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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zwölfjährige Mädchen als zeitweilige Frau vor der Hand für fünf Mondjahre in’s Haus. Wenn auch die noch lebende erste Frau des Mirsa, Chanum bosurk (die große Frau), welche nur eine Tochter geboren hatte, ihrem Manne nichts einwendete gegen eine zeitweilige Ehe desselben mit einer jüngeren Frau, von der er einen männlichen Leibeserben zu erlangen hoffte, so konnten doch, trotz Fatme’s geduldigem Wesen, Zwistigkeiten um so weniger ausbleiben, als Chanum bosurk herrschsüchtig war und ihre schon erwachsene Tochter ebenso ränkesüchtig wie hübsch. Schon glaubten Beide sich am Ziele ihrer Wünsche, nämlich die Sigeh (so heißt die zweite Frau in Persien) am Ende ihres Contractes entlassen zu sehen, als diese nach mehr als dreijähriger Ehe ebenfalls ein Mädchen gebar. Das arme Kind und seine Mutter hatten viel von Chanum bosurk und ihrer Tochter zu leiden, und auch der alte Mirsa fing an auf die junge Frau ungehalten zu werden, weil seine Wünsche nicht in Erfüllung gingen. Zum Glücke für das arme Kind starb es bald, aber eine noch traurigere Zeit folgte für die junge Frau. Da, als ihr Contract eben ablaufen sollte, gebar sie abermals und zwar Zwillinge männlichen Geschlechts, welche beide leben blieben. Der alte Mirsa war wie toll vor Freude über diesen in Persien so seltenen Fall, und wenig fehlte, er hätte seine erste Frau sammt Tochter aus dem Hause gejagt, als diese ihn glauben machen wollten, die Kinder wären nicht seine eigenen. Nun wandte sich das Blatt, und statt den zeitweiligen Ehecontract zu erneuern, nahm er seine zweite, bisher nur zeitweilige Frau, unter Beobachtung aller nöthigen Förmlichkeiten, als beständige auf. Die bisherige Fatme Sigeh wurde von nun an aber Chanum kutschuk (die kleine Frau) titulirt und bekam für sich und ihre Kinder eine besondere Wohnung. Häuslicher Friede ist dadurch zwischen den beiden Frauen nicht erzielt worden: Chanum bosurk und ihre Tochter umgaben die junge Frau mit ihren Spionen, zu denen auch die alte Dienerin gehört, welche heute die junge Frau begleitet und die ihren Auftraggeberinnen auch etwas vorlügt, wenn es nur dazu taugt, die zweite Frau und ihre Kinder bei dem Aga (Hausherrn) zu verleumden. Chanum bosurk und ihre Tochter sind ebenfalls eingeladen. Sie haben sich jedoch entschuldigen lassen, denn sie hassen in der Frau des Chans die Beschützerin ihrer Nebenbuhlerin.

Eine vornehme Perserin mit ihrer Dienerin auf der Straße.
Nach persischen Originalzeichungen.

Die beiden Frauen gelangen jetzt an eine geräumige Wobnung mit vielen Gebäuden und einem großen Garten, die von einer hohen Mauer mit mehreren Eingängen umgeben ist. Am Haupteingange zu dem Divanchane (Empfangszimmer des Hausherrn) stehen plaudernd und hocken rauchend neben einem Paar zerlumpter Soldaten viele Diener, und Pferde werden herumgeführt, bedeckt mit kostbaren Decken. Hier zieht Chanum kutschuk das Rubend wieder über ihr Gesicht und wandert still vorbei um die Ecke zu einer Seitenpforte, die sich, nach mehrmaligem Klopfen mit dem daran befestigten Eisenklöppel, öffnet. Ein alter Schwarzer öffnet den beiden Frauen, welche im Hause so wohl bekannt sind, daß er ihre Gesichter nicht einmal zu sehen braucht, um sie zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_025.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)