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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Das Clavier und seine Geschichte.
(Schluß.)

In Betreff der äußeren Form der Instrumente sei erwähnt, daß die ersten von Silbermann gebauten Fortepianos Flügelform hatten. Die Fortepianos in Tafelform rühren von dem Instrumentenmacher Friederici in Gera her (gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts); sie wurden von ihm, zur Unterscheidung von den Silbermannschen Instrumenten, Fortbien genannt. Das erste Instrument in aufrechter (Flügel-) Form, von dem also die heutigen Pianinos abstammen, baute im Jahre 1742 der Hoforganist Gerber zu Nordhausen. Als Verfertiger des ersten Pianinos (Anfang des neunzehnten Jahrhunderts) ist der Londoner Fabrikant Southwell zu nennen. Es wurde von Pape im Jahre 1815 nach Frankreich eingeführt und gelangte dort durch ihn und namentlich durch Roller und Pleyel zu allgemeiner Geltung. In Deutschland baute es zuerst Grüneberg in Halle, im Jahre 1821. Auch an Spielereien und horriblen Auswüchsen fehlte es dem Fortepiano, wie früher dem Claviere, nicht. Der Ergötzlichkeit wegen sei in ersterer Beziehung hier ein von Pape in Paris, freilich in sehr sinnreicher Weise, verfertigtes Instrument in Form eines achteckigen Theetisches, angeführt, woran ebensoviele Personen Platz hatten. Mittelst Drucks auf eine Feder war das Instrument auf der Säule, die ihm als Fuß diente, zu drehen, sodaß die Claviatur, die ebenfalls vermittelst Federdrucks hervorsprang, ohne weitere Unbequemlichkeit beliebig jedem Theilnehmer des Theekränzchens zugeschoben werden konnte. Ja, es bedurfte nur eines dritten Druckes, so zauberte dieses seltsame Theegesellschaftstischpianoforte allsogleich eine zweite Claviatur hervor und flugs ging’s an die Verdoppelung der bisherigen musikalischen Begeisterung. Zum Beweise der behaupteten „horriblen Auswüchse“ brauchen wir wohl nur an die jetzt freilich ausgestorbenen, aber der ältern Generation unter den heutigen Musikliebhabern wohl noch in gutem Andenken gebliebenen Pianofortes mit Pauken, Trommeln, Triangeln, Becken und der ganzen übrigen Janitscharenmusik zu erinnern.

Ueber die verschiedenen Bemühungen, am Pianoforte einen Mechanismus anzubringen, der die sofortige Notenaufzeichnung des eben Gespielten ermögliche, glauben wir wohl hinweggehen zu können, da diese Einrichtung, trotz vielfacher scharfsinniger Versuche, bis jetzt eben nur – ein Versuch geblieben ist. Nicht vergessen aber dürfen werden, wegen ihres großen Einflusses auf die Qualität des Tones, die von Joh. Andr. Stein zuerst angewandte Belederung der Hammerköpfe und die von Pape eingeführte Garnirung derselben mit dem von ihm zu Anfang dieses Jahrhunderts erfundenen Filze.

Indem wir auf den heutigen Stand der Clavierfabrikation übergeben, wollen wir zunächst einen Blick werfen auf die ungeheure Ausdehnung und hohe mercantilische Bedeutung, den dieser Industriezweig gegenwärtig einnimmt. Leider ist es bei den gänzlich mangelnden statistischen Angaben über die in den verschiedenen Ländern bestehenden Fabriken und die Anzahl der von ihnen verfertigten Instrumente durchaus unmöglich, eine auch nur annähernd zuverlässige Uebersicht über die Gesammtfabrikation zu geben; aus einigen Zahlen aber werden unsere Leser leicht die Großartigkeit derselben erkennen. Wir beginnen den Reigen mit dem Auslande. Wie schon früher angegeben, beläuft sich die Zahl der in London allein von etwa zweihundert und fünfzig Fabrikanten alljährlich verfertigten Instrumente auf etwa fünfundzwanzigtausend. Davon kommen z. B. auf Collard u. Collard über eintausend fünfhundert, auf Stoddart fast ebensoviele, auf Broadwood and Sons aber sogar zweitausend fünfhundert. Dieses alte berühmte Haus, das weit über sechshundert Arbeiter beschäftigt, baute überhaupt seit Anfang 1780, von welcher Zeit an die verfertigten Instrumente in den Büchern sich einregistrirt finden, bis zu Ende 1861 nicht weniger als 124,048 Instrumente und muß also in diesem Augenblicke die fast unglaubliche Zahl von 130,000 überschritten haben. In dem Magazine dieser Fabrik, worin die fertigen Instrumente aufgestellt werden, fanden wir in einer unabsehbaren Reihe von Sälen über tausend Claviere jeglicher Form zum Verkauf bereit stehen.

