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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ist schließlich noch die ziemlich mühselige Arbeit der Verpackung und Etikettirung nöthig. Gelenkige Finger nehmen blitzschnell je fünf Nadeln auf die Zählbreter, von wo sie in die „Briefe“ fallen, die mit bestimmten Mengen gefüllt nun ebenso gelenkig und flink gefaltet werden. Die Briefe bedürfen dann der Adresse und Etikette, deren oft drei auf einen einzigen Brief geklebt werden. Hierauf müssen die sorgfältig getrockneten Briefe in buntfarbige Umschläge verschönernd eingemantelt und noch einzeln und mit mehreren andern in größere Pakete gebunden werden, um sie endlich in alle Welt zu senden und in Millionen größeren und kleineren Läden überall in der Welt zu allen möglichen Preisen und Größen der nähenden, stickenden, flickenden, ausbessernden, schneidernden und Putz machenden Menschheit, auch dem Junggesellenthum, das sich selbst Knöpfe annähen will, bereit und feil zu halten.

Aus dieser ganz im Allgemeinen gehaltenen, nur die wesentlichsten Processe berührenden Veranschaulichung der Nadelfabrikation ersehen wir soviel, daß sie in Deutschland neuerdings durch Erfindung und Einführung von Maschinen ungemein vervollkommnet worden ist. Wo aber außer der Maschine die flinke, fleißige, geschickte Hand noch so viel helfen und vollenden muß, da hat Deutschland immer vermöge seiner ganzen Anlage und Erziehung einen Vorzug in allen industriellen Operationen. Wir bemerken hier, daß jede Nähnadel trotz der vielen Hülfsmaschinen doch immer noch sechszig bis siebzig Mal durch die veredelnde und vollendende Menschenhand gehen muß, ehe sie als fixe und fertige einfache Nähemaschine für ihre Bestimmung reif wird. Erwägen wir dazu die Thatsache, daß die Aachener Fabrikationsgegend allein, außer fabelhaften X-Unzähligkeiten von Stecknadeln, wöchentlich etwa vierzig Millionen größtentheils bessere Sorten von Nähnadeln liefert; daß jede Nähnadel durch eine Menge Maschinen und sechszig bis siebzig Mal durch die Hand des Arbeiters gehen muß, so wird man die Behauptung nicht für übertrieben halten, daß diese Fabrikation trotz ihrer Kleinigkeitskrämerei zu der großartigsten und deutschesten Industrie gerechnet werden muß.

Freilich ist sie auch eine der demüthigendsten für uns, weil man die meisten dieser Nadeln entweder als ehrliche deutsche oder auch unter ausländischer Verpackung vom Auslande verbraucht und die Deutschen sich immer noch von dem Aberglauben an die Vorzüge der englischen tyrannisiren und bestimmen lassen. Gegen festgewurzelte Irrthümer kämpfen zwar selbst Götter vergebens. Die Gartenlaube rechnet sich aber nicht zu jenen höheren Wesen über uns, sondern da sie sich menschlich mit Menschen des Vertrauens ihrer holden Leserinnen erfreuen darf, glaubt sie sich auch nicht zu täuschen, wenn sie hiermit die Hoffnung ausspricht, daß sie auf Grund dieses Artikels, dessen Material aus sachverständigem Munde stammt, viele Leserinnen, und die Männer dazu, zum Ankauf von deutschen Nadeln bestimmen werde.

Wir bemerken noch, daß in Berlin ein Großverkauf-Nadelgeschäft besteht, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, deutsches Fabrikat und deutsche Etiketten („Germania-Nadeln“ u. v. a.) zur Anerkennung zu bringen. Es kämpft dabei freilich noch außer mit dem allgemeinen Vorurtheil auch mit den sogenannten Zwischenhändlern, die vielfach mit deutschen Waaren unter ausländischer Etikette (nicht blos in Nadeln) betrügerische, aber sehr gewinnreiche Geschäfte machen. Sie nehmen die wohlfeilste und schlechteste Waare des Inlandes, die, mit einer bestechenden Firma des Auslandes beklebt, nun auch von dem deutschen Abnehmer gut und gern mit dem vier- bis fünffachen Preise bezahlt wird. Bietet der Zwischenhändler dagegen deutsche Waare mit der ehrlichen deutschen Marke, wobei auch Qualität und Werth genau bezeichnet sind, so muß er sich in der Regel mit der üblichen Provision begnügen. Damit sind ihm dann die Hände für gewinnreichen Betrug gebunden, freilich zum Vortheil des Publicums, dem dieser allein zukommt, weil weder Nadeln noch andere Industrieartikel unredlicher Bereicherung der Zwischenhändler wegen fabricirt werden, sondern um der ganzen kaufenden und verbrauchenden Menschheit willen. Man sorge für zollfreie englische Baumwollenstoffe, nähe sie aber mit Aachener und sonstigen deutschen Nadeln.




Mitten im nordischen Lavastrom.

Von Karl Vogt in Genf.

