Seite:Die Gartenlaube (1865) 036.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


Der Castellan ging.

„Sagt ihm nur von dem Morde nichts!“ bat ihn der Secretair noch.

„Ich werde meine Sache schon machen.“

Der Secretair blieb in angstvoller Spannung zurück. Er hatte vollkommen nach Verabredung mit dem Justizamtmann und Polizeirath gehandelt. Aber jetzt stand die Beamtenehre gar für Drei auf dem Spiele, und um die Beamtenehre ist es ein eigen Ding.

Es dauerte lange bis zur Rückkehr des Castellans. Der alte Diener des alten Freiherrn trat mit einem so eigenthümlich verschlossenen und nachdenklichen Gesichte wieder ein.

„Nun?“ fragte der Secretair.

„Ich sagte ihm, daß Ihr und der Justizamtmann und ein fremder Polizeibeamter hier seiet, um mit dem Freiherrn Waldemar zu verhandeln; was es sei, wisse ich nicht. Er wurde zuerst unruhig. Dann saß er lange still vor sich hin, das Gesicht mit seiner Hand bedeckt. Als er wieder aufblickte, schien er wieder ruhig zu sein.

‚Lassen Sie den Justizamtmann zu mir kommen,‘ sagte er. ,Ihn allein.’ Weiter sagte er nichts, fragen durfte ich ihn nicht. Was weiter geschehen soll, müßt Ihr jetzt wissen.“

„Gehen wir zu den Anderen,“ sagte der Secretair.

Sie verließen zusammen die Wohnung des Castellans, das Schloß und kamen bei den Anderen an. Der Secretair theilte seine Unterredung mit dem Castellan, dieser die seinige mir dem alten Freiherrn mit. Der Justizamtmann war schnell entschlossen.

„Führen Sie mich zu dem Freiherrn.“ Auf dem Wege sagte er: „Nennen Sie mir die Bewohner des Schlosses.“

„Das Schloß selbst beiwohnen nur der Freiherr und seine Enkelin; außerdem ich mit meiner Familie und der größte Theil der Domestiken.“

„Wo wohnt der junge Freiherr?“

„In der alten Burg, wie sie genannt wird. Sie liegt rechts vom Schlosse, durch einen bedeckten Gang mit diesem verbunden. Als er von seinen Reisen zurückkehrte, wünschte er hier zu wohnen.“

„Wer bewohnt die übrigen Gebäude?“

„Die Wirthschaftsbeamten, die anderen Wirthschafts- und Gutsleute.“

„Erzählen Sie mir über das Leben der Familie, über die Verhältnisse der einzelnen Mitglieder zu einander.“

Der Castellan erzählte. Der alte Freiherr wohnte nur mit seiner Enkelin im Schlosse, der Sohn lebte für sich allein in der alten, restaurirten Ritterburg. Der alte Freiherr führte ein stilles, einsames, aber das regelmäßige und vornehme Leben aller Schlösser. Er war am Ende der siebenziger Jahre und schon seit längerer Zeit hinfällig, seit mehreren Wochen kränklich. So hatte er schon lange das Schloß nicht mehr verlassen; auch seine Zimmer nicht. Nur zur Mittagstafel begab er sich in den Speisesaal. Seine Enkelin lebte ebenso einsam in ihren Zimmern; sie hatte nur eine Gouvernante um sich, die zugleich ihre Gesellschafterin war. Die Gouvernante war eine alte Französin. Großvater und Enkelin sahen sich täglich zweimal. Einmal an der sehr vornehm hergerichteten Mittagstafel, das andere Mal Abends beim Thee, der im Wohnzimmer des Freiherrn genommen ward. Er und das Fräulein waren dabei allein; die Gouvernante kam nicht hin. War der Thee genommen, so wurde die Dienerschaft entfernt, und das Fräulein las dem alten Herrn vor, der bei Abend nicht mehr selbst lesen konnte.

