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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

wunderbaren Harmonie. Die Gebäude, die zu beiden Seiten lagen, ein noch wohlerhaltenes Stück einer Burg aus dem Mittelaller, zurück im Garten ein Landhaus im Renaissancestyl, zwei kleinere Wohnhäuser für Verwalter und Wirlhschaftsbeamte, leicht und modern hingestellt, lange, niedrige Scheunen, Stallungen und Remisen, massiv und schwer hingebaut, wie alte Klosterremisen – sie alle bildeten eine in ihrer Zusammenstellung bizarre und doch zu dem eigenthümlichen Bau des Schlosses passende, fast dazu nothwendige Einfassung. Eine weite Strecke jenseits des Schlosses dehnten sich noch Ackerfelder, Weiden und Wiesen aus; dann zogen sich ungeheuere Waldungen an dem Saume des Horizonts entlang. So lag das Schloß Freienstein da, in dessen Mauern ein vornehmer Mörder aufgesucht werden sollte.

Die Beamten, denen die Aufgabe der Verfolgung des Verbrechers geworden war, langten am Schlosse an, als es schon dunkler Abend war; kaum konnten sie die an dem bewölkten Nachthimmel sich unbestimmt abzeichnenden Umrisse der Gebäude erkennen. Sie sahen nur hier und da einzelne erleuchtete Fenster, vor sich, zu beiden Seiten, unten, oben. In einem weiter zurückliegendem Hause waren zwei ganze Reihen von Fenstern hell, aber die Fenster lagen sehr unregelmäßig nebeneinander und übereinander. Von dort tönte auch der einzige Laut herüber, den man rundumher vor und an den Gebäuden vernahm. Es schienen mehrere durch einander redende oder rufende Menschenstimmen zu sein. Sicher konnte man es nicht unterscheiden. Die tiefe Stille, die überall anderswo in den vielen und großen Gebäuden herrschte, war fast eine unheimliche. Dazu die Finsterniß, welche nur durch die wenigen, hier und da bald mehr, bald minder erhellten Fenster unterbrochen wurde.

Der alte Gerichtssecretair war der Einzige, der im Schlosse bekannt war. Er war aber nur selten dagewesen, nur bei seinem Freunde, dem Castellan; er kannte nur dessen Wohnung, und nur dahin konnte er, zumal in der Dunkelheit, seine Begleiter führen. Das hatte überdies seine Schwierigkeiten. Der Castellan wohnte im Schlosse selbst, das mehrere Binnenhöfe hatte, in dessen erstem sich die Wohnung des Castellans befand. Um zu ihr zu gelangen, mußte man das Hauptportal des Schlosses und einen langen Thorweg passiren. Das Portal war in der Regel des Abends verschlossen; das ganze Schloß war dann wie eine Festung abgesperrt. Der Portier war ein alter, eigensinniger, grober Mann, der fremde Personen an dem schon späten Abend vielleicht gar nicht einließ. Das Alles wußte der Secretair und theilte es seinen Begleitern mit. Sie hielten Rath und fanden nur einen. War das Thor nicht verschlossen, so konnte der Gerichtsschreiber sie ohne Hindernis, zu der Wohnung des Castellans führen, mit dem sie ihr weiteres Verfahren zu überlegen hatten. War es verschlossen, so wollte der Secretair für sich allein um Einlaß zu einem Besuche bei seinem Freunde, dem Castellan, bitten und sodann mit diesem zu den Anderen in’s Freie zurückkehren.

Sie waren in der Nähe des Schlosses langsam gefahren und ließen fünfzig Schritte weit von demselben die Wagen halten. Der Secretair stieg aus und ging zu dem Portal. Die Andern blieben zurück. Das Portal war verschlossen. Der Beamte zog eine Glocke. Ein kleines Fenster neben dem großen Thore wurde geöffnet.

„Wer ist da?“ fragte eine verdrießliche Stimme hinaus.

„Gerichtssecretair Schwarz aus der Stadt.“

„Zu wem wollen Sie?“

„Zum Castellan.“

„Was wollen Sie bei ihm?“

„Ich bin ein Freund des Castellans. Sie müssen mich ja kennen, Herr Portier, denn ich war mehrmals hier. Ich habe mit dem Castellan zu sprechen, dringend zu sprechen.“

„Kommen Sie morgen wieder.“

„Aber ich bitte Sie, lieber Herr Portier.“

„Morgen, sage ich Ihnen. Der gnädige Herr will des Abends nicht gestört sein; er ist zudem unwohl, und Jeder, der in das Schloß kommt, muß ihm gemeldet werden.“

Der Secretair hatte noch einen Ausweg.

„Herr Portier, dann haben Sie die Bitte, dem Castellan zu sagen, daß ich hier bin und ihn zu mir herausbitten lasse.“

„Das könnte geschehen,“ brummte nach einigem Nachsinnen der Portier. Er verschloß das kleine Fenster.

