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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

so kann dies sehr behutsam, en kann aber auch sehr schnell und plötzlich geschehen. Im letztern Falle wird die Wageschale sofort sinken, das ist keine Frage; denn der Finger vollführt einen Stoß auf das Wasser und da die Wassertheilchen dem Finger nicht schnell genug ausweichen können, so muß die Wagschale mit dem Glase tief gehen. Von einem Stoße soll aber bei unserm Versuche durchaus nicht die Rede sein, vielmehr soll der Finger so langsam und so behutsam wie möglich in die Flüssigkeit eindringen, so daß dieselbe Zeit genug hat, dem Finger Platz zu machen. Ob nun auch so die Wage noch außer Gleichgewicht kommen wird, ist eine andere Frage, die wir untersuchen wollen. Wenn der Finger direct auf das Ende des Wagebalkens drückt, so senkt sich dieser natürlich, denn er kann dem Drucke nicht anders ausweichen als dadurch, daß er sich senkt; der Finger kann aber auf das Wasser eigentlich gar keinen Druck ausüben, denn dasselbe ist so leicht beweglich, daß es dem Drucke des Fingers innerhalb des Glases ausweichen kann, auch ohne daß die Wageschale sich senkt. Wenn meine Hand einer Backe einen Streich versetzt, so ist derselbe nur wirksam, wenn die Backe mehr oder weniger still hält; weicht aber die Backe ebenso schnell aus, als meine schlagende Hand sich bewegt, so wird der Backenstreich nicht sitzen, d. h. naturwissenschaftlich ausgedrückt: die Hand wird keinen Druck auf die Backe auszuüben im Stande sein. Oder ein besseres Beispiel! Jedermann weiß, daß die Fortbewegung eines Raddampfers bewirkt wird durch den Druck der Radschaufeln gegen das Wasser. Die Radschaufeln bewegen sich so schnell, daß das Wasser ihrem Drucke nicht schnell genug ausweichen kann. Bei einer sehr langsamen Drehung des Schaufelrades wird das Schiff, wie man sich auf jedem schiffbaren Flusse leicht überzeugen kann, um keinen Zoll vorwärts getrieben, denn die Wassertheilchen haben Zeit, den Schaufeln auszuweichen. Nach alledem muß also auch die Wage beim behutsamen Eintauchen des Fingers im Gleichgewicht bleiben. Aber wie jedes Ding zwei Seiten hat, so kann man auch unsere Frage von einem andern Gesichtspunkte betrachten und dann kommt man zu einem andern Resultat.

Wenn ich mit dem Finger gegen eine Wand drücke, so wird nicht nur die Wand von meinem Finger gedrückt, sondern auch mein Finger wird von der Wand gedrückt – der Druck des Fingers ist ja auch fühlbar! Im Allgemeinen: überall, wo überhaupt ein Druck ausgeübt wird, wird er immer in zwei entgegengesetzten Richtungen ausgeübt. Nun ist es aber schon seit Jahrhunderten bekannt, daß jeder Körper, welcher in eine Flüssigkeit getaucht wird, von dieser einen Druck auszuhalten hat. Also wird auch der in das Wasserglas eingetauchte Finger vom Wasser einen Druck erfahren und nach dem oben Gesagten auch wiederum einen Druck auf das Wasser ausüben. Da aber jeder Körper, auf welchen ein Druck ausgeübt wird, diesem Drucke ausweicht, wenn er nur ausweichen kann, so hat auch unser Glas Wasser das Bestreben, dem Finger auszuweichen, und da es durch Senkung des Wagebalkens recht gut ausweichen kann, wird es auch ausweichen. Das Resultat dieser Ueberlegung ist also: die Wageschale mit dem Glase Wasser wird sich beim Eintauchen des Fingers senken – gerade das entgegengesetzte des obigen.

Nach dieser Auseinandersetzung haben wir für gewiß angenommen, daß der in das Wasser getauchte Finger einen Druck auf die Flüssigkeit und somit auch auf die Wageschale ausübt. Dagegen scheint sich denn aber doch noch ein gewichtiges Bedenken erheben zu lassen. Eine Fischverkäuferin versicherte mir einmal alles Ernstes, daß, wenn man Fische wägen wolle, man sie nicht etwa im Wasser schwimmend auf die Wagschale setzen dürfe, sondern in einem durchlöcherten Gefäß, denn wenn sie auf der Wagschale schwömmen, so wögen sie eben gar nichts. Daß dies nur eine alberne Einbildung der Fischverkäuferin war, werden mir auch die Leserinnen sicherlich zugeben.

