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Sterling. Daher die Entrüstung jenes Prinzen von Hessen-Cassel, der an den Befehlshaber seiner Truppen in Amerika schrieb: „Erinnern Sie daran, daß von den dreihundert Spartanern, welche den Paß bei Thermopylä vertheidigten, nicht einer zurückkam. Ich wäre glücklich, wenn ich dasselbe von meinen braven Hessen sagen könnte. Sagen Sie dem Herrn Major Minderst, daß ich außerordentlich unzufrieden bin mit seinem Benehmen, weil er die dreihundert Mann gerettet habe, welche von Trenton entflohen. Während des ganzen Feldzugs sind nicht zehn von seinen Leuten gefallen.“ Vergl. S. 295 dieses Bandes.

Noch mehr Reichsbeschlüsse zwangen sogar Reichsstände, ihre geworbenen Truppen an das Ausland abzugeben, wie dies z. B. bei dem sogenannten Römhilder Krieg der Fall. Das Herzogthum Sachsen-Römhild war 1710 mit seinem ersten Fürsten, Heinrich (einem Sohn Ernst’s des Frommen), ausgestorben. Sofort schickte Sachsen-Meiningen geworbene Truppen in das Ländchen, um es in Besitz zu nehmen. Aber pochend auf dieselben Erbansprüche rückte man von Hildburghausen mit vierhundert Mann auf denselben Boden ein. Von nennenswerthen Heldenthaten wird zwar Nichts berichtet, dagegen rief dieser Erbstreit nicht weniger als einhundertundfünfzig Druckschriften, zweihundertundsechs kaiserliche Conclusa und zweiundsiebenzig Recesse in’s Leben, die endlich einen (uns jetzt gleichgültigen) Vergleich herbeiführten, in Folge dessen nach Reichsbeschluß der eine Theil seine geworbenen Truppen in dänische, der andere die seinen in polnische Dienste abgeben mußte. – Nach solchen Thatsachen wundern wir uns nicht mehr: „daß man sogar ausländischen Mächten Werbungen im Reich gestattete und diese Erlaubniß auch dann nicht immer zurücknahm, wenn zwischen einer solchen Macht und dem Reiche selbst ein Conflict drohte“. Es gehört dies, sagt K. Biedermann (a. a. O.) mit Recht, zu jenen Ungeheuerlichkeiten, welche nur bei einem Zustande gänzlicher innerer Auflösung, wie ihn das deutsche Reich damals schon darstellte, möglich waren. – Und so war auch die Zeit, und so waren die Zustände, welche die armen Menschen, denen man mit den Menschenrechten nicht auch das menschliche Fühlen rauben konnte, zur Legung unseres Ackerkreuzes zwangen.

Im Frühjahre von 1730 kamen dänische Werber in’s Hildburghäuser Land. Der Werbeofficier schlug in der Haupt- und Residenzstadt Hildburghausen sein Quartier auf; sein Werbebezirk scheint sich über das ganze Herzogthum erstreckt und seine wohlgefüllte Casse ihm ungewöhnliche Vergünstigungen verschafft zu haben. Wenn nämlich bisher wohl ganze Truppenkörper verkauft worden sind und wenn die Werbeofficiere für die Erlaubniß der Werbung im Ganzen oder für jeden einzelnen angeworbenen Mann an die Casse des Landesherrn eine gewisse Summe zu entrichten hatten, so scheint in dem vorliegenden Fall dieser dänische Werbeofficier sich ein Eigenthumsrecht an die von ihm begehrten Personen durch Erkaufung derselben von der Landesbehörde erworben zu haben.

In Streufdorf, einem stattlichen Marktflecken an der Straße zwischen Hildburghausen und Heldburg, war das begehrliche Auge der Werber auf einen Bauernburschen gefallen, der vor allen anderen sich durch schöne schlanke Gestalt auszeichnete. Es war dies der Sohn einer wohlhabenden angesessenen Familie des Orts und hieß Andreas Korneffer. Ein solcher Bursche würde schon an sich den gewöhnlichen Anerbietungen und Kunstgriffen der Werber unerreichbar gewesen sein, auch wenn derselbe nicht in Margaretha Barbara Eichhorn, der schönen Tochter eines angesehenen Ortsnachbarn, eine geliebte Braut gehabt hätte. Alle gewöhnlichen Anschläge der Werber waren vergeblich, aber das Geld hat eine gewaltige Macht. Wir lesen in des alten Buchdrucker Bauer’s Schriftchen, daß der junge Korneffer an den Werbeofficier verkauft worden sei, und in der That marschirte am 27. April ein Grenadier des herzoglichen Landregiments von Hildburghausen ab, um den Verkauften zu ergreifen und ihn den Werbern zu überliefern. Man hatte mit dieser Vollmacht einen Menschen betraut, der wegen seiner Verwegenheit berüchtigt war und dessen Name mit dieser Geschichte fortlebt; er heißt Johann Faber.

Ohne Ahnung von der Gewaltthat, zu deren Opfer er ausersehen war, hantirte Andreas Korneffer am selben Tag vom frühen Morgen an fleißig den Pflug auf einem Acker, der hinter der Meierei an dem Wege nach Seidingstadt lag, dem nächsten Dorfe nach Heldburg hin, und wo unfern zur Linken sich die schönen bewaldeten Hügel erheben, die zum hohen Straufhain aussteigen, ein reizendes Fleckchen von Gottes Erde.

