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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 4.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Richter.
Nach brieflichen Mittheilungen. 0Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)


Der Freiherr war ein äußerst stolzer Mann, stolz auf seinen alten Adel, auf seinen unermesslichen Reichthum und auf sein Ansehen. So war er immer gewesen, durch Erziehung und Leben, durch die Geburt schon, wie man wohl zu sagen pflegt. Mancherlei Ereignisse hatten ihn zu einem ebenso strengen Mann gemacht. In seine Jugend fiel die erste französische Revolution. Die Revolutionsarmee drang über den Rhein; die Sansculotten decretierten die Gleichheit der Stände, Abschaffung des Adels und Aufhören des Verhältnisses von Herren und Knechten und wollten selbst nur Herren sein und unumschränkt despotisiren und tyrannisiren. So kamen sie auch auf das Gut des Vaters des Freiherrn und befahlen und wirthschafteten hier roh und gemein, im deutschen Lande schlimmer, als in ihrer französischen Heimath. Der Knabe mußte Jahre lang Zeuge sein und selbst Mißhandlungen erdulden. So setzte sich ein bitterer Haß in ihm fest gegen Alles, was Freiheit und Gleichheit hieß, und sein Gemüth wurde streng und herb. Als er schon ein Greis war, da kam das sogenannte Revolutionsjahr 1848 und vollendete die Bitterkeit, die Strenge seines Innern. Noch Anderes hatte dazu beigetragen und trug später noch mehr bei. Auf diese Weise war das Leben in der freiherrlichen Familie ein so eigenthümliches geworden.

Der Freiherr war zweimal verheirathet. Mit seiner ersten Frau, einer Gräfin aus einem der ältesten und edelsten Grafenhäuser Deutschlands, lebte er nicht glücklich. Sie ließ ihn fühlen, daß sie eine erlauchte Gräfin und er nur ein hochwohlgeborner Freiherr war, und schenkte ihm keine Kinder, keinen Erben seines ungeheuren Vermögens und seines edlen Namens. Als sie starb, war er nicht mehr jung, aber er konnte nicht aus der Welt gehen, ohne einen Erben für seinen Namen, für seine Güter zu hinterlassen. Diese sollten nicht an entfernte Verwandte fallen, jener sollte nicht aussterben. So schritt er zur zweiten Ehe. Seine zweite Frau war natürlich wieder von gutem Adel; aber auch sie lebte nicht glücklich mit ihm. Sie hatte ein weiches Herz, während sein Herz mit den fortschreitenden Jahren und in der langen Ehe mit einer hochmüthigen, herzlosen Frau immer verbissener und verhärteter geworden war. Die Frau kränkelte, gebar ihm zwei Kinder, dann starb sie.

Das erste Kind war eine Tochter, ein unendlich zartes, weiches, mildes Wesen. Er erzog sie mit jener Strenge, die seinem Charakter immer eigen war; die Bitterkeit, die hinzugetreten war, spielte auch in die Erziehung mit hinein. Das Fräulein wurde verschüchtert und gedieh nicht recht an Geist, nicht recht am Körper. Früh verheirathet, starb sie früh und hinterließ ein Töchterchen. Auch der Vater des Kindes starb bald, und der Großvater nahm die Enkelin zu sich.

Der Sohn des Freiherrn war elf Jahre jünger, als die Tochter. An dem Sohne sollte wieder gut gemacht werden, was die Erziehung an der Tochter verdorben hatte. Keine Strenge wurde gegen ihn geübt; nur der Stolz, der Stolz des Edelmanns wurde in ihm zu wecken und zu nähren gesucht, und schon als Kind hatte er völlige Freiheit, er konnte thun und lassen, was er wollte, wenn er nur seinem Stande, seiner adligen Ehre nichts vergab. So wurde der Knabe hochmüthig und roh. Weil der Vater dies merkte und rügte, wurde der Jüngling ein Heuchler dazu. Reisen sollten den jungen Mann bessern, allein er kehrte roher, hochmüthiger zurück, als er gegangen war. Nur den Heuchler brachte er nicht wieder mit. Seitdem lebten Vater und Sohn wie ein paar fremde Menschen miteinander, oder vielmehr sie lebten nicht miteinander; sie müssen sich vielmehr fern bleiben, wenn kein Unglück geschehen soll. So wurde der starre Mann auch an seinen Kindern nicht gerecht gefunden und auch an ihnen gestraft.

Noch von der Enkelin hatte der Castellan zu berichten. Es war nur Weniges, was er von ihr zu sagen wußte. Sie war ein braves, gutgeartetes Kind von fünfzehn bis sechszehn Jahren und liebte den alten, einsamen Großvater. Der Freiherr liebte sie wieder, konnte nur sie um sich haben und sagte ihr nie ein böses Wort. Sie war bis jetzt von der alten Französin vortrefflich erzogen; später sollte in einer vornehmen englischen Pension ihre Bildung vollendet werden.

Der Justizamtmann war mit dem Castellan vor dem Zimmer des alten Freiherrn angelangt. Was sollte er dem stolzen Greise sagen, den er jetzt nach seinem innern und äußern Leben kennen gelernt hatte? Er stand mit schwerem Herzen vor dem Zimmer, an dessen Thür der Castellan leise klopfte.




5.0 Ein alter Edelmann.

Der alte Freiherr von Bergen war mit seiner Enkelin in seinem Zimmer. Eine hohe, hagere, aber breitschulterige Gestalt, mußte er ein kräftiger Mann und noch ein rüstiger Greis gewesen sein. Jetzt, nahe an seinem achtzigsten Jahre, war er hinfällig; sein Rücken war gekrümmt. Seinem mageren, blassen Gesichte sah man zugleich an, daß er zur Zeit kränkelte; aber seinen Geist, seinen Willen hätte nicht die Krankheit, nicht die Hinfälligkeit des Alters zu beugen vermocht. In dem starkknochigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_049.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2019)