Der schwimmende Fisch wiegt natürlich mit, und ein Stück Holz, welches in das Glas Wasser geworfen auf dessen Oberfläche schwimmt, wiegt ebenfalls mit und zwar genau so viel, als es schwer ist. Wenn ich aber meinen Finger in das Glas Wasser tauche, so wird mir doch wohl kein Mensch bestreiten wollen, daß mir mein Finger angewachsen ist und daß ich ihn selbst trage; also kann doch unmöglich die Wageschale etwas von seinem Gewichte zu tragen haben. Hiernach würde sich also die Wageschale mit dem Glase Wasser beim Eintauchen des Fingers nicht senken.

„Gut,“ sagt jetzt der freundliche Leser der Gartenlaube, „jetzt haben wir zwei Gründe, welche uns die Frage verneinen lassen, und nur einen, aus welchem wir sie bejahen könnten; da zwei Gründe aber mehr wiegen, als einer, so antworten wir mit einem Nein.“ So schnell lassen wir dich nicht los, naturforschender Leser; in der Natur sind keine Widersprüche vorhanden, sondern nur in dem menschlichen Gedanken, und diese Widersprüche müssen gelöst werden. Wenn du aber wirklich meinst, daß zwei Gründe für Nein mehr wiegen, als ein Grund für Ja, so wollen wir doch sehen, ob wir nicht noch einen stichhaltigen Grund für Ja anführen können. Und wahrhaftig, hier ist einer! Ueberlegen wir noch einmal! Es ist doch sicher, daß der Versuch ganz derselbe bleibt, mag nun unser in das Wasser getauchter Finger von Fleisch, von Eisen oder von Holz sein. Nehmen wir demnach einmal an, er wäre von Holz und wäre an der Hand nur befestigt. Also zuvörderst befindet sich die Wage im Gleichgewicht. Nun nehme ich meinen Holzfinger von der Hand ab und werfe ihn in das Wasserglas.

Wird die Wagschale sinken? Natürlich, denn jetzt wiegt ja der Holzfinger mit! Nun aber weiter! Ich bringe meine Hand mit dem schwimmenden Holzfinger in Berührung, aber nur in Berührung, ohne den mindesten Druck auszuüben – wird sich in der Stellung des Wagebalkens etwas ändern? Natürlich nein! Denken wir uns nun, daß in dieser Stellung der Finger plötzlich wieder an der Hand fest würde – würde dadurch etwas geändert? Natürlich wieder nein! So, nun sind wir fertig: der Wagebalken hat sich gesenkt und ich halte meinen an der Hand befestigten oder, (was dasselbe ist) festgewachsenen Finger in dem Wasser. Das Resultat ist also hier wieder: die Wagschale mit dem Glase Wasser senkt sich beim Eintauchen des Fingers.

Wir wollen unsere Untersuchungen nicht weiter fortführen und es dem Leser überlassen, noch Mancherlei für und wider zu denken und zu sagen. Hat er sich aber für Ja oder Nein entschieden, so erfahre er durch den Versuch, ob er Recht habe, und – was die Hauptsache ist – er widerlege sich alle Gegengründe. Die einfachsten Dinge machen manchmal die größten Schwierigkeiten!

R. H. 




Vom Sterbebette des Prinzen Albert. Erst ganz vor Kurzem ist in London ein Brief in die Oeffentlichkeit gedrungen, welchen eine der königlichen Familie sehr nahe stehende Persönlichkeit, die von den kleinsten Vorgängen im Windsorschloß und im Buckinghampalaste genau unterrichtet zu sein pflegte, wenige Tage nach dem Hintritte des Prinzen Albert an einen Freund geschrieben hat. Einige auf die letzten Tage des vielbeklagten Prinzen bezügliche Einzelheiten jenes Schreibens dürften auch heute noch in Deutschland nicht ohne ein wehmüthiges Interesse gelesen werden. –

Der letzte Sonntag, welchen der Prinz erlebte, wird der ganzen königlichen Familie, namentlich aber der Prinzessin Alice, unvergeßlich sein. Prinz Albert war schon sehr angegriffen und leidend und darum seine Tochter Alice um ihn geblieben, während die andern Glieder der Familie sich, der englischen Etikette gemäß, zum Gottesdienste begeben hatten. Er bat sie, das Sopha, auf dem er saß, an das Fenster rollen zu lassen, damit er den Himmel und die über ihn schiffenden Wolken sehen könnte, deren Bewegung für ihn immer so große Anziehung gehabt hatte, und äußerte dann den Wunsch, sie möchte ihm ein paar Stücke auf dem Piano spielen, welche er ihr bezeichnete. Die Prinzessin willfahrte ihm, und da der Vater sie so gern singen hörte, so sang sie ihm auch einige deutsche Lieder.

