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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

wo man zu Nacht bleiben könne; seine Frau halte es bis zur nächsten Station nicht mehr aus. Ich sprach ihm von der Buchhauser Linde. Ich mußte ihm über Alles Bescheid geben, wo das Haus liege, ob die Wirthsleute ordentliche Leute seien, ob man hier gut logire. Und als er Alles wußte, befahl er mir, hier zu halten und Nachtquartier zu bestellen. Ich soll mit den Pferden bleiben, damit es morgen früh gleich weitergehen kann!“

„Wie heißt die Herrschaft?“ fragte der Wirth noch. „Und wo sind sie her?“

Der Postillon wußte es nicht.

„Der Name steht in meinem Begleitezettel; aber ich habe wahrhaftig nicht danach gesehen. Es wird ja auch nicht darauf ankommen, Lindenwirth, wenn sie nur bezahlen.“

So mochte auch der Lindenwirth meinen. „Nummer eins und zwei heizen,“ befahl er einer Magd.

„Oben doch?“ fiel der Postillon ein. „Dem Herrn war besonders daran gelegen, daß seine Frau in der Nacht nicht durch das geringste Geräusch gestört werde; wenn sie an ihren Kopfschmerzen leide, so könne sie nicht vertragen, wenn nur Jemand in ihrer Nähe spreche.“

„Seid ohne Sorgen, Schwager,“ sagte der Wirth. „Sie sind allein da oben, und die ganze Nacht soll sich keine Maus rühren.“

Wirth und Postillon gingen hinaus zum Wagen. Der fremde Reisende war unterdeß ausgestiegen, wohl ungeduldig über das Ausbleiben des Postillons. Er kam den Beiden entgegen.

„Bekomme ich Quartier?“ frug er kurz.

„Zu Befehl, Euer Gnaden.“

„Sind keine Fremden im Hause?“

„Kein Mensch.“

„Ich darf unter keinen Umständen heute Nacht gestört werden!“

„Euer Gnaden dürfen unbesorgt sein. Es werden schon zwei Zimmer für Sie geheizt, die ganz allein liegen.“

„Ich bedarf nur eins.“

„Wie Euer Gnaden befehlen.“

Ein Knecht kam aus dem Hause mit Licht, um zu leuchten.

„Das Licht fort!“ befahl der Fremde. „Es schmerzt meine kranke Frau.“

Der Knecht ging mit dem Lichte wieder in das Haus. Der Reisende kehrte zu dem Wagen zurück. Der Wirth wollte ihm folgen.

„Sie können am Hause bleiben,“ wurde ihm befohlen.

Der Wirth ging zum Hause zurück. „Alle Hagel, der ist wahrhaftig vornehm,“ sagte er für sich, indem er sich in Gedanken berechnete, wie viel es ihm eintrage.

Der Reisende hatte jedes Wort kurz, befehlend, in fast absichtlich verletzender, hochfahrender Weise gesprochen. In den Wagen sprach er mit milderer Stimme hinein; kurz und befehlend schien freilich sein Ton, wie sein ganzes Wesen immer zu sein.

„Wir werden hier bleiben. Darf ich Dich bitten?“

Es erhob sich Jemand im Wagen. Man hörte Seide rauschen. Auf den Arm des Reisenden gestützt, stieg eine Dame aus dem Wagen. An seinem Arme ging sie mit ihm zum Hause. Sie mußte leidend sein; sie schritt schwer und mühsam neben ihm. Sie gingen Beide schweigend. In der Hausthür trat ihnen der Wirth entgegen. Hinter ihm stand der Knecht mit dem Lichte. Der Wirth war wohl neugierig, sich die beiden Fremden anzusehen.

„Zurück mit dem Lichte! Ich befahl es schon einmal!“ rief strenge der Reisende.

Der Knecht trat wieder zurück. Der Wirth hatte aber auch vorher wenig gesehen. Der Fremde war in einen weiten, langen Reisepelz gehüllt; eine Pelzmütze mit langem, breitem Schirm verdeckte das ganze Gesicht und ließ nur einen Theil eines schwarzen, krausen Bartes sehen. Die Dame trug gleichfalls einen weiten Pelz, der mit schwerer schwarzer Seide überzogen war. Ihr Gesicht wurde von einem schwarzen Schleier verborgen. Herr und Dame waren ein paar hohe Gestalten. Der Herr schien schlank zu sein; seine Bewegungen waren rasch, leicht, stolz. Haltung und Bewegungen der Dame zeigten nur, daß sie leidend war.

