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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Aufeinanderfolge der ganzen und halben Töne fast unmöglich gemacht. Um dem abzuhelfen, unterlegte man jeder Saite noch eine zweite Taste, deren Tangente die Saite an einer andern Stelle anschlug und so deren klingenden Theil um so viel, als nöthig war, verkürzte. Auch ging man über den bisherigen Tonumfang immer mehr hinaus, so daß derselbe zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts bereits über drei Octaven (E bis zweigestrichen A) umfaßte. Schon Mitte desselben Jahrhunderts hatte das Clavichord so sehr auch an Kraft gewonnen, daß der herzoglich bairische Capellmeister Orlando di Lasso am Hofe zu München nicht allein seine meisten „Spiele“ auf demselben begleiten, sondern auch andere „sanft klingende“ Instrumente ihm beigesellen konnte. Eine große Verbesserung erhielt es ums Jahr 1725 durch den Organisten Daniel Faber zu Crailsheim im Anspachischen, der es „bundfrei“ machte, d. h. den halben Tönen eigne Saiten, resp. Claves gab. Er war auch der Erste, der zur Verstärkung des Tones jeder Saite noch eine zweite (unisono gestimmte) hinzufügte. Den größten Ruf in der Verfertigung des Claviers erlangte, zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, der königlich polnische und kurfürstlich sächsische Hof- und Landorgelbauer Gottfried Silbermann zu Freiberg, dessen Instrumente europäische Berühmtheit erlangten.

Von französischen oder englischen Instrumenten verlautete bis zu jener Zeit noch nichts. In England aber standen außer den Silbermannschen in hohem Ansehen die Claviere (dort nicht Clavichords, sondern Harpsichords genannt) von Hans Rukers und dessen Sohn Andreas aus Antwerpen. Die Harpsichords des Letztern waren namentlich auch hochbegehrt wegen ihres überaus glänzenden, mit vergoldeten Ornamenten reich verzierten und mit herrlichen Gemälden der berühmtesten vlämischen Maler versehenen äußeren Kastens. Als später die Harpsichords von den Pianofortes verdrängt wurden und außer Gebrauch kamen, verloren dennoch diese Rukers’schen Instrumente keineswegs ihren Werth, da die auseinandergeschlagenen bemalten Holzwände als selbständige Kunstwerke in hohem Ansehen blieben und theuer bezahlt wurden. Die äußere Form des Clavichords glich der unserer heutigen Instrumente in Tafelform; der Kasten, auf Füßen ruhend, bestand meist aus Tannenbolz, hatte eine Länge von etwa sechs Fuß, eine Breite von nicht ganz zwei Fuß und eine Höhe von sieben bis acht Zoll. Sein Ton war nichts weniger als kräftig, aber ungemein zart und weich, fast melancholisch: Koch in seinem Alt. Lexikon nennt es „das Labsal des Dulders und des Frohsinns theilnehmenden Freund“. Namentlich zu Ende des achtzehnten Jahrhhunderts ward seine Verbreitung eine allgemeine. Daniel Schubart behauptet in seiner „Aesthetik der Tonkunst“: „Clavier jetzt spielt, schlägt, trommelt und dudelt Alles; der Edle, Unedle, der Stümper, Kraftmann; Frau, Mann, Bube, Mädchen; es gehört mit zur guten Erziehung“ etc.

Inmittelst hatte sich neben dem Clavichord ein Clavierinstrument in Flügelform ausgebildet, das dem erstern ein gefährlicher und später siegreicher Nebenbuhler werden sollte, nämlich das sogenannte Cembal, Clavicembal, Clavecin, in verkleinerter Form Spinett, mit aufrecht stehendem Flügel (Giraffenform) Clavicytherium genannt. Es war wegen der größern Länge seiner Saiten auch von entsprechend größerer Tonstärke und überflügelte das Clavier namentlich auch als Directons- und Concertinstrument. Von dem uralten Cymbal oder Hackebret abstammend, entstand es wohl schon zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, Wenigstens erfuhr es bereits im Jahre 1548 von dem Kapellmeister an St. Marcus zu Venedig, Giuseppe Zarlino, eine wesentliche Verbesserung hinsichtlich der Temperatur. Der Ton wurde nicht, wie beim Clavier, durch Anschlagen der Tangenten an die Saiten hervorgebracht, sondern durch Reißen der Saiten vermiitelst spitziger Züngelchen (ebenfalls Tangenten genannt), die in der ersten Zeit aus Kielen von Rabenfedern, später aus Messing und zuletzt aus getrockneter Ochsenhaut oder Leder gemacht wurden. Als Hauptverbesserer und -Veränderer dieses Kielflügels thaten sich außer obigem Giuseppe Zarlino noch in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hervor: Piechbeck zu London durch Anbringung von Trommeln und Pauken und eines Flötenregisters, was ungemeines Aufsehen hervorrief; Wiclef in Anspach durch Anwendung von Messingenfedern statt der sich sehr bald abnutzenden und einer steten mühseligen Reparatur bedürftigen Rabenkiele; die Gebrüder Wagner in Schmiedefeld durch Hinzufügung eines Pianozuges; in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts: Pascal Taskin in Paris, durch Verfertigung der Tangenten aus getrockneter Ochsenhaut (Clavecin à peau de buffle), wodurch ein weicherer Ton erzielt wurde; Friederici in Gera, durch Erfindung einer Bebung des Tones; Milchmaier zu Mainz, durch Anbringung von drei Claviaturen mit zweihundert und fünfzig Veränderungen, unter welchen ein Crescendo und Decrescendozug; Mercia zu London, durch Nachahmung des Pauken- und Trompetentons; Hopkinson zu London und Oesterlein zu Berlin, durch Bekielung mit Leder.