Als sie den Flügel zumachte und sich nach dem Kranken umschaute, hatte er sich auf den Divan gestreckt, die Augen geschlossen und die Hände gefaltet, als wenn er gebetet hätte, so unbeweglich liegend, daß die Prinzessin glaubte, der Vater sei eingeschlafen. Leise wollte sie sich in seine Nähe schleichen; doch wie sie sich erhob, schlug er plötzlich die Augen auf und lächelte.

„Hast Du geschlafen, lieber Papa?“ frug sie.

„Nein, mein Kind, ich hatte nur so süße Gedanken, daß ich sie durch keine Bewegung verscheuchen mochte.“

So faltete er während seiner letzten Krankheit häufig die Hände, und sein ruhiges, friedvolles Antlitz zeigte, daß diese „süßen Gedanken“ oft bei ihm einkehrten.

Die Fassung der Prinzessin Alice war bewundernswerth; sie hat uns Alle in Erstaunen gesetzt. Vom ersten Tage an, wo der Vater erkrankte, sah sie ein, daß sie sich zusammenraffen müßte, um durch ihre Energie und Standhaftigkeit Vater und Mutter Muth und Trost zu geben, und beschloß, diese ihre Pflicht getreulich bis zum Ende zu erfüllen, wie schwer es sie auch ankommen mochte, ruhig zu bleiben, wo sie nicht mehr hoffen konnte.

Der Prinz selbst täuschte sich nicht über die Bedeutung seiner Krankheit und lieh seinen Befürchtungen unverzagt und unumwunden Worte. Jedesmal aber, wenn er von der Möglichkeit seines Scheidens sprach, brach die Königin in solchen herzzerreißenden Jammer aus, daß er ihr nicht mehr von seinem Tode zu reden wagte. Und doch hatte er noch so Manches zu sagen, von so Manchem sein Herz zu erleichtern, so manchen Wunsch zu äußern, so vielerlei Anordnungen zu treffen!

Das entging der Tochter nicht, sie begriff daher, wie sie sich verhalten müßte, wollte sie dem geliebten Vater seine letzten Stunden wirklich erleichtern. Mit einer überraschenden Kraft wußte sie ihre Gefühle zu beherrschen, so daß sie im Beisein des Kranken nicht ein einziges Mal die schmerzliche Erregung verrieth, welche ihr die Brust zu zersprengen drohte, und nie den Thränen freien Lauf ließ, von denen ihre Augen überströmen wollten. Neben dem Kopfkissen des Vaters sitzend, hörte sie aufmerksam den Bestimmungen zu, die er gab, und den letzten Verfügungen, die er traf, und sang ihm von Zeit zu Zeit eines seiner Lieblingslieder, mit fester klarer Stimme, ob ihr auch das Herz dabei brechen wollte. Nur ab und zu einmal stahl sie sich in die Einsamkeit ihres Zimmers und weinte sich aus, um bald darauf mit der alten Fassung zu dem sterbenden Vater zurückzukehren.

Und als der Theuere den letzten Athemzug gethan und die unglückliche Königin sich nicht mehr täuschen konnte über den Verlust, welchen das Schicksal über sie verhängt hatte, wieder war es allein die Prinzessin Alice, welche für die in ihrem Schmerze schier zusammenbrechende Mutter das Wort linden Trostes fand, wo Niemand sonst das Ohr der in dumpfer Schwermuth hinbrütenden Königin zu erreichen vermochte.


Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal und der zwölfte Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen (dreizehnten) Jahrgangs, in dem selbstverständlich, ebenso wie in den frühern Jahrgängen,

Tagesereignisse und Zeiterscheinungen

jede mögliche Berücksichtigung finden werden, schleunigst aufgeben zu wollen.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen diese Bestellungen an.
Die Verlagshandlung von Ernst Keil. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_832.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)