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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der, von Reisen aus England und Frankreich heimkehrend, durch Landwehrpflicht zur Manöverzeit auf den Hof eines Bauern als Einquartierung kam, wurde, als er Abends die Ofenbank vorzog und die Ruhe im Familienbett ausschlug, vom Hofbesitzer freundlich gesagt: „Nu, wä Aehr wollt, Häer; aberst Platz is er nach for vier sonne Dünne, wä Aehr sihd!“ (Nun, wie Ihr wollt, Herr, aber Platz ist noch für vier so Schlanke, wie Ihr seid.) Die Wohnstube ist Aufenthalt für den Winter. Bricht der Abend ein, so zieht Jung und Alt mit seinem Spinnrade zum „Kürstündchen“ (Plauderstunde) in das Haus eines reichen Bauern. Da werden, wenn die Mädchen schnurren, „Fameltüten“ (Märchen und Sagen) erzählt und wohl Geschichten so schauerlicher Art vorgetragen, daß Alle oft bis nach Mitternacht bleiben, um nur nicht zur Geisterstunde am Friedhof vorbei zu müssen oder am Weiher, aus dem der Sage nach die dort einst eingesenkten Hexen stehend die Hände emporstrecken.

Aber nicht blos schauerliche Fameltüten erzählt man sich in der Spinnstube, nein, auch hübsche von schönen Wichtelweibchen und neckischen Ulken, und seit Gisbert von Vinke Westphalens Sagen bearbeitet, nimmt die von der blondgelockten Elfe und dem Grafen von Schauenburg namentlich einen Hauptplatz in der Spinnstube ein. Diese Lieblingssage des Sonnenthals erzählt der Verliebte der Geliebten schon deshalb so gern, weil er daran die Versicherung seiner ewigen Treue reihen kann und die andere ebenso angenehme Versicherung, daß sie noch tausendmal schöner sei, als die Elfe, um deretwillen der Graf sein Weib verlassen. Das Mädchen läßt bei solchen Worten das Rad still stehen, vielleicht auch, um den ihrer Liebe nicht günstig gesinnten Vater nicht zu erwecken, der stets zu ihrem Schutz mitgeht, sich dicht neben den jungen Burschen setzt, in der warmen Spinnstube aber bald in den tiefen Schlaf des Gerechten versinkt und, die Zipfelmütze weit über die Ohren gezogen, die Füße lang von sich gestreckt, glücklich die schwerste Sorge seines Lebens verschnarcht, Vater einer schönen Tochter zu sein. Die Freuden der Spinnstube läßt sich Keiner gern entgehen. Da giebt’s außer Sagen und Märchen gebratene Aepfel und trockene Birnen, um die Weihnachtszeit Nüsse und Honig, und keine Hofmutter geizt, trifft sie das Loos auch noch so oft, Spinngäste zu haben.

In den einfachen Lebensgang der Dorf- und Hofbewohner bringt eine Messe oder ein Jahrmarkt reiche Abwechselung. Im Sonntagsstaat zieht der junge Bauer mit seinem Weibe in die Stadt, um in den Schätzen zu schwelgen, welche die Budenreihen bieten. Wo ein Sohn Abrahams auf bescheidenem Bret die buntesten Tücher ausgelegt, weilt die hübsche Frau am längsten und liebsten. Daß sie sich aber je von dem beschwatzen ließe, der da Moses und die Propheten zu Zeugen anruft: „wie er nur ihr das Tuch zu so billigem Preis verkaufe,“ dafür ist dem Hans bei seiner Grete weniger bange. Sie ist eben so klug, wie sie hübsch ist, und nicht lange wird es währen, so kehrt sie dem Händler den Rücken, während ihr Hund sich eifrig und immer eifriger jenem kleinen Knaben nähert, der da inmitten des Marktgewühls ein Plätzchen gefunden, wo er sein bescheidnes Diner, eine einfache Wassersuppe verzehrt. Plötzlich gewahrt Grete Bekannte! – Sind’s auch nur Schweine – so doch ihre Schweine, die so schön fett geworden und nun vom Knecht auf den Jahrmarkt getrieben wurden! Jetzt folgen sie schon ihrem neuen Herrn, denn sie sind verkauft und ein gut Stück Geld ist für sie eingekommen. –

Spinnstube mit Sagen und Märchen, Aepfeln und Nüssen, Jahrmarkt mit Budenreihen und glücklich abgesetzten Schweinen – was sind diese Freuden eines Kindes der rothen Erde aber gegen die Lust eines Erntereigens! Ein Triller, eine Coloratur der Patti, eine Pirouette von Lucile Grahn, was sind sie gegen den Geigenstrich einer Dorffidel, gegen den Luftsprung eines glücklichen Bauern am Erntefest! Kein Vergnügen, kein Entzücken des Vornehmen kommt der Freude und dem Jubel gleich, das den Bauern jene Musik, jener Tanz vor der Tenne um den Erntebaum bietet.

Wenn des Feldes letzte Garben in Scheunen und auf Böden untergebracht sind, denkt der Hof- oder Grundbesitzer daran, den Fleiß seiner Leute und Tagelöhner zu belohnen. Wenn auch der reichste Bauer wissentlich vielleicht hat keinen Halm umkommen lassen, dem Grummet dieselbe Sorgfalt geschenkt, wie der ersten Heuernte, so knausert er wiederum nicht, wenn die starken Ackergäule vor dem Leiterwagen stehen, um sein Weib mit der Großmagd zur Besorgung der Einkäufe für das Erntefest nach der Stadt zu fahren. Er, der den Pfennig zusammenhält, achtet dann nicht des entfliehenden Goldes, und ist der Festestag da, stehen Bier- und Branntweinfässer in der Tenne, hat die Hofmutter gebacken und gebraten, dann giebt’s kein froheres Antlitz, als das des Hofbesitzers, wenn er den kommenden Gästen an der Pforte das Willkommen bietet und sie zum Hause geleitet.