Das war Alles, was der Wirth beobachten und wahrnehmen konnte. Er führte die Fremden in das für sie bestimmte Zimmer, welches im ersten Stockwerke lag.

„Es liegt nach hinten,“ sagte er zu ihnen. „Da werden Sie nicht gestört werden. Vorn hätten Sie nicht so ruhig schlafen mögen. In der Nacht wird oft auf der Chaussee gefahren.“

„Gut!“ erwiderte der Fremde kurz.

Das Haus lag an der Chaussee; es hatte zwei Stockwerke. In dem oberen waren nur Fremdenzimmer, unten zu ebener Erde war die Wirthsstube, wohnten und schliefen der Wirth und seine Leute. Der Wirth wollte mit in das Zimmer treten.

„Sie bleiben zurück,“ befahl ihm der Fremde.

Der Wirth blieb zurück.

„Befehlen Euer Gnaden noch etwas?“ fragte er.

„Nachher!“

„Aber Ihre Sachen?“

„Nachher!“

Damit schloß der Fremde dem Wirth die Thür vor der Nase zu. Im Zimmer war Licht; geheizt wurde es von außen. Der Wirth kehrte nach unten in die Wirthsstube zurück. Wohl hatte er für das vornehme, hochfahrende Wesen des Fremden schon seine Rechnung gemacht, dennoch aber mußte er den Kopf schütteln. Aber er schlug wohl auch etwas auf die Rechnung hinzu. Nach zehn Minuten kam der Reisende in die Wirthsstube. Er kam in Pelz und Pelzmütze; man sah von seinem Gesichte wieder nichts, als den glänzend schwarzen, krausen Vollbart.

„Meine Sachen hinauf,“ befahl er dem Wirth. „Sodann Thee für meine Frau. Für mich später Abendbrod – was Sie haben, und eine Flasche Wein. Auch frisches Wasser. Rufen Sie den Postillon hierher!“ befahl er dann.

Der Postillon kam.

„Morgen früh um fünf muß angespannt sein,“ befahl er dem Postillon. „Mit dem Glockenschlage werden wir fahren.“

Er verließ das Zimmer. Er hatte immer gleich, in dem nämlichen kurzen, herrischen, hochfahrenden Tone gesprochen. Und es war nichts Gemachtes darin, Ton und Wesen schienen dem Manne durch lange Gewohnheit zur andern Natur geworden zu sein; durch Gewohnheit von früher Jugend an wenigstens. Denn er konnte noch nicht alt sein. Die gerade Haltung, die Elasticität seiner Bewegungen, die frische Stimme ließen auf einen noch jungen Mann schließen; auch der glänzend schwarze Bart sprach hierfür.

(Fortsetzung folgt.)





Barmherzig und herzig!

„O heil’ge Jungfrau!“ Gut getroffen
Hat jede Kugel aus dem Knick,
Am Boden sucht voll gläub’gem Hoffen
Den Himmel brechend noch sein Blick;

5
Im langen Traum der Fiebernächte

Umwaltet es sein Lager mild,
Als ob es Trost und Labung brächte,
Der Gnadenreichen holdes Bild.

Sie fleht zu Gott um seinen Segen

10
Und ordnet sorglich den Verband;

Ein Amulet blitzt ihr entgegen,
Unwillig zittert ihre Hand,
Sein Heiligthum erscheint ihr Lüge – –
Sie schaut in’s bleiche Angesicht,

15
Des Tapfern todtbedrohte Züge

Und freundlich übt sie ihre Pflicht.

Hin durch der nord’schen Eichen Schatten
Bedächtig wallt ein seltsam Paar,
Oft will des Kranken Kraft ermatten,

20
Dann bietet sie den Arm ihm dar,

Sie hält ihn fest und immer fester,
Er kennt die treue Stütze schon;
So leitet die barmherz'ge Schwester,
Den sie gerettet, Oestreich’s Sohn.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)