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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nach zehn Uhr versammelte man sich in einem besonderen, der Polizei unbekannten Raume auf der Herberge; hier stellten sich die Duellanten einander gegenüber, wobei ein Jeder seinen Secundanten zur Seite hatte; der Angeklagte, respective der Geforderte, mußte den ersten Schlag mit der Faust auf den Kopf aushalten, und dann ging’s Schlag auf Schlag – natürlich ohne Binden und Bandagen, – bis einer von Beiden zusammenstürzte und mit dem Worte: „Frieden!“ sich für besiegt erklärte. Im Kreise herum standen die Genossen, einer Paukerei nach der andern mit Spannung folgend. In der Linienstraße in Berlin, wo die Zimmerleute ihre Herberge hatten, ist oft viel Blut geflossen. Doch gab es auch abgehärtete Naturen, welche für einige Groschen sich für einen Andern schlugen, was, ohne Anstoß zu erregen, gestattet war.

Jetzt aber sträubt sich die Feder, weiter ihren Dienst zu verrichten. Dennoch – so schwer es uns auch ankommen will, darf nichts verschwiegen bleiben; zudem würden wir ja auch den Verdacht erregen, nicht die ganze und volle Wahrheit gesagt zu haben. Es wurde nämlich bei den Bauhandwerkern auch „gewalzt“. „Gewalzt?“ fragt staunend der Leser; „Walzen, Tanzen, – versteht sich dies bei jungen Leuten nicht ganz von selbst?“ O nein, es war ein ganz anderes Walzen, bei welchem die Gemüthlichkeit in der That ihr Ende erreichte. Laß Dir sagen, lieber Leser, wie weit der Uebermuth oder vielmehr die Rohheit ging, wenn Einer wegen irgend eines Vergehens „gewalzt“ wurde. Zwei schwere Mangehölzer lagen auf der Tafel; darüber legten sie ihn mit dem Gesichte nach unten; Einer hielt ihn am Kopfe, ein Anderer bei den Beinen fest, dann zogen sie ihn hin und her, wobei zwei Mann sich auf ihn setzten, damit er die gehörige Last erhielte. Es hat mehr als Einer beim Walzen seine gesunden Glieder eingebüßt.

Trotzdem daß der sogenannte blaue Montag in allen Handwerksordnungen mit schwerer Gefängnißstrafe bedroht und den Wirthen bei hoher Strafe verboten war, den Gesellen „vor beendigter Arbeitszeit Aufenthalt zu gestalten“, wurde doch mindestens der Nachmittag blau gemacht. Die Hutmacher aber ließen sich’s nicht nehmen, stets den ganzen Tag zu feiern. Bei den Porzellanmalern und Drehern war die Unsitte in früherer Zeit sogar soweit gediehen, daß sie oft die halbe Woche blau machten, namentlich wenn ihnen die Anwandlung kam, daß sie, mit den wirklichen Künstlern auf gleicher Stufe stehend, auch die geniale Seite des Künstlerlebens hervorkehren müßten. Nicht selten wurde – und besonders auch am blauen Montage – einer kleinen Schaar weiterreisender Handwerksburschen unter Gesang und Jubel bis vor das Thor oder auch bis zum nächsten Dorfe das Geleite gegeben.

„Schwärzen“ hieß das fürchterliche Wort, mit welchem bei den Zimmerleuten drei Bruderschaften eine Stadt in Verruf erklären konnten, wenn aus irgend einem Grunde zwischen den Meistern und Gesellen ein Conflict entstand. War die Stadt „schwarz“, so verließen die fremden Zimmergesellen dieselbe und es kam so lange kein einziger Geselle dahin zugereist, bis sich die Meister des Ortes „gewaschen“, d. h. bei sieben Bruderschaften in Deutschland mit je drei Thalern den Frieden erkauft hatten. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht von dem Schwarzsein einer Stadt von einer Bruderschaft zur andern durch ganz Deutschland.

Mit der Polizei gerieth der Handwerksbursch meistens nur dann in Conflict, wenn er beim Fechten betroffen wurde. Man mag die Sache ansehen, wie man will, man wird zugestehen müssen, daß der beste, redlichste und fleißigste Handwerksbursch in die Lage kommen konnte, hie und da einmal zu „klopfen“ oder zu „pochen“. Daß hierbei auch mancher muthwillige Streich gespielt wurde, läßt sich unschwer begreifen. Mit Absicht reden wir hier natürlich nicht von den eigentlichen Stromern, auf welche jenes Sprüchwort seine Anwendung findet: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie sind nicht von uns.“ Namentlich im Hannöverschen wurde manches Stück Speck, manche Wurst und manches Ei heimlich mitgenommen. Im Herbste lagerte wohl auch eine kleine Schaar Handwerksburschen in einem Obstgarten, ein frugales Mittagsmahl mit Ruhe verzehrend, wobei der sonst beim Meister übliche Comment natürlich aufgehoben war, nach welchem jeder Geselle und Lehrbursch sofort vom Tische aufstehen muß, wenn sich der Altgeselle erhebt. Auf der andern Seite steht die uns von Hebel mitgetheilte Erzählung vom fechtenden Handwerksburschen in Anklam nicht vereinzelt da, welcher in einem Hause eine arme kranke Frau fand, die selbst nichts besaß, und welcher dann nach einigen Stunden zurückkehrte und viele Stücken Brod und kleine Kupfermünzen auf den Tisch legte. Ich wüßte manchen rührenden Zug von Theilnahme an fremder Noth zu erzählen. So wurde ein Leipziger Student, welcher auf einer Ferienreise in die Heimath begriffen war, am letzten Tage seiner Route von einem Handwerksburschen in dem Augenblicke angegangen, als er selbst nur noch zwei Kreuzer besaß. „Hier, es ist mein Letztes,“ sagte der Studiosus, „ich kann ohnehin nichts damit anfangenl“ Allein der Handwerksbursch nahm das Geld nicht an, sondern lief schnell voraus, pochte das nächste Städtchen – es hieß Schalkau im Meiningenschen – durch und kam alsdann dem Studenten wieder nach. In Eisfeld saßen sie dann selbander in einem Gasthofe, aßen und tranken, und der Handwerksbursch bezahlte die Zeche. Jener Student aber war späterhin wohlbestallter Bürgermeister in einer Meiningenschen Stadt, und so oft ihm ein fechtender Handwerksbursch vorgeführt wurde, griff er in die Tasche und gab sein Scherflein zu dem officiellen Verweis.

