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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

übergesiedelt. Dorthin aber mochte der Berliner Witz ihm nicht folgen. Die Musen konnten im Lande der Mark, aber der Berliner Witz nicht im Lande der Obotriten heimisch werden. So nahm dieser denn Abschied von seinem Adoptivvater und Erzieher, der jetzt an der Seite einer liebenswürdigen und eleganten Frau sich überdies einigermaßen anfing seines Umgangs ein wenig zu schämen. Mit seiner Liebe stieg in seinem Herzen die Erinnerung an sein poetisches Talent empor. Im kühlen Schatten der Wälder, am Ufer der Seen, beim Schlagen der Nachtigall schwor er seiner Adele sich einen Dichternamen zu machen, einen Schwur, den er redlich gehalten. Schon 1843 erschien in Bern unter dem Titel: „Verbotene Lieder eines norddeutschen Poeten“ ein Band Gedichte, der vieles Hübsche und Werthvolle enthielt, aber dem Autor nur wenig Ruf erwarb, da die Regierungen Deutschlands alle Literatur in Bann gethan hatten, die zu jener Zeit von der Schweiz her sich Eingang zu verschaffen suchte. Die Anerkennung, die Glaßbrenner zu erlangen wünschte, fand er erst durch seinen im Eingang unserer Besprechung bereits erwähnten „Neuen Reineke Fuchs“, der großes Aufsehen machte und von welchem trotz seines nicht sehr billigen Preises (ein Thaler zwanzig Silbergroschen) in wenigen Wochen mehr als viertausend Exemplare abgesetzt wurden. Die weitere Ausbreitung dieses Werkes wurde zum großen Nachtheile Glaßbrenner’s mehrere Jahre lang durch Verhältnisse verhindert, deren Besprechung zur Zeit noch nicht gerathen erscheint. Dennoch hat es, wie ebenfalls bereits gemeldet, jetzt schon die vierte Auflage erreicht. „Dies Gedicht“ schreibt Rudolf Gottschall in seiner ‚Deutschen Nationalliteratur‘, „ist eben so reich an schlagendem Witze, wie an einer burlesken Naivetät, und einzelne Stellen athmen einen echt poetischen Duft.“

Mitten aus diesem poetischen Schaffen wurde Glaßbrenner durch die Revolution von 1848 gerissen. Als die Kunde von der Erhebung Berlins am 19. März 1848 nach Neu-Strelitz gelangte, konnten unsern Dichter weder die Bitten seiner Frau, noch die Vorstellungen seiner Freunde, am Wenigsten aber die umziehenden Gerüchte von Brand und Mord in Berlin zurückhalten, dahin zu eilen, wo er das Volk, ja seine eigenen beiden Brüder im Kampf für die Freiheit erwarten mußte. Wenige Stunden nach dem Eintreffen der Nachricht fuhr er mit Extrapost nach seiner Vaterstadt ab.

Was er daselbst erlebt, schildert er unter dem Namen „Ernst Heiter“, den er vielfach gebraucht, in seinem „Komischen Volkskalender“ von 1850 in Briefen an seine Gattin. Als er nach Neu-Strelitz zurückkehrte, wo er im Volke hochbeliebt war, wurde er mit Dr. Daniel Sanders, mit dem er bei Hoffmann und Campe um jene Zeit etwa auch ein Heft „Xenien“ herausgab, der Mittelpunkt der Strelitzischen Volksvereine. Obschon er nun in diesen seinen ganzen Einfluß aufbot, die Bewegung von allen Gewaltäußerungen und abenteuerlichen Ideen fern zu halten, ward er doch sehr bald der Gegenstand des besonderen Hasses der Reaction. Sie ruhte nach ihrer Erstarkung auch nicht eher, als bis er des Landes verwiesen wurde und Mecklenburg-Strelitz verließ. Seine Gattin willigte, um ihm folgen zu können, gern darein, ihren lebenslänglichen Contract mit bedeutendem Verlust in eine Pension umgewandelt zu sehen. Der Forderung Glaßbrenner’s, eine gerichtliche Untersuchung gegen ihn einzuleiten, um die gänzliche Unwahrheit der angegebenen Gründe seiner Landesverweisung an’s Licht zu bringen, ward von Seiten der Mecklenburg-Strelitz’schen Regierung keine Folge geleistet. Sie hatte erreicht, was sie wünschte, und damit war es gut.

Unser Autor begab sich nun nach Hamburg, wo er von 1850 bis 1858 verblieb. Er schrieb hier „die verkehrte Welt“, die „komische Tausend und eine Nacht“, „Caspar, der Mensch“ und gründete, von angesehenen Männern unterstützt, die Zeitung „Ernst Heiter“, die sehr gut aufgenommen, aber schon nach ihrer neunten Nummer für Preußen verboten wurde und dadurch den Todesstoß versetzt erhielt.

