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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gestanden, während Napoleon nach Moskau zog. Erst in der zweiten Hälfte des November rückte das neunte Corps der großen Armee nach und gelangte unter blutigen und sehr ehrenvollen Gefechten am 25. November bis Losznitza. „Gegen zwei Uhr Mittags erreichten wir,“ so erzählt der Markgraf, „die große Straße bei Losznitza, wo wir bivouakiren sollten. Nie werde ich diesen Tag vergessen! Schon in der Entfernung mehrerer Stunden von der Moskauer Straße verkündeten die längs derselben in Brand gesteckten Dörfer die Anwesenheit der ‚großen Armee‘, über deren Verfassung sich bisher nur dunkle und unsichere Gerüchte im neunten Corps verbreitet hatten. Niemand ahnte aber ihren wahren Zustand und der Eindruck, welchen derselbe bei unserem Zusammentreffen mit ihr auf uns machte, ließ nichts Gutes erwarten. Die Erinnerung, die ich noch von jenem denkwürdigen Tage habe, besteht in Folgendem. Wir marschirten ruhig unseres Weges, als gemeldet wurde, man sehe in der Entfernung einige Reiter; ich begab mich hierauf zur äußersten Spitze der Avantgarde und überzeugte mich von der Richtigkeit der geschenenen Meldung. Zuerst hielt man die Reiter für Kosaken, bald aber erkannte ich, daß sie zur verbündeten Armee gehörten. Ich ritt nun zu ihnen vor und vernahm, daß einer preußischer Husar, der andere würtembergischer Chevauxlegers sei. Sie ritten auf kleinen russischen Bauernpferden, die man dort zu Lande Konnin nennt. Auf meine Frage, woher sie kämen, sagten sie: ‚Von Moskau!‘ und als ich mich nach der ‚großen Armee‘ erkundigte, erhielt ich zur Antwort, sie marschire zunächst von da auf der großen Straße. Bald hatte ich mich dieser genähert, und nun enthüllle sich vor meinen Augen ein Bild der Auflösung, wie es sich nie aus meinem Gedächtniß verwischen wird.“

Der preußische Husar und der würtembergische Chevauxlegers waren die Vorreiter des zerrissenen Heeres, das sich so stolz noch vor wenigen Wochen die „große Armee“ nannte. Die deutschen Rheinbundtruppen aber, die badischen Bataillone vor allen andern, wurden von diesem Tage an die Arrièregarde der großen Armee, die Retter der Reste, die der sie überall umschwebenden Vernichtung entgingen.

Schon in den nächstfolgenden Tagen, am 28. in der Schlacht an der Berezina, welche geliefert wurde, um den Uebergang über diesen Fluß zu decken, waren es die deutschen, vor Allem die badischen Truppen, welche die gänzliche Vernichtung der aufgelösten großen Armee verhinderten. Den ganzen Tag wehrten sie die Angriffe der Russen ab. Im entscheidenden Augenblicke waren es die badischen Husaren und die hessischen Chevauxlegers, die den Tag entschieden. Nach einem mißlungenen Angriffe der bergischen Brigade rückte eine russische Colonne vor und war im Begriff, die französische Schlachtlinie zu brechen, als die badischen und hessischen Reiter, dreihundert sechsundfunfzig Pferde, zum Angriff gegen dieselbe befehligt wurden. „General Fourrier (der Franzose, der sie commandiren sollte) wurde verwundet, worauf der badische Oberst von Laroche das Commando übernahm. Dieser stürzte sich nun auf die russische Infanterie; nach einem kurzen Gefecht war die feindliche Colonne theils niedergehauen, theils gefangen; fünfhundert Mann des vierunddreißigsten Jägerregiments wurden als Gefangene zurückgebracht. Inzwischen sprengten russische Kuirassiere herbei. Oberst von Laroche warf sich auch diesen mit ungestümem Muthe entgegen, wurde aber schwer verwundet, wobei er zugleich gefangen wurde; Wachtmeister Springer hieb ihn jedoch glücklich heraus und befreite ihn wieder. Das Husarenregiment war bei diesem für dasselbe so ehrenvollen Kampfe fast ganz aufgerieben worden, kaum funfzig Pferde kehrten mit mir über die Berezina zurück; gleiches Loos theilten die braven hessischen Chevauxlegers. Es war eine große Gunst des Schicksals,“ setzt der junge tapfere deutsche Feldherr hinzu, „daß in einem Feldzuge, wo alle Cavalerie durch Mangel und durch Strenge des Klimas einem gewissen Untergange entgegenging, das badische Husarenregiment mit einer ausgezeichneten, durch glänzende Erfolge belohnten Waffenthat vom Schauplatz abtreten und durch eigne Aufopferung die Rettung seiner Waffengefährten erkaufen konnte.“

„Es gelang nun dem Feinde nirgends mehr, vorzudringen. Wir bivouakirten auf dem Schlachtfelde in der nämlichen Stellung, die wir im Beginne des Kampfes eimgemommen; ja die badische Brigade, indem sie sich bis zu dem Gehölz ausdehnte, aus dem sie die Russen zurückgeworfen, hatte sogar Terrain vorwärts gewonnen.“