Trotz aller dieser Verbesserungen (die jedoch zum Theil weiter nichts, als der Natur des Instrumentes widerstreitende Spielereien waren) und trotz der in vieler Hinsicht vortrefflichen Eigenschaften, die ihm eine Ueberlegenheit über das Clavichord einräumten, genügte doch auch der Flügel nicht den sich immer mehr steigernden Ansprüchen. Sein Ton, zwar durchdringend und rauschend, ja sogar brillant zu nennen, war dennoch ohne wirkliche Schönheit und auch ohne wahre Fülle und Kraft, schon wegen des dünnen Saitenbezuges, der nothwendig war, damit die Saiten von so schwächlichen Mitteln, wie die Kiele und Tangenten, in genügende Vibration versetzt werden konnten. Vor Allem war es eine gewisse nicht zu überwindende Monotonie, die beiden Instrumentenarten anklebte und die ihren Grund darin hatte, daß zwar wohl die zarteren Tonmodificationen auf vorzügliche Weise zur Geltung gebracht werden konnten, schärfere Unterschiede aber, z. B. ein eigentlicher Contrast zwischen forte und piano, nicht möglich waren.

Nach langen Versuchen zur Abstellung dieser Uebelstände kam endlich der Organist Christoph Gottlieb Schröter zu Nordhausen (geb. den 10. August 1699 zu Hohenstein, gest. im Novbr. 1782 zu Nordhausen) zu der Erkenntniß, daß mit dem bisher gebräuchlichen Mechanismus eine Besserung nicht zu erzielen sei, daß vielmehr ein ganz neues Princip zur Erzeugung des Tones zur Anwendung kommen müsse. An Stelle der Tangenten setzte er nun Hämmerchen, die mit getrockneter Thierbaut überzogen und so construirt waren, daß sie nach Willkür stark oder schwach gegen die Saiten geschnellt werden konnten, so daß man also auch die Stärke und Schwäche des Tones vollständig in der Gewalt hatte. Er nannte das Instrument deshalb auch Fortepiano oder Pianoforte.[1] Der Ton war unvergleichlich voller und stärker, da nicht allein die Hammerköpfe den Saiten eine breite Anschlagsfläche boten, sondern die Saiten selbst nun auch stärker genommen werden konnten. Auf diese glückliche Idee war er gebracht worden durch das von dem kurfürstlich polnischen Kammermusikus Pantaleon Hebenstreit zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts erfundene Pantaleon, ein in der vergrößerten Form des Cymbals gebautes Instrument, dessen Saiten durch Klöppel mit den Händen angeschlagen wurden und das durch die Kraft und Modificationsfähigkeit des Tones, nicht weniger freilich auch durch die erstaunliche Virtuosität des Erfinders in Deutschland, Frankreich und Italien große Bewunderung erregte.[2] Schröter verpflanzte nun dieses bei dem Pantaleon angewandte Anschlagsprincip auf das Clavier und ist somit als der eigentliche Schöpfer des heute in so hoher Vollkommenheit glänzenden Instrumentes zu betrachten.

Im Jahre 1721 legte er zwei verschiedene Modelle seines bereits 1717 erfundenen Instrumentes dem Dresdner Hofe zur Ansicht vor. Von diesem aber ohne Aufmunterung und Unterstützung gelassen, sah er sich, bei der Unzulänglichkeit seiner eigenen Vermögensverhältnisse, außer stande, den Bau des neuen Instrumentes selbst auszuführen, und mußte dies dem genannten Silbermann überlassen, der auch bereits im Jahre 1726 das erste Fortepiano, unter Vervollkommnung des Schröter’schen Mechanismus, anfertigte. Die Silbermann’schen Pianofortes waren, wie früher seine Claviere, weit und breit berühmt, namentlich nachdem er sie, in Folge eines Tadels des alten Joh. Seb. Bach, „daß sie doch gar zu schwer zu spielen seien“ – ein charakteristischer Tadel bei der Riesenkraft eines Sebastian Bach! – durch unablässiges Nachdenken

und nach jahrelangen opferreichen Versuchen (er gab z. B.

  1. Wie so oft auf anderm Gebiete, so geschah es auch hier, daß dieselbe Erfindung fast gleichzeitig in andern Ländern auftauchte und der Ruhm derselben dem Deutshcen streitig gemacht wurde. So soll nach italienischen Quellen nicht Schröter, sondern der Italiener Bartolomeo Christosali, cembalista stipendiato del Serenissimo Principe di Toscana, nach Fetis’ Behauptung aber keine von ihnen, sondern vielmehr der Franzose Marius der Erfinder des Pianoforte sein.
  2. Den Namen Pantaleon erhielt es von dem entzückten Ludwig dem Vierzehnten, vor dem sich Hebenstreit im Jahre 1705 in Paris hören ließ.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_055.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)