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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Mitbeschauen des geschilderten so süß anheimelnden Lebens einen Völkleins verlockt, dessen Nachkommen noch heute kein anderes Haus bauen, als wie einst ihre Väter es bewohnten. Und wie geschickt ist die Eintheilung des großen Stoffs, wie anschaulich, wie klar der Gang der Handlung, wie plastisch treten die Gestalten hervor! In der ganzen Dichtung hat sich kein unnöthiges Wort eingedrängt, keine einzige Phrase eingeschlichen, in der würdigen Einfachheit liegt ein Hauptzauber dieses jüngsten deutschen Heldenliedes.

Wir dürfen uns nicht auf Einzelnheiten einlassen, nicht Stellen mittheilen wollen, sonst wüßten wir wohl einen Anfang, aber kein Ende; sollten wir in der „Deichschau“ die herrliche Naturschilderung des Morgens auf der Düne wählen, oder im „Urtheilsspruch“ die Cato-Gestalt des alten Bolko, in „Wehrkraft“ die Schilderung des Bauernheerzugs zum Festspiel, oder in „Sturm“ den Kampf der Menschen mit dem verderbendrohenden Meer, im „Haus“ das treue, reizende Bild der Häuslichkeit und des stattlichen Wohlhabens, wie es dem Gaste des alten Bolko, dem jungen Grafen von Oldenburg, dem Jüngling mit dem Herzen voll Ritterlichkeit und Menschenliebe, vor das Auge tritt, oder im „ Beichtpfennig“ die Empörung der gläubigfrommen Herzen, oder den Ketzerrichter „auf der Haide“, oder das „Kreuzheer“, oder endlich das furchtbare Bild der „Todesschlacht“, wo der Vernichtungskampf wüthet, bis „die Letzten“ fallen,

Bis die Nacht den Trauermantel
00auf die todten Helden legt,
Bis am schwarzumsäumten Himmel
00angefacht Millionen Kerzen:
Trauerlichter für die großen,
00die gewalt’gen Bauernherzen!

Erschüttert stehen wir am Ende der herrlichen Dichtung, und wir bedürfen des labenden, erhebenden Wortes, mit dem der Dichter das Ganze schließt:

Jedes Kämpfen für die Freiheit
00geht der Menschheit nie verloren,
Und aus jedem ihrer Gräber
00wird sie mächt’ger stets geboren.
Alles Blut, das ihr geflossen,
00tränkt allewig ihre Saat;
Jede That der Weltgeschichte
00zeugt auch wieder eine That. –

Auch die bildende Kunst verherrlicht nun diese That. Der Verfasser des besten Werkes über die Marschen an der Unterweser, Hermann Allmers, dem Schloenbach seine Dichtung gewidmet, läßt den großen Saal seines Hauses zu Rechtenfleth in Osterstade mir Wandbildern aus der Geschichte der Marschen schmücken, zu denen auch „die Stedinger Schlacht bei Alten Esch“ und „der Kampf mit den empörten Fluthen“ gehören werden.

F. H. 




Der erste Koch der Welt. Eine eigenthümliche Erscheinung, gewissermaßen ein psychologisches Räthsel ist es, daß die Mehrzahl der Menschen, namentlich die besonders begabten und geistreichen, Das, worin sie wirklich Tüchtiges oder Ungewöhnliches leisten, was die eigentliche Sphäre ihres Wissens und Könnens ausmacht, worin sie sich vor Andern auszeichnen, weniger zu schätzen, mit geringerem Stolze zu betrachten pflegen, als irgend eine Liebhaberei, die sie oft mit sehr unerheblichem Erfolge cultiviren. Wir könnten für diese merkwürdige Erscheinung eine Anzahl der bedeutendsten Namen anführen, begnügen uns aber hier u. A. blos an Goethe zu erinnern, der sich Jahre lang unsägliche Mühe gab, ein nicht die Mittelmäßigkeit überragendes Talent zum Zeichnen auszubilden und an mehr als einer Stelle seiner Werke und seines Briefwechsels durchblicken läßt, wie er auf diese Dilettantenversuche höheren Werth legt, als auf die unsterblichen Schöpfungen seines Dichtergenius.

Einen andern Beweis für diese eigenthümliche Erfahrung liefert uns der ältere Dumas. Erst neulich hat die Gartenlaube erzählt, welche ausgezeichneten culinarischen Talente derselbe entwickelt, und wirklich ist es Dumas nicht genug an dem Ruhme, der fruchtbarste und zugleich der ergötzlichste aller Romanschriftsteller der Gegenwart zu sein, er setzt vielmehr seine Eitelkeit darein, auch unter den größten Küchenkünstlern aller Zeiten und Völker als ein Stern ersten Ranges zu glänzen. Um diesen Anspruch zu rechtfertigen und Zeugniß von seinem gastrosophischen Genie abzulegen, ist er vor Kurzem eine Art von Küchenduell eingegangen, nicht etwa mit einem gewöhnlichen Koche, einem Vatel dritter oder vierter Größe, sondern mit den Besitzern der berühmten Maison dorée in Paris, das heißt, mit dem ersten Restaurant, welches Paris augenblicklich besitzt, einem Etablissement, das gleichsam als vornehmste culinarische Hochschule der Welt gilt.

