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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bilder von der deutschen Landstraße.
2. Der Handwerksbursch.
III.

Kundschaft, Paß und Wanderbuch. – Die Hochschulen der Handwerksburschen. – Das Lohn-Machen und die Kündigung. – Dan Abdanken. – Das Hauptquartal. Die Umfragen. – Der Ehrenwillkommen oder der Schauer. – Das Ehrengeschenk. – Das Duell der Bauhandwerker. – Die Walze. – Der blaue Montag. – Das Geleite. – Schwärzen und Waschen. – Das Fechten. – Die Marschroute und der Schuh. – Das Visiren. – Die Polizei. – Ueber die Grenze. – Die Wahrzeichen. – Nach der Heimath. – Das Wanderbuch und die Erinnerung.

Wenn ein Handwerksbursch nicht „verschrieben“ war, so mußte er eine „Kundschaft“, bei sich führen. Es war dies eine nach einem vorgeschriebenen Formulare von den „geschworenen Meistern und Beisitzern“ der betreffenden Zunft ausgestellte Bescheinigung darüber, daß der Inhaber die und die Zeit bei dem und dem Meister in Arbeit gestanden und sich gut betragen habe. Da die Kundschaft ein kurzes Signalement des Wanderburschen enthielt und von der Polizei beglaubigt wurde, so vertrat dieselbe zugleich die Stelle des Wanderpasses. In späterer Zeit vereinigte sich Beides, Kundschaft und Paß, im Wanderbuche. Nahm ein Geselle Arbeit, die sich übrigens in manchen Städten der Zugereiste nicht beliebig auswählen durfte, indem er vom Obermeister oder dem Altgesellen demjenigen Meister oder derjenigen Meisterswittwe zugewiesen wurde, welche gerade mit dem Einstellen eines Gesellen an der Reihe waren, so wurde die Kundschaft beim Obermeister abgegeben, der dieselbe in der Lade zu verwahren hatte. Blieb der Geselle länger als vier Wochen in Arbeit, so wurde ihm, wenn er die betreffende Stadt wieder verlassen wollte und einen Nachweis darüber beigebracht hatte, daß er seine Auflagen sämmtlich entrichtet und der Bruderschaft oder auch der Herberge nichts schuldig sei, eine neue Kundschaft mitgegeben, die er ebenfalls als Beleg seiner Wanderzeit später beim Meisterwerden vorzulegen hatte. Dem seine Wanderschaft beginnenden Gesellen sollte nach den meisten Handwerksordnungen auch ein Reiseplan mitgegeben werden, „in dem man ihm von Handwerkswegen ein umständliches Verzeichniß aller derer Orte in die Hände giebt, in welchen sein Handwerk mit vorzüglicher Industrie getrieben wird“. Für die Klempner war die Hochschule Wien, für die Bäcker Dresden, für die Sattler und Curschmiede München, für die Schlosser und Gürtler Fürth, für die Weber Hof und Chemnitz, für die Färber Berlin, Dresden und Erfurt, für die Nadler Schwabach, für die Tuchmacher Crimmitzschau und Großenhain, für die Brauer München, für die Münchener Brauer aber Wien, für die Schuhmacher Erfurt, für die Metzger Hamburg, für die Schieferdecker Lehesten, für die Hutmacher Offenbach, für die Böttiger Frankfurt a. M.

Wenn ein Geselle Arbeit bekam, so war er zwar in den ersten vierzehn Tagen von allen Auflagen und Abgaben frei, erhielt dafür aber auch weder das Meister- noch das Gesellengeschenk. Erst nach dieser Zeit wurde, und zwar stets Sonntags nach dem Mittagsessen, „Lohn gemacht“, d. h. der Wochenlohn zwischen Meister und Gesellen festgesetzt, wobei jedes Mal alle Anwesenden das Zimmer zu verlassen hatten, so daß sich der Meister mit dem Gesellen allein befand. Bei manchen Zünften, wie z. B. bei den Schuhmachern, Bäckern, Fleischern etc., war es üblich, die Gesellen auf eine bestimmte Zeit zu miethen, daher denn auch – namentlich in Süddeutschland – die Bezeichnung „Handwerksknecht“ gebräuchlich war. Hier und da arbeitete man auch „auf Stück“; „Nachtschichten“, d. h. solche Arbeit, welche nach dem Feierabend verrichtet wurde, mußten natürlich besonders gelohnt werden. Wollte ein Geselle eine Werkstelle wieder verlassen, so pflegte er – und wiederum stets Sonntags nach dem Mittagsessen – zu dem Meister zu sagen: „Ich danke vor die Arbeit!“ oder auch: „Schreiben Sie mir meinen Fremdenzettel!“ worauf er alsdann noch vierzehn Tage in Arbeit blieb. Mit den Worten aber: „Du hast Feierabend!“ kündigte der Meister dem Gesellen, jedoch ebenfalls immer vierzehn Tage vor dem wirklichen Aufhören der Arbeit. Standen Jahrmärkte, Handelsmessen oder Feiertage in der Kürze zu erwarten, so durfte von beiden Theilen nicht gekündigt werden. Der Abschied vom Meister oder das sogenannte „Abdanken“ geschah, wenn Meister und Geselle in gutem Einvernehmen gestanden hatten, meist unter Anwendung der Worte: „Ich danke dem Herrn Meister vor alles Gute und Liebe, was ich bei Ihnen genossen habe; kann ich es heute oder morgen an Ihnen oder Ihren Kindern vergelten, so bin ich es zu thun schuldig!“ In den Worten: „Finde bald eine gute Werkstelle wieder, reise glücklich, Fremder!“ bestand der Scheidegruß des Meisters.