Die Erntefeier beginnt gewöhnlich um zwei Uhr mit der „Umfahrt“ über die Felder, die dem Besitzer ihren Segen gespendet haben. Die Leiterwagen sind dazu schon am Morgen von den Knechten und Mägden des Hofes mit grünen Kränzen behangen, die Pferde an den Köpfen mit mächtigen Blumensträußen und flatternden Bändern geschmückt, und in der Mitte des ersten Wagens thront auch der aus Garben geflochtene, mit den Blumen des Feldes und der Wiesen verzierte Erntebaum. Seine Krone, auf der ein künstlich nachgebildetes Huhn sitzt und von deren unterem Reif lange bunte Bänder herabhängen, wird in der Tenne als eine Art von Trophäe nach beendetem Feste aufgehangen und behält den Platz, bis eine frische sie ersetzt. Auf dem ersten Wagen sitzt das Dorforchester vorn an, und um den Erntebaum, den der Großknecht und die Großmagd abwechselnd halten und unablässig heben und senken, schaaren sich die zum Hof gehörigen Leute, drängt sich Jeder, sobald noch ein Plätzchen frei, denn auf diesem Wagen zu stehen ist Ehrensache.

Unter dem Hurrah der Vorreiter, die, wie auch ihre Pferde, mit Blumen verziert, selbst mit Kränzen geschmückt sind, unter den Tönen einer fröhlichen Musik, die weniger harmonisch ist, als laut, setzt sich der Zug in Bewegung, fährt über Feld und Wiese mit Singen und Lachen und kehrt, noch lauter jubelnd, auf den Hof zurück. Wer an klaren Herbsttagen, wie sich ihrer Westphalen um jene Jahreszeit immer erfreut, solchem Erntezuge in den Feldern begegnet, ihn in den roth und goldnen Laubmassen eines alten Eichenkamps mit all seinem bunten Festesputz und farbenreichen Kränzeschmuck verschwinden sieht, der wird den Anblick gewiß zu den poetischsten und lebensvollsten Bildern rechnen, die er erschaut.

So fleißig, so ernst Westphalens Volk ist, eben so lustig und munter kann’s bei seinen Festen sein, und den jungen Burschen und Dirnen hängt mit dem ersten Geigenstrich nicht nur der Himmel – nein, die ganze Welt voller Geigen. Ehrbar wie Mönche und Nonnen stehen sie aber bei der Heimkehr von der Umfahrt in der Tenne um den Hofbesitzer, wenn dieser Gottes Güte preist, ihm dankt für Segen und Gedeihen und Cantor und Schulze dann den Choral anstimmen, der dieser Rede folgt. Die Rede eines Hofbesitzers könnte manchem Dorfpfarrer Ehre machen, und sie ist in ihrer schlichten Einfachheit und dem schmucklosen Gewande oft ergreifender, als wenn die glänzendsten Blüthen der Rhetorik sie zierten. Bringt der Großknecht aber nach beendetem Choral das Wohl des Hofbesitzers aus, so bricht in buntem Hurrah die Fröhlichkeit wieder an. In diesem Lärm wirken die erschreckten Thiere des Hofes stets mit, nicht nur die der Tenne, nein, auch die Hunde bellen, die Gänse schnattern, die Enten kommen aus dem Teich und selbst die Hühner, die Nachmittags schon in das ihnen eigne stille Sinnen versinken und nachdenklich auf den Leitersprossen sitzen, fliegen behende auf und flüchten gackernd auf den Boden, den auch die Hauskatze an dem Tage der Tenne mit all ihrer Unruhe vorzieht. Nach dem Kaffee beginnt der Erntetanz unter den Linden vor der Tenne. Alt und Jung strömt hinaus, wenn der erste Reigen um den Erntebaum eröffnet wird. In froher Lust umspringt ihn die Reihe der Hofburschen und Hofmägde; die Rockschöße und Zipfelmützen fliegen nach rechts und links, die Bänder und Schürzen der Mädchen flattern – bewundernd hängen die Blicke der Zuschauer an den kühnen Sätzen, die dem Aufschnellen der Gummibälle an Höhe oft nicht nachstehen.

Wie fröhlich auch das Treiben ringsum, zwei Gäste werden inmitten alles Troubles stets ihre Würde zu wahren wissen: der dicke Gerichtsschulze und der magere Dorfschullehrer. Politisirend, das Wohl der Staates und Völker berathend, schreiten sie in dem engen Raume, zwischen Entenpfütze und Brunnen, auf und ab, den die Tanzlust nicht mit Beschlag belegt. Die Tanzenden lassen sich in ihrer Lust durch nichts stören, sie tanzen und tanzen, sie jubeln, singen und lachen, und zu den Ausbrüchen ihrer Heiterkeit spielt das Dorforchester den Dessauer Marsch in einem Tempo, welches ebenso glücklich wie genial eine beliebige Mitte zwischen Walzer und Galopp hält. Solchem Dorforchester wird die Tribüne gewöhnlich unter einem der Lindenbäume erbaut und das gebrechliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_806.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)