Man hat denn zwei Diners veranstaltet; das eine haben die Gebrüder Verdier, die Eigenthümer des erwähnten goldnen Hauses, das andere hat Alexander Dumas in seiner Villa zu Enghien unweit Paris gegeben. Natürlich wohnten den beiden Kunstproben die nämlichen Kunstrichter bei, sämmtlich sehr competente Kritiker, die Elite der Pariser Gastronomen, „Leute von Geist und Herz“, wie sich das französische Blatt ausdrückt, welchem wir die Anekdote entlehnen.

Schlag sechs Uhr stellten sich die Geladenen bei Dumas ein. Dieser empfing sie an seiner Küchenthür, siegesgewiß wie ein Feldherr, welcher noch niemals überwunden worden ist. Dann trat er in sein Heiligthum, den Schauplatz seines genialen Wirkens, ein. Die Zeugen belagerten die Fenster dieses geheimnißvollen Laboratoriums, und unter ihren gespannten Augen begann der Autor zahlloser Romane und Schauspiele, der unerschöpfliche Verfasser von weit über tausend Bänden, der liebenswürdige Erzähler und Gesellschafter, seine Thätigkeit. Er buk, er kochte, dämpfte, briet, röstete, regierte Topf und Tiegel, Pfannen und Casserole, und – nach Verlauf von nicht anderthalb Stunden war ein Werk vollbracht, welches die Brüder Verdier als eine überlegene Schöpfung, eine fast übermenschliche Leistung anzuerkennen gezwungen waren und die sowohl Rumohr als König und Brillat-Savarin als ein nächsten Anstreifen an das Ideal würden haben bezeichnen müssen.

„Zu Tisch jetzt, ich bin fertig!“ rief der große Künstler aus seinem Atelier heraus.

Man setzte sich zur Tafel; das Gebotene war unübertrefflich von A bis Z, Dumas unbestrittener Sieger im Wettkampfe. Aal- und Karpfenpastete, fricassirter Kalbskopf mit Tomatensauce, gedämpftes Kaninchen, Lendenbraten, gebackenes Hühnchen, eine Reihe pikanter Zwischenschüsseln und das mannigfaltigste Dessert, – das die Bestandtheile dieses classischen Diners und Alles in wenig mehr als einer Stunde fix und fertig hergestellt und aufgetragen.

Die Besitzer der Maison dorée, obwohl geschlagen, waren so bezaubert von Dumas’ Leistungen, daß sie ihm alles Ernstes den Antrag machten, als erster Vorstand ihres Küchendepartements mit einem von ihm selbst zu bestimmenden Gehalte in ihr Haus einzutreten, – allein Dumas scheint als Koch bescheidener zu sein, denn als Autor: er hat, wie wir hören, das glänzende Anerbieten abgelehnt, gewiß zur Betrübniß aller wahren Lebensphilosophen, welche jenen europäischen Mittelpunkt culinarischen Triumphes besuchen.




Ein Kindergarten für den Weihnachtstisch.

Illustrationsprobe aus Loewenstein’s Kindergarten.

Es ist kein neuer Gärtner, sondern ein Alten und Jungen schon längst bekannter Blumenmann, der auf den Christmarkt mit einem „Kindergarten“ gekommen ist. Wer hatte „die traurige Geschichte vom dummen Hänschen“, der erst ein Tischler etc. werden will, oder „Liebes Kätzchen, glatt und munter“, oder „Sitzt ein Vögelein widewidewit“, oder „Nun laß Dir erzählen, mein liebes Kind“, oder „Die Bremse strich den Contrabaß“, oder das schöne Sonntagslied „Es tönt über das weite Feld“ (zu dem unser Bildchen gehört) nicht einmal mitgesungen? Und wem wären denn die gedanken- und klangvollen Gedichte des Kladderadatsch unbekannt? – „Was, dieser Satiriker wäre derselbe gemüthliche Dichter für die Kinderwelt?“ Ja, derselbe Rudolph Loewenstein ist es, der nun endlich dem Wunsche so vieler Verehrer seiner schönen, sinnigen Kindergedichte nachkommt, indem er seinen bisher zerstreuten lyrischen Reichthum euch in einem stattlichen Quartbändchen[WS 1] darbringt, und zwar auch in der Ausstattung als nichts Gewöhnliches. Schon auf dem Titelblatt droht euch der Schornsteinfegerjunge als „schwarzer Mann“, und wenn ihr das liebe Buch aufschlagt, so lachen euch auf vielen Seiten fröhliche Bilder entgegen, welche sofort Th. Hosemann’s Griffel verrathen, auch wenn das nicht aus dem Titel gedruckt stände. Der Verleger, A. Hofmann in Berlin, hat seine Schuldigkeit gethan, damit dieser Kindergarten auf jedem Weihnachtstisch Ehre einlegen kann.



Zur Beachtung. Schon in einer der nächsten Nummern unsers Blattes hoffen wir unsern Lesern als Ergänzung des Aufsatzes: „Ein gekröntes Opfer“ nach eben aufgefundenen neuen Quellen höchst interessante und ergreifende Mittheilungen über Maria Antoinette’s letzte Tage und Stunden im Kerker der Conciergerie machen zu können.

D. Redaction. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ouartbändchen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_784.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)