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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

um acht Uhr zu Bett. Als der Feuerlärm losging, klingelt sie der Marianne und ruft in einem Athem: ,Wo brennt’s und wo ist Gusti?’ Die Marianne hatte glücklicherweise einmal einen gescheiten Gedanken und sagt, es brenne weit draußen im Vorwerk, und der junge Herr seien längst zu Hause und schliefen der Hitze wegen im Pavillon. Da lacht Ihre Frau Mutter still vor sich hin und sagt: ,Wie gut, wie gut! Dort wird er vom Feuerlärm nicht geweckt’ … Dann legte sie sich wieder auf’s Ohr und ist seitdem nicht mehr erwacht. Wir aber, die Marianne und ich, starben fast vor Angst und Sorge, als der Kutscher mit der Nachricht nach Hause kam, daß am Marktplatz Mord und Todtschlag los sei. Und die Marianne und der Kutscher sind fortgelaufen, um Sie zu suchen. Ach Gott, ach Gott! weil Sie nur da sind!“

Gustav spiegelte dem Alten vor, er habe einen Freund mitgebracht, der plötzlich erkrankt sei. „Wir wollen ihn nach dem Pavillon bringen,“ sagte er, „denn Du hast Recht, meine Mutter darf nicht geweckt werden.“

Sie begaben sich auf die Straße, wo Oldenburg noch auf dem Steine saß, das Haupt müde zur Brust geneigt, seine Arme um die Kniee geschlungen. Der Diener trug eine Laterne. Als ihre Strahlen den Mann auf dem Stein beleuchteten, fuhr der Alte entsetzt zurück.

„Nun?“ fragte Gustav.

Der Diener schüttelte unwillig den Kopf und murmelte: „Nichts für ungut, Herr Gustav – aber ich hörte jeden Andern lieber, als den, Ihren Freund nennen!“

Flemming biß sich auf die Lippen. „Unverschämter!“ flüsterte er dann; „eine zweite ähnliche Bemerkung, und Du verläßt meiner Mutter Dienst!“

Murrend gehorchte der Diener. Sie richteten Oldenburg empor, und indem sie ihn unter beiden Schultern faßten, führten sie ihn langsam zum Pavillon, der hinter dem Hause tief im Garten lag.

Im hohen, luftigen Gemach war ein Feldbett aufgeschlagen. Nachdem sie Oldenburg, der willenlos und stumm Alles mit sich geschehen ließ, auf das Lager gestreckt hatten, entfernte sich der Diener. Die Laterne ließ er zurück.

Gustav stellte das Licht auf einen Tisch unweit des Lagers. Dann öffnete er das Fenster. Es war sehr breit und gewährte die Aussicht auf den Fluß, der am Fuß eines abschüssigen Rasens vorüberglitt. Nach einem Blick in die dunkle Landschaft trat Gustav an das Ruhebett. Oldenburg lag mit zurückgelehntem Haupt und geschlossenen Wimpern da. Seine Rechte ruhte lässig auf der Brust; die andere Hand hing herab. Die Ohnmacht von Leib und Seele hatte sich in wohlthätigen Schlaf verwandelt …

Gustav nahm dem Bett gegenüber in einem niedrigen Lehnstuhl Platz und dachte, während er mit gerunzelter Stirn den Schlummernden betrachtete, über das wundersame Spiel des Lebens nach. Wer ihm gestern gesagt hätte, daß jemals eine Stunde komme, wo er Elisen’s Verführer stützend den Arm reichen und eine Stätte unter seinem Dach bereiten würde! Wie empört würde er die Zumuthung zurückgewiesen haben! Und nun traf dies Ereigniß zwischen heut’ und gestern ein …

Doch ändert diese Gegenwart das Vergangene? Löscht sie Elisens Schuld und Gustav’s Haß? „Ich habe ein Recht, diesen Mann zu hassen,“ sucht Gustav sich selber zu stacheln. Aber ist es die Folge der überstandenen, mächtigen Aufregungen oder das erhabene Bild des Schlafes – seine Empfindung gleicht der lodernden Flamme nicht mehr, ergießt sich nicht mehr in gewaltsame Wünsche. Es ist, je länger er den Schläfer betrachtet, als würde seiner Hand ein Dolch entwunden, und nur noch ein bitteres Gefühl bleibt ihm, daß dieser Mann ihm ein süßes Glück geraubt. Ein süßes Glück, denn auch das war ihm jetzt innerlich klar geworden, daß ein Leben, wie er es fern von der Heimath führte, nur eines Thoren Leben auszufüllen vermag und daß er weit, weitab von dem Weg gerathen, der einen Mann zum Glück und Segen leitet.

Das Wort des Arbeiters fällt ihm ein: „Sie ernten, was wir säen.“ Seine Wahrheit zerschmettert den Müßiggänger auch noch durch den Mund eines häßlichen, gemeinen Menschen. Alle Redlichen und alle Unglücklichen treten auf des häßlichsten und gemeinsten Menschen Seite, wenn er nur eine schwielige, von Arbeit gehärtete Hand hat und diese Hand gegen den feingekleideten Sybariten erhebt.

