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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Friedrich Hecker wurde durch den unglücklichen Ausgang der ersten Schilderhebung in Baden und noch mehr durch die schändlichen Verleumdungen, welche die Reaction über ihn ergoß, auf’s Tiefste erschüttert. Er verlor den Glauben an die Sache der Freiheit, und der Gedanke der Auswanderung nach Amerika, welcher ihm schon früher nicht fremd gewesen war, setzte sich in seiner Seele immer fester. Vergebens bekämpften viele Gesinnungsgenossen denselben. Auch mir gelang es nicht, den Freund und Kampfgefährten in Deutschland zurückzuhalten. Er fuhr über den Ocean, doch nur um nach Europa zurückzukehren, nachdem im Mai das badische Volk sich neuerdings erhoben hatte, leider kam er zu spät, um an dem Freiheitskampfe Theil nehmen zu können. Seine Rückkehr bewies aber deutlich, daß die Sache der Freiheit jederzeit auf ihn rechnen könne.

Das Nämliche hat auch Hecker's sechzehnjähriges Leben in den Vereinigten Staaten Amerikas bekundet. Jenseits, wie diesseits des Oceans war er immer einer der Ersten in den unblutigen und in den blutigen Kämpfen der Freiheit. In Amerika, wie früher in Europa, obgleich durch weite Strecken getrennt, standen wir immer auf derselben Seite. Ohne uns verabredet zu haben, wirkten wir im Jahre 1856 für die Wahl Fremont’s und gegen diejenige Buchanan’s, 1860 für die Wahl Lincoln’s. Zu derselben Zeit zog Hecker im Westen und ich im Osten aus, um mit dem Schwerte in der Hand für die Aufrechthaltung der Union und gegen die Herrschaft der Sclaverei zu kämpfen. Gleich nach seiner Ankunft in Amerika wandte sich Hecker dem Westen zu. Er ließ sich nieder soweit als möglich von den Gestaden des atlantischen Meeres, ohne in das Gebiet der Sclaverei eintreten zu müssen. An der Grenze des Sclavenstaates Missouri, doch im freien Staate Illinois, in der Grafschaft Saint Clair, zu Lebanon, erwarb er einen ansehnlichen Grundbesitz, mit dessen Anbau er sich beschäftigte.

Die Arbeiten eines Landmannes konnten indeß Hecker’s Herz nicht ausfüllen. Wohl hatte seine treue Gattin ihn über das Meer begleitet und stand ihm hülfreich zur Seite; eine zahlreiche Kinderschaar belebte das Hauswesen des deutschen Freiheitskämpfers. An Arbeit fehlte es ihm nicht inmitten einer so landreichen, aber menschenarmen Gegend. Alles Dies aber genügte einem Hecker nicht. So oft es galt, verließ er Haus und Hof, Frau und Kinder und kämpfte für die Freiheit.

Nach achtjähriger Trennung trafen wir im Herbste 1856 wieder zusammen. In dem größten Saale der Stadt New-York, in der Musikakademie, hielten die Deutschen eine Versammlung zu Gunsten der Erwählung Fremont’s. Damals galt es, in friedlicher Weise am Stimmkasten den Uebergriffen der südlichen Sclavenhalter entgegenzutreten. Fremont wurde als Bannerträger der Freiheit hochgepriesen, nachdem er zuvor den Pfad über die Felsengebirge nach der Südsee gefunden und sich dadurch den Namen des Pfadfinders erworben hatte. Allein Fremont trug nicht den Sieg davon. Buchanan wurde gewählt. Unter seiner Verwaltung konnten die Südländer den Krieg ungestört vorbereiten, der nun schon im vierten Jahre die Union zerfleischt. Ob, falls Fremont auf den Präsidentenstuhl erhoben, der Kampf mit dem Süden vermieden worden wäre, ist ungewiß. Die Stellung, welche Fremont in neuester Zeit eingenommen hat, begründet mannigfaltige Zweifel über dessen Charakterfestigkeit. Dem sei wie ihm wolle, im Jahre 1856 schaarten sich um ihn alle freiheitlichen Elemente der Vereinigten Staaten Nordamerikas.

Die Versammlung der Deutschen in der Musikakademie zu New-York hatte einen glänzenden Erfolg. Sie trug viel dazu bei, die Deutschen nicht blos in New-York, sondern auch in allen übrigen Staaten der Union über den wirklichen Stand der politischen Streitfragen aufzuklären und festzustellen, daß mit sehr wenigen Ausnahmen alle diejenigen Deutschen, welche in Europa Absolutismus und Junkerthum bekämpft hatten, den Sclavenhaltern Amerikas in geschlossenen Reihen gegenüberstanden.

