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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

also mein Schleppnetz und drei Mann in’s Boot und fischte nach Mollusken und Krebsthieren. Spät Abends noch, nach dem Nachtessen, setzte ich mich in Gesellschaft der Jäger auf eine vorspringende Klippe und sah dem Sonnenuntergange zu; dann und wann schielte ich auch wohl nach dem interessanten Gefangenen in der Bucht. Auch die Jäger schienen ihre Aufmerksamkeit so ziemlich gleichmäßig zwischen diesem, ihren Pfeifen und dem Sonnenuntergange zu theilen. Siehe da, einmal über das andere hebt der Fisch seinen halben Leib lothrecht über das Wasser: er beabsichtigt offenbar, das dreifache Garn, das er nie mehr als zu zwei Dritteln zu durchbrechen wagt (das dritte äußerste Garn, obwohl von derselben Beschaffenbeit, wie das innere und das mittlere, scheucht ihn stets zurück, und die Klappwache hat nur die Bestimmung, ihn an dem Zerreißen dieses letzteren und eventuell an dem Ueberspringen des Ganzen zu verhindern), zu überspringen! Der alte Anführer thut noch einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife, vertauscht dann diese mit einem tüchtigen „Prüntje“: „Jetzt ist’s Zeit, jetzt kann der Spaß losgehen. Da kommt mein Sohn mit seiner Mannschaft, der soll heut sein Probestück ablegen als Harpunirer.“

Wir eilten hinab zu den Booten. Während die Mannschaft des Alten sich in dessen großem Boote ordnete, ertheilte er dem Sohne die nöthigen Befehle, sich an der Nordseite der Bucht zu halten, stets mit der Harpune in Bereitschaft; vor Allem aber habe er sich klar zu halten von der Leine. Ich selber aber nahm, um in Ruhe und mit einem Blick das ganze Schauspiel übersehen zu können, Platz auf einer vorspringenden Felszunge. Vor der Bucht, den Eingang bewachend, lagen die Fischer aus der Umgegend in ihren Kähnen, um den Walfisch zurückzutreiben, wenn dieser sollte den Ausgang forciren wollen. Der Fisch kam jetzt sehr häufig an die Oberfläche, um zu athmen: die Pfeile hatten ihm bereits Wundfieber verursacht, Getrieben von zwölf kräftigen Armen schießt das Boot des Sohnes auf den eben wieder Auftauchenden zu, ein mit aller Kraft geführter Stoß – und der Harpunirer liegt kopfüber im Wasser, der Stoß war vorbeigegangen. Die Mannschaft ist geschäftig mit dem Auffischen ihres Principals. Der Alte auf der andern Seite der Bucht beachtet den Zwischenfall scheinbar durchaus nicht; wie ein Pfeil schießt der Fisch nach jener Seite hinüber, wie um zwischen dem Boote Knud’s und dem Ufer sich einen Ausweg zu suchen. Hier aber liegt ein Riff dicht unter der Oberfläche des Wassers, und fest sitzt der Fisch. Im Nu bohrt Knud ihm die Lanze tief zwischen die Rippen, ein gewaltiger Ruck und der halbe Leib des Fisches liegt auf dem Trocknen: ein tiefes, stöhnendes Ausathmen, und der Beherrscher der Tiefe ist nicht mehr. Weit umher färbt sich die See mit seinem Blute.

Nun strömt Alles herbei; eine Harpunleine wird um den mächtigen Schwanz geschlungen, und mit vereinten Kräften gelingt es bald, den Erlegten vom Grunde loszubugsiren. Bald kehrte sich der gefurchte, schön porzellanweiß glänzende Unterleib der scheidenden Sonne zu; ich sprang von meiner Klippe, an deren Fuße das ganze Drama in unmittelbarster Nähe sich abgespielt hatte, auf den schwimmenden Rumpf, setzte mich nieder und ließ mich sammt meinem ungewöhnlichen Vehikel tief in den Hintergrund der Bucht schleppen, wo der Strand flach war und wo die Zerlegung des Fisches vor sich gehen sollte. Das zuerst abgetrennte Stück Speck wurde sofort der alten Martha zugestellt, die es in Salz und Wasser zu kochen hatte. Dann ging’s ohne Aufenthalt an das Entspecken; sämmtliche Messer wurden eifrigst gehandhabt. Man macht einen Längenschnitt und dann parallele Querschnitte durch den Speck bis auf das Muskelfleisch; drei bis vier Zoll vom Längenschnitt schneidet man ein Loch, in welches die eine Hand greift und den Speck herabreißt, während die andere Hand mit dem Messer nachhilft. Ist eine Tafel von ungefähr zwölf Zoll Breite und vierundzwanzig Zoll Länge abgelöst, so wird sie auf eine schräge Klippe geworfen, damit das Blut ablaufen könne. Das Fleisch wird in ähnlicher Weise in etwa fußdicken Klötzen abgetrennt, am Lande jedoch wird es in vier Zoll dicke Scheiben zerschnitten und zum Trocknen ausgebreitet.