Dann taucht das Bild des Mannes vor ihm auf, der auf dem Straßenpflaster liegt, mit verzerrtem Antlitz, mit blutiger Brust. Er sieht das Weib, das über den Starren sich hinwirft, wahnsinnig auffährt und „Todt! todt!“ zu den Sternen emporschreit … Wünschte Gustav nicht gestern, ihn, der zwei Schritte von ihm schläft, mit blutiger Brust auf der Erde liegen zu sehen? Malte er es sich nicht aus, wie Elise über den bleichen Buhlen sich werfen und die Hände ringen würde: „Todt! todt!“? Er entsetzt sich jetzt vor seinen eigenen Gedanken.

Aber kann es nicht immer noch dahin kommen? Wenn sein Gast vom Schlummer erwacht, wenn der Tag die Eindrücke der Nacht verdrängt und ihnen gegenseitig den Feind beleuchtet? Soll Gustav schweigen? Wird er es können? Und was folgt, wenn das Wort zwischen ihnen gesprochen wird? Gustav, der gelehrige Schüler moderner Romanhelden, kennt noch keine andere Sühnung, als die mit dem Degen, mit dem Mordgewehr vollzogen wird … „Nein, nein!“ denkt er, „wenn es dahin kommt, mag mich die Kugel treffen, und Elise wird dann an mir auch niedersinken und jammern ,Todt!’“ … O, wie entwindet sich ihm der häßliche Haß mehr und mehr!

In diesem stillgeschäftigen Wirken der Gedanken saß der Schlaflose lange, lange. Durch das offene Fenster hörte er vom nächsten Kirchenthurm die Viertelstunden schlagen. Aber er zählte sie nicht. Er hatte Angst vor dem Erwachen des Tages und des Schläfers.

Als sein Blick einmal vom Antlitz Oldenburg’s auf das Licht am Tische fiel, bemerkte Gustav, daß das Roth der Flamme düsterer glühte. Er erhob sich rasch und trat zum Fenster.

Die Sterne am Himmel waren verschwunden, und über dem Fluß wallten weiße Schleier. Der Morgen graute.

Das Geräusch der Schritte aber weckte den Schlummernden. Als Gustav sich umdrehte, stand Oldenburg vom Lager auf und streckte Jenem die Hand entgegen.

„Ich danke Ihnen,“ sagte er herzlich, während Gustav in den Boden gewurzelt blieb, „ich danke Ihnen. Zwar weiß ich nicht einmal Ihren Namen, wiewohl mir Ihre Züge nicht unbekannt dünken; aber wer immer Sie sein mögen, Sie haben die entsetzlichste Stunde meines Lebens mit mir durchlebt – ich meine damit nicht den Augenblick der Gefahr, sondern den unserer Rettung. Mehr noch, Sie gewährten mir Hülfe und ein gastlich Dach, als ich mir ein Ausgestoßener erschien –“

„Sie vergessen, mein Herr,“ unterbrach ihn der Jüngere mit herber Kälte, „Sie vergessen, daß ich Ihnen mein Leben verdanke.“ Seltsam! Anstatt ihn völlig zu entwaffnen, belebte die Erinnerung, daß Oldenburg ihn einer rasenden Meute entrissen, das Gefühl tiefster Kränkung und Rachgier, welches er kurz vorher fast überwunden hatte.

„Sprechen wir davon nicht “ erwiderte Oldenburg mit unveränderter Herzlichkeit. „Suchen Sie diese Nacht um der Menschen willen zu vergessen. Ich weiß nicht, ob Sie das Volk kennen und wie Sie von ihm denken, immerhin glauben Sie, daß seine Unvernunft von heute mehr Vernunftgründe hat, als manche gute That. Mir ist unbekannt, wodurch Sie ihre Wuth erregten, gewiß war es nicht Ihre Schuld – aber verbannen Sie den Gedanken an das Unrecht, um nicht daran denken zu müssen, wie Sie gerächt wurden! Die Nacht ist vorüber, und indem Sie mir, einem armen, unglücklichen Manne, die Hand reichen, versöhnen Sie sich mit jenen Armen, Unglücklichen!“ Damit trat er zu Gustav und ergriff dessen Hand; aber dieser, nun wieder ganz in Wuth, entriß sie ihm.

„Sie wissen nicht, zu wem Sie sprechen,“ rief er hastig. „Mein Name ist Gustav Flemming … Wollen Sie mir noch Ihre Freundschaft antragen? Sie retteten mir zufällig das Leben, gut; aber das Mädchen, das ich liebte, mit dem ich glücklich zu werden hoffte, haben Sie mit Ueberlegung und, wer weiß, mit welchen Buhlerkünsten und Intriguen, verführt! Mir däucht, ich komme viel zu kurz, wenn ich sage, daß wir quitt sind …“

Oldenburg prallte überrascht zurück. Wie oft nicht hatte ihm Elise den Namen Gustav’s genannt, um Gustav’s willen sich in Vorwürfe, Anklagen und Thränen ergossen. Und nun, da das Verhängniß sich Schlag auf Schlag entlad’t, tritt auch dieser Mann ihm entgegen, und Oldenburg sieht sich unvermuthet als Gustav’s Retter, Leidensgefährte, Gast …

Nachdem er im Dämmerlicht das Antlitz des jungen Mannes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_818.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)