Außer den genannten liefern noch viele andere Londoner Fabriken, wie Kirkman, P. O. Erard, Wornum, Peachy (an achthundert), Hopkinson, Towns und Parker, Addison u. A. m. jede jährlich mehrere Hunderte. In Frankreich ist, wohl zum Theil in Folge der vielen Unruhen und Umwälzungen, denen es zu Ende des vorigen und im Laufe dieses Jahrhunderts unterworfen war und von denen auch die Pianofortefabriken nicht unberührt bleiben konnten, die Zahl der alljährlich gebauten Claviere nicht so groß; doch gehen aus den Pariser Fabriken von Herz, Pleyel, Pape, Roller und Blanchet, Kriegelstein und namentlich Erard, der Broadwood wohl sehr nahe kommen dürfte, große Massen von Instrumenten hervor. Großen Aufschwwng hat in den letzten Jahren auch Amerika genommen, und es kann sich namentlich rühmen, in der von dem Braunschweiger Steinweg erst vor wenigen Jahren zu New-York gegründeten Fabrik überhaupt die größte der Welt zu besitzen. Steinweg baut jetzt wöchentlich sechszig bis fünfundsechszig Instrumente, also dreitausend und einige Hundert jährlich! Als von ebenfalls gewaltigen Dimensionen nennen wir noch die Chickering’sche Fabrik zu Boston.

Was nun Deutschland anlangt, so kann sich zwar keine seiner Städte mit den obengenannten in Bezug auf die Großartigkeit der Fabrikanlagen messen, aus dem einfachen Grunde, weil eine Concentration nach einem Punkte hin, wie in jenen Ländern, in Deutschland nicht vorhanden ist. So baute z. B. Wien, mit einhundert und acht Fabrikanten, im Jahre 1851 im Ganzen nur etwa zweitausend sechshundert Instrumente; eine sehr thätige und ausgedehnte Fabrik, die von Schiedmayer und Söhne in Stuttgart, lieferte in einem Zeitraume von 40 Jahren nicht mehr als 4200, die Irmler’sche Fabrik in Leipzig vollendete vor Kurzem, nach etwa 50-jährigem Bestehen, ihr 6000. Instrument – Zahlen, die den obigen gegenüber fast verschwinden. Dagegen besitzt Deutschland allerwärts, nicht allein in seinen zahlreichen Haupt- und Residenzstädten, sondern in jeder Stadt von nur einiger Ausdehnung blühende Fabriken, deren Totalproduction, bei der hervorragend musikalischen Bildung des deutschen Volkes, die alle Schichten der Gesellschaft durchdringt, wohl noch eine bedeutendere sein dürfte, als die Englands. Erfreulich und von hoher Wichtigkeit ist besonders auch die jetzt wieder mit jedem Jahre wachsende Ausfuhr nach Amerika und andern überseeischen Ländern, die eine lange Zeit in Folge der äußerst unsoliden und auf das heiße Klima jener Gegenden nicht genug Rücksicht nehmenden Bauart auf ein Minimum sich reducirt hatte. In frühern Jahren exportirte man dahin, durch Gewinnsucht getrieben, nur die schlechtesten Instrumente; dieselben wurden selbst in Deutschland verachtet als „erbärmliche Arbeit“, und die größte Zahl derselben war ruinirt, ehe sie an dem Orte ihrer Bestimmung anlangte, so daß die nothwendigen Reparaturen oft mehr kosteten, als die Instrumente werth waren. So konnte es auch nicht fehlen, daß Deutschland bald von andern Ländern und namentlich von England, das sich die Fehler andrer Nationen so gut zu Nutze zu machen versteht, fast vollständig aus jenen Gegenden verdrängt wurde, und es hat lange genug gedauert, bis die soliden deutschen Fabrikanten durch ihre in jeder Hinsicht mustergültige Arbeit die Achtung vor der deutschen Fabrikation sich zurückerobert haben. Die bei gleicher Güte beträchtlich größere Wohlfeilheit der deutschen Instrumente vor den englischen und französischen mag wohl auch nicht wenig dazu beitragen, den Sieg der erstern beschleunigen zu helfen; schon jetzt wandern alljährlich wieder viele Tausende derselben über den Ocean, ja, manche deutsche Fabriken arbeiten fast ausschließlich für außereuropäische Länder. – Fügen wir nun noch hinzu, daß auch in Rußland, Dänemark, Belgien, Italien, kurz, in allen übrigen europäischen Staaten dieser Fabrikzweig in großer Blüthe steht, so leuchtet ein, daß das Heer von Pianofortes, welches alljährlich nach allen vier Himmelsgegenden auszieht, um das Reich der Töne auf Erden immer weiter auszubreiten, ein gar gewaltiges ist und sicherlich kein geringer Mitstreiter sein dürfte im Kampfe der Civilisation gegen Uncultur und Barbarei.

Wir kommen endlich zur Betrachtung des heutigen Claviers vom musikalischen Standpunkte. Es bleibt uns hierüber nur Weniges zu berichten übrig. Wie schon früher erwähnt, ist die hohe Vervollkommnung vor Allen Erard und Broadwood zu danken. Auch jetzt noch gehören ihre Fabriken, wie weltbekannt, zu den hervorragendsten Vertretern der Pianofortebaukunst; doch besitzen sie nicht mehr allein das Monopol, vorzügliche Instruniente zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_071.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)