Der Marschall kam dann auch zu dem Markgrafen, „lobte ungemein das Benehmen unserer Truppen; es seien die einzigen, auf die er sich verlassen könne; er wolle davon dem Kaiser Meldung erstatten, der sicherlich nicht ermangeln werde, uns Zeichen seiner besondern Anerkennung zu geben, denn wir hätten uns um die ,große Armee‘ verdient gemacht. Dennoch,“ setzt der Markgraf hinzu, „erschien später in dem berühmten neunundzwanzigsten Bulletin nicht ein Wort der Anerkennung für die badischen Truppen, – nur (der Franzose) General Fourrier wurde genannt, der, gleich anfangs verwundet, das Schlachtfeld frühe verlassen hatte.“

Achtundzwanzig todte und verwundete Officiere, eintausend einhundert todte und verwundete Soldaten der badischen Brigade bekundeten sicher besser, als alle Belobung Napoleon’s es vermocht hätte, den Muth der deutschen Retter der großen Armee.

Nur mit vieler Noth konnte der Rest der badischen Brigade am andern Morgen die Brücke der Berezina überschreiten, die sie dann zerstören mußte, trotz zehntausend versprengten, vierzig Kanonen, den Wagen der Generäle und selbst der kaiserlichen Kriegscasse, die alle rettungslos verloren waren, nachdem die deutschen Truppen sie nicht mehr vertheidigten.

So lange die Verfolgung durch die russische Armee mit der Flucht der französischen Schritt halten konnte, waren die deutschen und ganz besonders die badischen Truppen stets diejenigen, welche kämpfend Schritt für Schritt das französische Heer decken mußten. Nachdem endlich die Verfolgung der Russen stockte, fielen die Reste des Heeres dem furchtbaren Geschicke anheim, unverfolgt der immer höher steigenden Kälte zu erliegen. Alltäglich, allstündlich, auf Schritt und Tritt, sahen die Flüchtigen die Nachbarn hinsinken, erstarren. „Der 7. December,“ erzählt der Markgraf, „war der schrecklichste Tag meines Lebens. Um drei Uhr Morgens befahl der Marschall den Abmarsch (aus dem Bivouak von Oszmiana); die Kälte war auf das Höchste gestiegen, – als das Signal gegeben werden sollte, war der letzte Tambour erfroren. Ich begab mich nun zu den einzelnen Soldaten und sprach ihnen Muth zu, aufzustehen und sich zu sammeln; allein alle Mühe war vergebens, ich konnte kaum funfzig Mann zusammenbringen; der Rest von zwei- bis dreihundert Mann lag todt oder halb erstarrt am Boden. Mein Jugendfreund, Capitain Heinrich von Stetten, fand hier seinen Untergang; den kranken Oberst von Franken traf ich, in einem halbzerstönen Bauernhause auf dem Boden liegend, der Sprache nicht mehr mächtig, und halb auf ihn hingestreckt lag ein sterbender Würtemberger. Gleiches Schicksal theilten die Lieutenants Hoffmann III., von Lassolaye, Junker von Hammerer und die Chirurgen Klotz und Waldmann, die der Kälte und dem Elend erlagen.“

In Wilna wurden alle Generäle zum Prinzen von Neuchatel berufen; so auch der Markgraf Wilhelm. Hier frug der Prinz von Neuchatel den Markgrafen, was aus seiner Brigade geworden sei? – „eine Frage,“ setzt der Markgraf, der sonst nicht leicht verletzbar schien, hinzu, „eine Frage, die mich tief verletzte, in dem Bewußtsein, daß wir viel länger als alle andern Truppen dem Feinde die Stirn geboten hatten. Ich konnte mich daher nicht enthalten, ihm zu erwidern: ‚Meine Brigade liegt auf der großen Straße von Moskau nach Wilna.‘ Auf diese Antwort entließ mich Berthier sogleich, sichtlich ungehalten.“

Das Benehmen des Marschalls war übrigens nur ein kleiner Wiederschein des Benehmens aller Franzosen gegen die deutschen Hülfstruppen. Während diese auf dem ganzen Rückzuge von der Berezina bis Wilna die Arrieregarde bildeten, die Flucht der Franzosen ermöglichten und dabei tagtäglich Hunderte ihrer Tapfern einbüßten – durfte kein Deutscher an ein von Franzosen angemachtes Feuer, um sich zu erwärmen. „Regimentsarzt Hauer von meinem Regiment, der sich verirrt hatte, mußte für eine solche Erlaubniß sechs Franken zahlen.“[1]

In Marienwerder, das zum Sammelplatz des dritten Corps bestimmt worden war, musterte der Markgraf seine Leute. Diejenige Mannschaft, welche den Feldzug mitgemacht und sich in Marienwerder gesammelt, zählte einhundert fünfundvierzig Köpfe

  1. S. 89 der Denkwürdigkeiten den Markqrafen Wilhelm. Ich citire diese Stelle besonders, weil die Thatsache so unglaublich klingt, so deutlich die Mißachtung und Mißhandlung der Deutschen im Gefolge der Franzosen bezeichnet, daß dieselbe mir einer ganz besondern Beachtung werth erschien.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_031.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)