Seinen Sohn sah der alte Freiherr einmal in der Woche. Am Sonntag Vormittag machte der junge Freiherr dem Vater seine Aufwartung, um sich nach seinem Befinden und nach seinen Befehlen zu erkundigen. Der Besuch dauerte zehn Minuten. Convenirte es Vater und Sohn, so war eine Einladung zur Mittagstafel und Annahme derselben die Folge des Sonntagsbesuches. Das Leben des Sohnes in der alten Burg war ein ebenso unregelmäßiges, wie das im Schlosse ein regelmäßiges war. Der junge Freiherr stand spät auf, frühstückte erst zu Mittag, ritt oder fuhr aus, kam früh oder spät, mit oder ohne Gesellschaft wieder, wie es beliebte. Manchmal kam er des Nachts gar nicht nach Hause; manchmal hatte er Gäste, mit denen er die ganze Nacht durch banketirte. Nicht selten war er mehrere Tage lang gar nicht da. Sein Vater ließ ihm völlig seinen freien Willen, bekümmerte sich nicht um ihn, fragte nicht nach ihm. Seine Gäste, seine Freunde waren meist junge Edelleute aus der Nachbarschaft, auch mancherlei andere Menschen; es sollten Spieler und Abenteurer darunter sein, die sich des Sommers in den Bädern umhertrieben. Erst vor zwei Monaten war der junge Freiherr von seinen mehrjährigen Reisen zurückgekehrt und gleich nachher hatte dieses Leben begonnen. Seine Nichte sah er nur, wenn er an jenen seltenen Sonntagen bei der Mittagstafel im Schlosse erschien. Die Beiden kümmerten sich außerdem gar nicht umeinander.


(Fortsetzung folgt.)




Eine Weihnacht in Tirol.
Von Heinrich Noé.

Der freudenvolle Vorabend ist es des heiligen Christtages. Wäre ich jetzt in Berlin oder Dresden und schaute auf die Straße, so erblickte ich das geschäftige Umherrennen der Leute, hin- und hereilende Carossen, den Glanz der Magazine. Selbst in unsern süddeutschen Hauptstädten, in Wien oder München, für deren öffentliches Leben das große Fest der Christenheit nicht jene Bedeutung hat, wie für unsere Brüder im Norden, würde sich eine bewegtere Stimmung, eine gesteigerte Bewegung sofort bemerkbar machen. Wenn ich dagegen den dichten Hauch von den Fensterchen wegwische, hinter denen ich unter dem gastlichen Dache der vielbekannten Scholastica augenblicklich hause, sehe ich einen beschneiten Zaun, eine schmale Straße und an diese fluthet der tiefblaue Achensee heran, tief in die Klüfte der norischen Alpen eingebettet. Sein Südende ist in Wolken verschwommen, wie die Spitzen und Rücken der Berge, deren ungeheure Felswände jäh in seine ungemessene Tiefe fallen. Dichte Nebelstreifen fließen von den weißen Höhen auf die dunkle Fluth, die in regelmäßigen Tactschlägen ihre niedrigen Wellen auf den Strand wirft, dessen zermahlene Kiesel sie von Schnee befreit hat.

Der Leser wird sich vielleicht wundern, wenn ich von Wellenschlag und dunkeln Wassern spreche, während spitze Eiszapfen von dem steinbedeckten Dach dort hängen, die meisten Bäche schon längst erstarrt sind und wohl auch draußen im Norden die Wintersonnenwende schon überall ihre krystallenen Decken ausgebreitet haben wird. Aber man erinnere sich, daß die berühmtesten Geologen, Leopold von Buch an der Spitze, die Tiefe der Fluth, die gegen mein Häuschen anschwillt, auf dreitausend Pariser Fuß anschlagen und daß es deshalb der Einwirkung einer mehrmonatlichen harten Kälte bedarf, um den Austausch der erkälteten oberen Schichten mit den vielen darunterliegenden wärmeren durch eine tief hinabgreifende Erstarrung endlich zu verhindern. Auch darf man die unzähligen Quellen nicht vergessen, die in den schwarzen Gründen aus dem Schooß der zerklüfteten Kalkalpen ihr Wasser ungesehen in den See einsprudeln lassen - auch diese helfen dem gewaltigen See gegen die eisigen Fesseln. So kommt es, daß von den großen und tiefen Seen des Hochlandes keiner vor Ende des Monates Januar oder dem Anfange des Februars dem Schlitten oder Schlittschuh einen sicheren Boden bietet, und auch dazu ist es fast immer nothwendig, daß langanhaltendes Schneegestöber vorher die Oberfläche des Sees in einen ungeheuern Brei von Eisnadeln verwandelt hat. Seien wir froh, daß dem noch nicht so ist; denn es ist nichts Schönes um einen zugefrorenen Alpensee, weil das Gemenge des hineingefrorenen Schnees vom Wasser fast nichts mehr erkennen läßt und so ein Wanderer, der vom Vorhandensein einer Seefläche nichts wüßte, auch gar nichts davon wahrnehmen, sondern das im Sommer so herrliche Becken für eine verschneite Schlucht, ein verwehtes Thal halten würde, ganz wie es Gustav Schwab in seinem Reiter vom Bodensee so grausig schön geschildert hat.

Treten wir, von dem dunkeln Blut des „Heurigen“, des


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_036.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2021)