Während Hecker auf seiner Rundreise durch die Vereinigten Staaten begriffen war, empfing er die Nachricht, daß sein Wohnhaus, in welchem er seine Familie zurückgelassen hatte, ein Raub der Flammen geworden sei. Das hielt ihn aber nicht ab, seine Reise fortzusetzen. Von New-York begab er sich nach Philadelphia, woselbst er wiederum viel dazu beitrug, die Deutschen um das Banner der Freiheit zu schaaren und zum Kampfe gegen die Sclaverei und deren Förderer zu ermuthigen. So schwer der Schlag auch war, welcher alle Männer der Freiheit durch die Wahl Buchanan’s traf, so wurde diese doch unweigerlich anerkannt. Buchanan ergriff zur bestimmten Zeit das Steuerruder der Union, führte dasselbe aber nicht zum Besten der Freiheit, sondern im Interesse der Sclaverei. Der Norden, weit entfernt sich dadurch entmuthigen zu lassen, setzte den südlichen Sclavenhaltern und den mit diesen verbündeten Regierungsbeamten einen um desto kräftigeren Widerstand entgegen. An den Wahlen des Jahres 1860 nahm Friedrich Hecker wiederum zu Gunsten der Freiheit Theil. Dieses Mal trug Abraham Lincoln, der Candidat der Freiheitlichen, der sogenannten republikanischen Partei, den Sieg davon. Der Süden folgte nicht dem Beispiele, das ihm der Norden vier Jahre früher gegeben hatte. Weit entfernt, die verfassungsmäßige Wahl Abraham Lincoln’s anzuerkennen, griff er zu den Waffen. So entzündete sich jener furchtbare Bürgerkrieg, welcher, ungeachtet aller Fortschritte der nördlichen Waffen, doch zur Zeit (Anfangs 1865) noch nicht vollständig beendigt werden konnte.

Wie in Europa, so auch in Amerika, begnügte sich Hecker nicht damit, für die Freiheit zu sprechen. Im entscheidenden Augenblicke zog er im Westen des Oceans, wie zuvor im Osten desselben, das Schwert für die Sache der Freiheit. Gleich beim Beginn des Bürgerkrieges wurde er von einem Regimente des Staates Illinois, dessen Bürger er geworden war, zum Obersten erwählt. Er erlebte jedoch wenig Freude in demselben und sah sich veranlaßt, sein Commando niederzulegen. Kurz darauf wurde er aber von einem anderen Regimente desselben Staates, dem zweiundachtzigsten, zum Obersten erwählt und nahm die Stelle an. Es war am 26. November 1862, als ich ihn zu Fairfax in Virginien, unweit Washington, an der Spitze seines Regimentes wiedersah. Außer uns Beiden befand sich auch Franz Sigel in Fairfax. Wie sehr hatten sich unsere Verhältnisse seit den Tagen verändert, als wir im April im badischen Oberlande die Fahne der Freiheit entfaltet hatten! Franz Sigel war General-Major der Vereinigten Staaten geworden und befehligte ein ganzes Armeecorps. In Europa waren wir im Kampfe mit den bestehenden Gewalten gewesen, in Amerika standen wir auf der Seite der verfassungsmäßigen Behörden. Da und dort war und blieb aber die Freiheit das Ziel, nach welchem wir strebten. Ich hatte damals den Entschluß gefaßt, nach Europa zurückzukehren. Wir trennten uns mit den Worten, die ich dem Freunde Hecker zurief „Auf Wiedersehen im alten Vaterlande!“

Im Frühjahre 1863 nahm Friedrich Hecker Theil an der blutigen Schlacht von Chancellorsville, in welcher er schwer verwundet wurde. Aus dem Brief, den er mir, während er noch darniederlag, von seinem Krankenbette aus schrieb, theile ich folgende Stelle mit:

„Da das zweiundachtzigste Regiment erhöht stand, so konnte ich Alles übersehen. Meine Leute standen wie Felsen und feuerten unablässig, obwohl wir in einem furchtbaren Hagelsturm von Spitzkugeln, Granaten, Vollkugeln, Caseshots und Spitzgeschossen gezogener Kanonen standen. Ich ritt beständig unter den Leuten hin und her, und obgleich mein Rock wie ein Sieb durchlöchert ist, blieb ich unberührt. Nun wollte ich mit dem Bajonnete vorstürmen, um, wenn auch mit furchtbaren Opfern, den Feind aufzuhalten, nahm die Fahne auf’s Pferd und rief: ‚Hurrah, Charge Bajonnet!‘ Die Leute standen, ich rief ihnen zu, ihre Fahne und ihren alten Oberst nicht im Stiche zu lassen. Sie standen und feuerten, aber zum Bajonnet-Angriff waren sie nicht zu bewegen, und eigentlich hatten sie Recht. Was ich an Feinden schätzte, die auf uns anstürmten, so waren es über fünfundzwanzigtausend Mann. Soldaten sind diese Rebellen, sie kamen wie Bienenschwärme rücksichtslos für ihr Leben (in ihren Cantinen fand man Whiskey und Pulver). Ihre Artillerie handhabten sie prächtig. Kaum bemerkten sie den Widerstand, den mein und das einhundertsiebenundfünfzigste New-Yorker Regiment leisteten, so fuhren sie gegenüber zwei Batterieen auf und spieen einen höchst unanständigen Hagel von Projectilen auf uns.

Als ich nun die Fahne dem Fähndrich ausgehändigt und vom linken nach dem rechten Flügel die Leute ermunternd ritt, erhielt ich plötzlich einen Schuß durch den linken Oberschenkel dicht am Leibe, die hörnerne Dose, die ich in der Hosentasche trug, rettete mein Leben, so daß ich jetzt nur ein Loch, drei Finger hineinzulegen, quer durch den Schenkel habe. Der Schenkelhalsknochen ist gestreift, die große Schenkelader bloß gelegt. Hinken

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