Am einträglichsten war das Fechten in den reichen Klöstern an der Donau; hier wurde außer einigen Kreuzern Geld auch eine Halbe Bier und ein Viertel Brod verabreicht. Mitunter tauschte auch ein Müller mit einem Bäcker das Wanderbuch beim Umschauen, um ein doppeltes Geschenk zu erzielen. Daß dergleichen Gaunereien nicht immer glückten, davon konnte jener Barbier erzählen, der in Kreuznach bei einem Uhrmacher zusprach. „Sie sind Uhrmacher?“ fragte der Mann mißtrauisch. „Wie heißt denn dieses Instrument?“ Da erblaßte der Arme, denn er hatte in seinem ganzen Leben den Eingreifzirkel noch nicht ein einziges Mal nennen hören, vielleicht auch noch nie gesehen. Noch schlimmer ging es einem kecken Schneiderlein, welches sich in eine Hufschmiede gewagt hatte, um da „umzuschauen“. „So, Sie sind Schmied?“ fragte der Meister, „da kommen Sie gerade recht, helfen Sie ein paar Augenblicke am Ambos, ich bin gleich wieder da!“ Und nun mußte unser Schneider den schwersten Zuschlagehammer – Altgeselle genannt – ergreifen, um unter herzlichem Gelächter der Gesellen sich abzuquälen und schließlich ohne Geschenk beschämt wieder abzuziehen. Uebler noch traf es ein Schuster im Spessart, der freilich auch ein frevelhaftes Spiel unternommen hatte. Bei den Fallmeistern ist es nämlich Sitte, daß der zugereiste Knecht die Stubenthür öffnet, seinen Hut in die Stube hineinsetzt und die Thür hierauf wieder schließt. Einige Minuten später wird dann die Thür von innen geöffnet, so daß der Zugewanderte seinen Hut wieder herausnehmen kann, in welchen inzwischen das Geschenk gelegt worden ist. Wenn aber beim Oeffnen der Thür der Hut nicht mehr sichtbar ist, so ist dies ein Zeichen dafür, daß der Fremde Arbeit bekommen soll. Nun hatte sich unser Schuster in eine Fallmeisterei gewagt, von welcher er annahm, daß keine Arbeit darin gegeben würde. Er beobachtete ganz genau das Ceremoniel der Fallmeisterei und richtig, – als sich die Thür öffnete, war sein Hut verschwunden. Als er sein Wagniß für einen Spaß ausgeben wollte, verstand der Fallmeistereibesitzer den Spaß falsch, und es regnete eine Tracht Prügel von der Art, daß alle Erinnerungen an den Meisterriemen in der Lehrzeit für die Folge verschwanden.

Hatte der „Putz“ (Gensdarm oder Polizeidiener) einen Handwerksburschen bei dem Fechten betroffen, so wurde ihm „der Bettel“, in das Wanderbuch geschrieben. Wurde er abermals ertappt, dann blieb es nicht mehr bei dem bloßen Verweis. Wohlweislich waren ja auch vor jedem Orte, selbst vor dem kleinsten Dorfe, Warnungstafeln errichtet, welche das Fechten mit Arbeitshaus- und Zuchthausstrafe bedrohten. War ein Handwerksbursch mehrmals festgehalten worden oder auch seit längerer Zeit ohne Arbeit und nicht im Stande, Reisegeld aufzuzeigen, so wurde ihm die Reiseroute in die Heimath genau vorgeschrieben. Wenn er von seiner „Marschroute“ abwich und darüber betroffen ward, so wurde er alsdann „auf den Schub“ gebracht, d. h. durch Gensdarmerie von Ort zu Ort in seine Heimath geschafft. Zuweilen freilich wurde der Polizei auch Eins aufgebunden. Es ist mehr als ein Handwerksbursch, dessen Wanderzeit abgelaufen war, in einem Milchboote von Harburg nach Hamburg mit hinübergefahren, der absichtlich seinen Hut, in welchem das Wanderbuch lag, in das Wasser fallen ließ. In Hamburg bezeugten ihm gern einige Reisegefährten auf der Polizei das fatale Ereigniß, sodaß ihm ein neues Wanderbuch ausgefertigt werden konnte. In Preußen wurden nur Pässe auf die Zeit von drei Monaten ausgegeben, und in Baiern wurde nur von einem Landgericht zum andern visirt. Häufig war das Visiren in die Hände junger Polizeiofficianten gegeben, welche selbst noch nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_782.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)