganzen Scheußlichkeit dargestellt worden ist: schlagfertig ausgerüstete Truppen, einerlei ob geworbene, gestohlene oder aus den eigenen Landeskindern gepreßte, an auswärtige Staaten zu vermiethen oder zu verkaufen. Auch dafür liefert obiger Briefwechsel uns eine werthvolle Notiz in einer „holländischen Offerte“ an Weimar, deren Hauptbedingungen lauten: „Es werden für jeden Mann jährlich fünfzig Thaler in Ducaten à 25/6 Rthlr. an Subsidien bezahlt. Im Fall die Hülfstruppen nicht gebraucht, werden die Subsidien dennoch auf ein halbes Jahr bezahlt. Nach geendigtem Kriege werden die Subsidien noch auf drei Monate bezahlt. Was bei Zurückgabe der Mannschaft fehlt, wird vergütet, als: für einen Reiter und Pferd dreihundert holländische Gulden, für einen Infanteristen einhundert Gulden.“

So hoch belief sich der Preis des Menschenfleisches, wenn der betreffende Inhaber desselben „den Heldentod“ fand. Die Engländer zahlten für, jeden todten Hessenkopf sogar zwanzig Pfund

  1. In Hildburghausen wußte man sich damals einfacher zu helfen. Dort lagen zu gleicher Zeit preußische und österreichische Werber.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_761.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)