Nur ungern verließ der Wanderbursch eine ihm liebgewordene Werkstelle, besonders aber dann, wenn das Hauptquartal nahe bevorstand; denn dieses bildete den Glanzpunkt des Handwerkerlebens im ganzen Jahre. Da wurde der beste Sonntagsstaat angelegt, wenn bei „offener Lade“ verhandelt wurde. Nach Beendigung der ernsten Geschäfte, des Ein- und Ausschreibens, der Rechnungsablegung, der Beilegung von Zwistigkeiten etc. wurde alsdann auch in der Bruderschaft unter Assistenz zweier Meister nach altem Brauche noch ein besonderes Haupt-Quartal abgehalten. Die Lade stand geöffnet auf der Tafel, daneben lagen aufgeschlagen die Bücher der Bruderschaft, Krone und Scepter waren aufgerichtet, der Ehrenwillkommen oder der Schauer, im ganzen Jahre nicht wieder sichtbar, prangte auf dem Tische. Nun wurden die Umfragen, die erste, die zweite und die dritte, gehalten, d. h. gefragt, „ob einer oder der andere vorhanden sei, der auf den Altgesellen oder auf einen anderen ehrlichen Gesellen etwas Böses wüßte oder haben möchte, was sich der Ehre nicht gezieme, einem ganzen ehrsamen Handwerk zuwider oder einer ganzen löblichen Bruderschaft zu einem Schimpf oder übeln Nachtheil gereichen möchte: derselbe wolle dasjenige nicht verschweigen, sondern ordentlicher Weise vor den öffentlichen Ehrentisch treten und seine Worte mit Bescheidenheit vorbringend vermelden, dieweil der öffentliche Ehrenwillkommen auf dem öffentlichen Ehrentische stehe und die erste öffentliche Umfrage herumgehe!“ Wer keine Klage anzubringen hatte, der erhob sich mit den Worten: „Also mit Gunst und Erlaubniß! Was meine Person anbelangt, weiß ich für dies Mal auf keinen ehrlichen Gesellen nichts denn Liebes und Gutes. Also mit Gunst und Erlaubniß bin ich aufgestanden; also mit Gunst und Erlaubniß setze ich mich wieder.“ Wurde Jemand eines Vergehens beschuldigt, dann wurde eine förmliche Anklage und ein förmliches Verhör über ihn verhängt, wobei der Junggeselle die Funktionen des Gerichtsdieners zu übernehmen hatte. Wer schuldig befunden wurde, wurde gebüßt und die Buße vertrunken.

Die zweite Umfrage verlangt zu wissen, „wo einer oder der andere sein ehrlich Handwerk erlernt und wo er seinen ehrlichen Gesellenbraten gegeben habe, auch wohl, welchen ehrlichen Gesellennamen, der meist in einem kurzen Spruche bestand, er erhalten habe. An dem ehrsamen Willkommen, welcher gewöhnlich aus Zinn, hier und da auch aus Silber kunstvoll gearbeitet war, befanden sich kleine Ringe, an welchen diejenigen Gesellen, welche Meister wurden, Erinnerungsbänder und Gedächtnißschilder befestigten. Die Färber in Wien besaßen z. B. drei große silberne Ehren-Willkommen. Diese stattlichen Gefäße waren meist zwei bis drei Fuß hoch und erweiterten sich bedeutend nach oben, so daß sie ein ansehnliches Quantum Bier in sich aufnehmen konnten.

War er gefüllt, dieser Ehrenwillkommen, dann „präsentirte“ ihn der Altgeselle als „Ehrengeschenk“, denselben mit beiden Händen hoch empor haltend und ihn reichend in wohlgesetzter, sich immer gleich bleibender Rede, in welcher auch aller derjenigen Gesellen gedacht wurde, die „anderswo fremd oder wandernsfertig seien, oder auf grüner Haide liefen, oder willens zu laufen wären; denselben wolle Gott geben Glück, Heil und Segen zu Wasser und zu Land, über Berg und Thal, oder wo sie der liebe Gott hinsenden wolle etc.“. Und „mit Gunst und Erlaubniß“ machte alsdann der ehrsame Ehrenwillkommen die Runde.

Die dritte Umfrage erstreckte sich blos auf Vergehen, welche während der Abhaltung des Quartales selbst begangen wurden. Unter lautloser Stille wurde die Lade wieder geschlossen.

Für diejenigen, welche behaupten, daß da, wo viele junge Leute zusammenkommen, das Duell schlechterdings nicht zu entbehren sei, liefert das Handwersburschenleben einen in der That recht „schlagenden“ Beweis. Bei den Bauhandwerkern nämlich, auch bei den Hufschmieden und Schlossern war in Norddeutschland das Duell in der Weise eingeführt, daß die Forderung in den Worten bestand: „Jetzt hast Du es mit mir zu thun!“ Abends

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_781.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)