Weit im Nordwesten Islands, fast unter dem sechsundsechzigsten Grade nördlicher Breite schlummert in wilder Umgebung, von Lavaströmen eingeengt und theilweise auch verschüttet, einer der merkwürdigsten Seen der Erde, der Mückensee (Myvatn) der Isländer.

Eine Reise nach Island ist jetzt, wo der Friede geschlossen ist und Deutschland wohl keine Flotten-Ansprüche an die entfernte Insel macht, die freilich der trefflichsten Häfen eine Menge bietet, ein Sommervergnügen. Dampfschiffe gehen regelmäßig von Kopenhagen ab und laufen, bevor sie Island erreichen, in Schottland, auf den Shetlands-Inseln und den Faröern an. Man kann sich die lange Seefahrt abkürzen, indem man auf der Eisenbahn bis nach Edinburg oder Leith rutscht und dort erst sich einschifft, um dann bei gutem Wetter etwa am vierten oder fünften Tage Reykjavik,[1] die Hauptstadt Islands, zu erreichen und von hier aus die nächsten Wunder, Thingvalla, das Thal der Volksversammlungen, die kochenden Sprudelquellen des Geyser und den Hekla mit den benachbarten vereisten Vulcanen auf flüchtigen Pferdchen zu besuchen.

Aber Reykjavik liegt im Südwesten der Insel, und wenn man den Mückensee mit seiner Umgebung und die nördlichen Handelsstädte (man nennt sie Städte!) Akureyri und Husavik besuchen will, gilt es ernstere Vorbereitungen. Vielleicht kann man ein Dampfschiff benutzen, denn eines geht, so viel wir wissen, alljährlich um die ganze Insel herum, alle Handelsstätten besuchend, aber es ist eine lange Fahrt, ein beständiges Eintauchen in tiefeingeschnittene Meerbusen, von hohen Felswänden und Lavaströmen eingeschlossen, zuweilen selbst ein Durchwinden durch Treibeis an der nordwestlichsten, Grönland zugewandten Spitze der Insel, oder ein mühsames Kämpfen gegen rasende Winde und sturmgepeitschte Wogen in dichten Nebeln.

Der Landweg bietet andere Freuden. Heute noch, wo ich ruhig hinter meinem Schreibtische sitze, kommt mir manchmal bei dem Rauschen der Arve vor meinem Fenster plötzlich die Erinnerung an unseren fröhlichen Ritt durch Wüsten und Moore, durch reißende Ströme und murmelnde Bäche, durch Nebel, Regen und Schneegestöber, durch Sonnengluth und Mückenschwärme, über endlose Ebenen, auf denen der Wind den Dampf der heißen Quellen vor sich hertrieb, als wären es Eisenbahnzüge, und über fürchterliche Schlackenströme, deren scharfe Splitter unter dem Hufe unserer braven Rößlein klangen, als seien es Glocken, die sich loslösten aus dem Grunde. Heute noch sehe ich uns, civilisirte Nomaden, absitzen nach langem und scharfem Ritte in einem Grasplatze, am Ufer eines Bächleins, unser Zelt aufschlagen, einen Feuerplatz improvisiren mit einigen Lavaplatten und Rasenstücken und bis in die Nacht hinein plaudern an dem Feuer unseres Bivouacs, die frisch gefangene Forelle und das auf dem Wege geschossene Schneehuhn mit heißem Grog hinabspülend – denn Grog, sagte einer meiner Freunde, Grog und Talg sind zwei gute Dinge auf Reisen!

Das ist die Poesie einer isländischen Ueberlandreise bei schönem Wetter. Wenn’s aber Tage lang regnet und hagelt, der Nebel so dicht ist, daß man kaum eine Hand vor den Augen sieht, oder rasende Wirbelwinde schwere Wolken um die dunklen Gipfel peitschen, das Zelt umreißen und die Pferde toll machen – und wenn das Tage lang dauert und man sich obenein auf ödem Lavastrome befindet, zu dessen Durchkreuzung ein scharfer Ritt, achtzehn Stunden im Sattel, bei günstigem Wetter gehört, wenn nirgends auf der unabsehbaren, von Schlacken und Spitzen starrenden Fläche auch nur eine Bodenfalte zum Schutz, nur ein Grashälmchen für das hungrige Roß, nur ein Wasserfädchen für den durstigen Reiter sich bietet – dann kann man die Schreckens-Poesie der isländischen Ueberlandreisen wohl übersatt bekommen, zumal wenn man daran denkt, daß es Juli oder August ist und die lieben Angehörigen zu Hause sagen: „Jetzt mag der Karl auch schön schwitzen auf seiner verwünschten Insel!“


  1. Die Silbe „Reyk“ bedeutet im Isländischen Dampf, Rauch, und wird besonders bei Localitäten gebraucht, wo heiße Dampfquellen in der Nähe sind. „Reykjahlid“ = dampfender Abhang, „Reykjavik“ = Dampfbucht.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_044.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)