„Halt, Kinder, da kommt Martha!“ Sie schleppt den mittlerweile fertig gewordenen ersten Bissen in einem Holztroge herbei. Alle stellen die Arbeit ein und langen zu. Die Walfischjäger holen ihre Proviantschachteln hervor. Fladbröd und Walfischspeck mit einem Finkelschnaps ist ein Göttermahl. „Du hast der Jagd mit beigewohnt, Du mußt auch den Braten kosten.“ Es half nicht, ich mußte dran, und er schmeckte besser, als ich’s geglaubt hatte. Nach geendeter Mahlzeit begann das Zerlegungsgeschäft von Neuem. Endlich kam mein Antheil an die Reihe, die Bauchhöhle wurde geöffnet und die Eingeweide mir zur Disposition gestellt. Der interessanteste Fund war mir ein zehn Zoll langer Fötus; er steht jetzt in Spiritus in Kopenhagen. Im Magen des Fisches fand ich eine ungeheure Menge Skelete von Brislingen (eine kleine Sorte Heringe)[1] und eine fast gleiche Quantität Ascariden. Die Gallengänge der Leber waren erfüllt mit einem großen flachen braungrauen Wurm, der Distoma Golilath. Auf der Außenseite des Thieres war nicht ein einziges Schmarotzerthier anzutreffen.

Endlich war die Zertheilung sowohl des Speckes und Fleisches, wie auch des von mir begehrten Skeletes vollbracht; wir waren Handels einig geworden und ich erwartete nun, die Mannschaften würden mir beistehen beim Einschiffen meiner Beute. „Ja, Du mußt warten, bis ich fertig bin,“ sagte der alte Knud. „ich muß erst austheilen, auf daß Jeder das Seinige erhalte.“ Theilhaber sind alle Die, welche den Wal entdecken und ihn in die Bucht jagen, sodann Die, denen die Ufer der Bucht gehören, und endlich die Schützen; bei dieser Gelegenheit waren es elf im Ganzen. Die Theilung des Fleisches und des Specks geht folgendermaßen vor sich. Ein Mann stellt sich hin, nimmt einen Tragkorb auf den Rücken und in diesen wirft man nun erst so viel Speck, wie er zu tragen vermag; dann geht er hier nach irgend einem flachen Platze, beugt sich vornüber und der Inhalt des Korbes stürzt über seinen Kopf hinweg auf den Rasen. Dies Experiment vollführt er auf elf verschiedenen Stellen, bis kein Speck mehr vorhanden ist. Dann macht er dieselbe Tour mit dem Fleische – und fast ausnahmslos sind sämmtliche Theilhaber mit dieser primitiven Weise der Vertheilung wohl zufrieden. Die Unterkiefer und eine von den Brustfinnen fällt den Schützen zu. Im frischen Zustande ist das Skelet weich und läßt sich leicht mit dem Messer zerschneiden, weshalb es schwierig ist, es unbeschädigt in seine Gewalt zu bekommen. In der Regel werden die Knochen kleingehackt und den Kühen als Futter gegeben. –

Die Theilung war zu Ende, ich nahm herzlichen Abschied von der über ihren vierfachen Antheil hocherfreuten Martha. In Bergen angekommen war das Erste, was ich zu thun hatte, ein Bad zu nehmen.

Bald darauf fing sich ein anderer Wal in derselben Bucht. Diesmal tödteten die Fischer ihn selbst ohne Beistand der Walfischjäger von Profession, indem sie ihn mit den Garnen immer näher auf den Leib rückten und das einfältige Riesengeschöpf mittelst langer Stangen auf schlammigen Grund jagten. Der Wal bekam, wie man berechnet hatte, Schlamm in die Spritzlöcher und mußte elendiglich ersticken.




Eine religiöse Auction.

Die Sonne war dem Untergange[WS 1] nahe, als wir, d. h. meine Frau, mein Freund und ich, von unserm Hotel Majolica aus eine Kahnfahrt auf dem Comer See machten. Auf den Höhen wie auf dem Wasser lagerte eine unbeschreibliche Ruhe, die ganze Natur, auf deren Augen nach des langen Tages Hitze schon während der letzten halben Stunde die Müdigkeit schwer gelastet hatte, war schlafen gegangen. Die Sonne sank tiefer, schon war es ziemlich finster geworden, als plötzlich unser Gefährte ausrief: „Eine Illumination!“ Ich sehe mich um, und richtig war das jenseitige Ufer weiter nach Süden zu von unzähligen kleinen Lampen erleuchtet, die wohl eine Viertelmeile lang unmittelbar am Wasser aufgestellt waren. „Das müssen wir sehen!“

Wenige Minuten angestrengten Ruderns brachten uns der Illumination gerade gegenüber. Wir hielten vor der Villa Carlotta.

  1. Clupea sprattus Nilss.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Untergegange
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_061.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)