Es dauerte fast zehn Minuten, bis der Portier zurückkam.

Er schloß das Thor auf.

„Sie können zu dem Herrn Castellan hereinkommen.“

Der Secretair trat in den Thorweg, und der Portier verschloß das Thor hinter ihm.

Im Innern des Schlosses war Alles hell erleuchtet, der Thorweg, die Corridore, die Höfe. Es contrastirte sonderbar gegen das Dunkel, in welchem das Gebäude von außen lag.

„Woher so spät und so dringend, Freund Schwarz?“ kam der Castellan dem Secretair entgegen.

„Ist der junge Freiherr zu Hause?“ fragte der Secretair.

Der Castellan verwunderte sich noch mehr.

„Was hättet Ihr mit dem?“

„Er ist zu Hause?“

„Ja, und in großer, lustiger Gesellschaft.“

„Freund Heider, ich kann mich auf Euch verlassen, daß kein Wort von dem, was ich Euch sagen werde, über Eure Lippen kommt, gegen keinen Menschen? Auch nicht gegen Eure Frau?“

„Potz Kukuk, Schwarz, Ihr thut ja verdammt gefährlich und geheimnißvoll.“

„Es handelt sich um einen schweren Mord.“

Der Castellan erblaßte.

„Und es geht den Freiherrn Waldemar an?“

„Gerade ihn.“

„Erzählt.“

„Zum Erzählen wäre jetzt keine Zeit. Aber wißt, daß das Gericht hier ist, und ein fremder Polizeibeamter, der sofort Zeugen mitgebracht hat. Sie sind Alle draußen vor dem Thore.“

Dem alten Castellan war der Schreck in alle Glieder gefahren.

„Und Ihr sucht den Mörder hier?“

„Den jungen Freiherrn.“

Der alte Mann zitterte heftig. „Und Ihr wollt ihn hier überfallen?“ fragte er den Secretair.

„Ihr habt das rechte Wort getroffen,“ sagte der Secretair. „Ein Mörder muß leider überfallen werden, wie ein wildes Thier, wenn man seiner habhaft werden will. Wir müssen ihn überfallen. Darum kommen wir in der Finsterniß des Abends und so still hierher, und ich allein bin in das Schloß zu Euch gegangen, um Eure Hülfe anzusprechen. Wir wußten nicht, ob der junge Herr zu Hause sei; das weiß ich jetzt. Wir wissen seine Wohnung in allen diesen Gebäuden nicht; Ihr sollt sie uns zeigen. Ihr sollt uns zugleich so zu ihm führen, daß er nicht vorher unsere Ankunft ahnt, daß er uns nicht entgehen kann.“

Der Castellan hatte sich gesammelt und einen Entschluß gefaßt.

„Freund Schwarz,“ sagte er, „aus dem Allem, was Ihr da von mir verlangt, wird gar nichts. Euer Polizeidiener oder Gerichtsbüttel bin ich nicht; aber wohl bin ich hier der Diener meines Herrn. Diesem wollt Ihr den Sohn als Mörder verhaften und wegschleppen, und ich soll Euch da behülflich sein, ich soll den Verräther gegen meinen Herrn machen, dem ich an vierzig Jahre treu und redlich gedient habe, der mir vertraut, als wenn ich sein Bruder wäre! Dem soll ich sein einziges Kind verrathen, auf das Schaffot schleppen helfen! Um auf meine alten Tage selbst mit Frau und Kindern aus dem Hause geworfen, von aller Welt als der Verräther meiner Herrschaft angespieen zu werden, um ein von den Thüren zurückgestoßener Bettler werden zu müssen! Daraus wird nichts, Freund Schwarz!“

„Aber was sollen wir denn machen?“ rief der Secretair.

„Das ist Euere Sache.“

„Ohne Euere Hülfe wird er uns entgehen.“

„Ja,“ sagte der Castellan, „und das soll und muß er.“

„Seid Ihr des Teufels, Heider?“

„Wie Ihr wollt. Aber gelte ich nicht als der Verräther und bin ich es nicht, wenn Ihr den jungen Herrn hier jetzt arretirt, nachdem Ihr mit mir gesprochen, heimlich gesprochen habt?“

„Was habt Ihr denn vor?“ sagte der Secretair.

„Ich gehe zu meinem Herrn und sage ihm, daß sein Sohn von Gericht und Polizei gesucht werde, und Ihr, Freund Schwarz, bleibt unterdeß mein Gefangener hier.“

Der Secretair stand mehr in Angst, als vorhin der Castellan.

„Ihr ruinirt mich, Heider.“

„Jeder ist sich selbst der nächste. Ich gehe. Wartet hier ruhig, bis ich zurückkomme. Macht keine Anstalt fort zu wollen. Der Portier ließe Euch nicht hinaus. Mein erster Gang ist zu ihm.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_035.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)