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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Da, wo das Zwillingspaar der Thürme von St. Lorenz schlank in die Luft steigt, brodelt ein entsetzlicher Qualm, wallen Feuerströme und stiebt eine glühende Funkensaat weithin über die Häuser der alten Stadt. Dazwischen hinein wimmern die Brandglocken der übrigen Thürme wie wehklagend um das grause Geschick, das einen aus ihrer Mitte getroffen. Das Juwel Nürnbergs steht in Brand; das soll mein Wiedersehen sein, das der erste Gruß nach langem Scheiden! Schmerzlichst bewegt lehnte ich mich zurück.

Der Zug hielt. Hastig stieg ich aus, dem Schauplatz der Katastrophe, dem schwerbedrängten Thurme zu, der – eine Riesenfackel, angezündet von jenen räthselhaften Kräften der Natur – dem entsetzten Zuschauer ein nur zu deutlicher Wegweiser, sich selbst zum Untergange leuchtete. – Die Glocke von St. Sebald hatte eben neun geschlagen, als ich mich neben Freunden, die ich im grausen Flammenschein des Thurmes erkannte und begrüßte, in der Gegend des Nassauer Hauses aufstellte, um der Verheerung, die sich mir schon in der Ferne gezeigt, nun auch in der Nähe in das Auge zu schauen. Durch einen Blitzstrahl – den einzigen, in dem sich hier am 6. Jan. während eines tobenden Schneesturmes die elektrisch-schwüle Atmosphäre entlud – unterhalb des Knopfes entzündet, brannte der Thurm, da bei der bedeutenden Höhe keine Wasserkraft zur Hemmung des Feuers verwendet werden konnte, trotz aller aufopfernden Anstrengung immer tiefer herab. Immer größer, immer gewaltiger wurde die Gluth; an den vergoldeten Kupferplatten emporschlagend, leuchteten die Flammen in den herrlichsten Farben – ein wunderbarer Anblick, bis jene sich ablösend in die Tiefe hinabsanken. Wie wenn ein ungebeurer Topf voll glühenden Metalls brodelt und überquillt, so brauste es hoch oben auf dem Flammenheerde. Wie der Schweif eines Kometen zog sich der Feuerregen, vom wüthenden Sturme gepeitscht, über die Kirche und die Stadt hinweg, glühende Ziegel, eiserne Stangen, auf die Straße herabschleudernd, und jetzt stürzt noch das letzte Gebälk der Thurmspitze, mit ihr die schmelzende Glocke, hinein in den glühenden Schlund. Eine Feuersäule steigt wirbelnd empor, und ein Schrei ringt sich aus Tausenden von Kehlen – ein in all seiner Entsetzlichkeit imposanter Augenblick.

Der brennende St. Lorenzthurm in Nürnberg.
Nach der Natur gezeichnet von Lorenz Ritter.

Stunde auf Stunde verrann unter ungeheuren Anstrengungen der Einen und bangem Zuschauen der Anderen, bis man endlich gegen Mitternacht des Feuers Herr wurde, obwohl noch nicht alle Gefahr beseitigt war und der überwundene Feind mit größter Sorgfalt bewacht werden mußte, damit er nicht von Neuem sein Zerstörungswerk beginne. – –

Die Nacht mit ihren Schrecken war vorüber, kahl starrten die zerstörten Mauern empor in die Morgenluft, stoßweise noch dicke Rauchwolken, die letzten Zuckungen des besiegten Elementes, darüber wegwälzend.

„Du mußt noch einmal in das Glockenstübchen, in dem Du so oft an unseren Kirchweihfesten mit dem Glöckner plaudernd saßest und hinabschautest auf die Stadt!“ Der Gedanke, einmal aufgetaucht, ward zum Entschluß -, ich rüstete mich rasch zur Wanderung; es sollte mein erster Besuch in der Vaterstadt werden, der ich nun wieder angehörte.

Der Platz um die Kirche bot ein wüstes Bild – zerschmetterte Ziegel neben ausgebrannten Pechpfannen; Feuereimer, verkohlte Holzstücke bedeckten die Wahlstatt. Mich durch die Menge drückend, sah ich mich einem Feuerwehrmann gegenüber, der, von der nächtlichen Arbeit geschwärzt, am Eingänge zur Kirche Wache hielt.

„Wohin,“ tönte es mir entgegen.

„Zu dem Thurm, ich muß hinauf!“

Sei es das Bittende meiner Worte, oder glaubte er, ich sei wirklich bei den Löschanstalten beschäftigt, er trat zur Seite und gab mir Raum zum Eintritt in’s Innere. Welch Bild der Verwirrung zeigte sich meinen Blicken! Unter den Betstühlen, in den Gängen stand, durch verschüttete Eimer, zerplatzte Schläuche vergossen, das Wasser, mit einer dünnen Eiskruste überzogen. Zwischen den kunstvollen Schnitzwerken des Veit Stoß, den Altarbildern Wohlgemuth’s, lehnten Leitern, lagen Feuereimer, war die zur Ablösung bereite Mannschaft der Feuerwehr aufgestellt. Dazwischen hinein ertönten die Commandoworte der Rettungsmannschaft, die Hunderte von Rufen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_092.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)