Es muß nicht möglich gewesen sein, den armen Jüngling vor der Gefahr zu warnen, die ihm drohte, denn plötzlich sieht er den Grenadier Faber in voller Armatur auf sich zueilen. Ein Gedanke an das, was seiner harre, mochte ihn durchfahren; er ließ Pflug und Peitsche und floh, um den nahen Wald zu erreichen und die Berge, hinter denen er sich retten konnte. Aber nur wenige Schritte waren es, er hatte seinen eigenen Acker kaum verlassen, da brach er blutend zusammen, die Kugel des Verfolgers hatte ihn erreicht und niedergestreckt.

Die Unthat war geschehen; als ein Verbrechen ist sie weder angesehen noch bestraft worden. Der Grenadier Faber hatte seine Ordre erfüllt, und wenn die tödtende Kugel nicht mit in seiner Ordre stand, so waren die Kriegsartikel nicht in Verlegenheit, einen rettenden Paragraphen für ihn zu finden. Die Klage der Eltern fand keine Gerichtsstätte, und wenn auch der Himmel sein Strafgericht ergehen ließ, und zwar vielleicht am Unschuldigsten, an dem Werbeofficier, der später in Hildburghausen einem qualvollen Selbstmord erlag, so blieb den Eltern doch Nichts, als des Sohnes blutiger Leichnam und sein Grab.

So erging es in diesem patriarchalischen Staat. Und doch waren die Fürsten von Hildburghausen nicht schlimmer als ihre ebenbürtigen Zeitgenossen, ja, der Herzog Ernst Friedrich der Zweite, welcher damals regierte, war ein an Körper und Geist kranker Mann, für den seine vortreffliche Gemahlin ein vernünftiges und mildes Regiment führte. Aber Geld brauchte man freilich allezeit, denn der Vater des Herzogs, Ernst Friedrich der Erste, war ein arger Verschwender gewesen. Seine hochfürstlichen Passionen, Bauten, glanzvolle Hofhaltung, Jagden, Soldaten, Processe, verschlangen ungeheure Summen und häuften Schulden auf Schulden. Sie lebten wie die unmündigen Kinder, wie immer in den Flegeljahren, die Fürsten jener Zeit, bald im Heldenharnisch und die Krone auf dem Haupte bereit, sich von ihrem Schranzenvolke anbeten zu lassen, bald wieder der menschlichsten Gutmüthigkeit zugänglich. Da sehen wir denselben glanzsüchtigen stolzen Ernst Friedrich den Ersten von Heldburg her den Hildburghäuser Stadtberg hinauffahren. Ein Gewitter kommt. Der Herzog ruft dem alten Kutscher zu: „Andres, fahr’ auf!“ Andres bleibt im selben Schritt. Zum zweiten Mal fährt das Fenster auf: „Kerl. fahr’ zu!“ Es bleibt beim Alten. Zum dritten Mal: „Verdammter Kerl, so hau’ die Pferde, daß sie stürzen! Es donnert ja schon!“ Da wendet sich Andres halb auf seinem Sitze um und schreit den Herzog an: „Durchlaucht, Ihr habt wohl der Pferd’ zu viel’?“ Das Fenster fährt zu, Andres bleibt im Schritt; aber das Gewitter und die Ungnade ziehen miteinander vorüber. – Und derselbe Fürst konnte durch seine Jagdwuth unsäglichen Schaden und viel Drangsal über seine Unterthanen verhängen, er konnte hart und grausam sein, wo der Satz in Gefahr kam, daß diese Unterthanen einzig nur der Fürsten wegen da seien. Dieser fürstliche Wahn erfüllte auch bessere Häupter, und darum wundern wir uns nicht, wenn von diesem Hildburghäuser Hofe den Eltern des armen hingemordeten Jünglings auch die letzte Gunst versagt wurde, die ihnen Balsam auf ihre wunden Herzen gewesen wäre, die Gunst, einen Denkstein an der Stätte errichten zu dürfen, wo ihr Andreas sein junges Leben ausgehaucht.

Auch dies wurde versagt. Es durfte kein Denkmal erhöht werden, um die Schandthat todtzuschweigen. Aber das einfache Gefühl der treuen Volksherzen siegte über das Verbot und machte seine Absicht zu Schanden. Als die letzte Bitte versagt war, gingen Andreas Korneffer’s Braut und Schwester zu jener blutigen Stätte und legten auf dem Boden aus Steinen des Feldes das Kreuz, das heute, nach mehr als hundertundvierunddreißig Jahren noch auf derselben Stelle liegt.

Die Nachkommen jener Familie Korneffer leben noch in Streufdorf, und in ihnen lebt es als eine stille heilige Pflicht fort, das Ackerkreuz zu wahren. Aber wenn selbst kein Glied der Familie mehr übrig wäre, – dieses Kreuz müßte erhalten werden. War es einst ein Liebeszeichen, ein stilles, am Boden verborgenes, das nur zu vertrauten Herzen sprechen konnte, so reden jetzt diese Steine zu jedem Deutschen und erzählen ihm die Geschichte von den wiedereroberten Menschenrechten. Da liegt es am Ackerrand, wie einst das deutsche Volk am Boden lag, doch über ihm schwebt der unbezwingliche Geist der Nation: ihm, seinen Kämpfen, seinen Siegen sei dies Denkmal geweiht für alle Zeiten!

Friedrich Hofmann.
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