Das gesellige Leben Glaßbrenner’s und seiner Frau war in der alten Hansestadt das angenehmste, das sich denken läßt. Die ersten Häuser standen dem geistvollen und liebenswürdigen Paare offen, und so oft es seine Schritte jetzt noch besuchsweise dahin zurücklenkt, wird es mit aufrichtiger Freude überall willkommen geheißen. Der gute Tact, die gefällige Anmuth, der feine Geist Frau Adelens sind dort ebenso allgemein geschätzt, wie der schlagende Witz und die unverwüstliche Laune des anerkannten und bewährten Schriftstellers. Man muß Adolf Glaßbrenner und seine Gattin in den gastlichen Häusern der Familien Helbert, Hellmrich, Ladé, Ropp und Anderer gesehen haben, um sich eine Vorstellung von dem lebendigen Reiz und der bezaubernden Frische ihres Umgangs machen zu können. Besonders im zuerst genannten Hause, in dem einst Heinrich Heine und M. E. Schleiden verkehrt und das zu jener Zeit durch Robert Heller, Rudolph Gottschall, Ole Bull und manche einnehmende und glänzende Erscheinung der Bühnenwelt illustrirt wurde, fühlten sich die oben Genannten vorzüglich wohl und behaglich. Mit wirklich dankbarer Freude erinnert sich noch Jeder, der an den Gesellschaftsabenden und Mittagsmahlzeiten des Herrn und der Frau Helbert Theil nahm, der stets angeregten, bewegten und geistsprudelnden Unterhaltung, die hier ganz besonders durch Glaßbrenner’s nie rastende Beredsamkeit im Zuge erhalten wurde. Seine witzigen Bemerkungen und Einfälle jagten eine die andern und nie gab es Verlegenheit um Gesprächsstoff. Politik, Theater, Kunst und tägliches Leben, alles schoß und quirlte bunt durcheinander, von Frau Helbert wie von Frau Glaßbrenner mit ebensoviel weiblicher Würde wie zartem Tact in den passenden Grenzen erhalten. Manch tiefes, manch scharfes Wort ist hier gefallen, ohne daß je die Harmonie der Geselligkeit irgendwie bedenklich wäre erschüttert worden. Die Grazie war es, die hier selbst die Entrüstung und den Sarkasmus leitete. Sogar in der munteren Ausgelassenheit dilettantischer Theateraufführungen, mitten im Rausch und Strudel übermüthiger Sylvesterscherze verleugnete sich nie der Hauch ber höchsten und feinsten Bildung.

Es sind schöne, beglückende Stunden gewesen, die man hier verlebte, und sie werden Allen unvergeßlich bleiben, die sie mitgenossen.

Im Jahre verließen Adolf Glaßbrenner und seine Gattin Hamburg, um in die Vaterstadt des Ersteren zurückzukehren. Seine Heimathsberechtigung war in Frage gekommen, und da er diese in der preußischen Capitale nicht völlig schwinden lassen wollte, in Hamburg überdies bezüglich dieser von Seiten der Polizei seltsamer Weise auf Schwierigkeiten stieß, so entschloß er sich zur Uebersiedelung in seine eigentlichste Heimath.

Was er hier nun fand, freilich, verletzte ihn zuerst in hohem Grade. Glaßbrenner erkannte seinen Zögling, den Berliner Witz, nicht wieder. Der arme Schelm hatte sich wunderlich verändert. Er war nicht mehr der muntere harmlose Junge von ehedem, der mit rothen Backen, frischen Augen und flinker Zunge, oft ohne Mütze und Stiefeln, durch die Straßen lief. Der Berliner Witz war zu Gelde gekommen und ging jetzt wohlgekleidet, die Hände in den Hosentaschen und den hohen Castorhut aus dem Kopfe, breitspurig unter den Linden spazieren. Er hatte sich einen gewissen Dividendenesprit angeeignet und machte gute Geschäfte in „höherem Blödsinn“. Er hielt sich zur hohen Finanz und besuchte die Börse. Wenn er Glaßbrenner zufällig begegnete, nickte er, mit den goldenen Uhrberloques spielend, herablassend mit dem Haupte.

Adolf Glaßbrenner, davon, wie von vielem Anderen, unangenehm berührt, hielt sich damals vom öffentlichen Leben fern, so gut es ging, verkehrte nur mit wenigen Freunden und warf sich, wie zur Ablenkung und Erheiterung seines Gemüths, auf Jugendschriften, von denen „Lachende Kinder“, „Sprechende Thiere“, sowie die früher erschienene „Insel Marzipan“ besondern Anklang fanden. Erst später trat er wieder in die journalistische Thätigkeit ein und zwar dadurch, daß er Redacteur der „Berliner Montag-Zeitung“ wurde, die er käuflich an sich brachte. In dieser begann er nun mit aller Kraft seiner Satire gegen die Blasirtheit und den Nihilismus zu kämpfen, die sich in Berlin zur Herrschaft aufgeschwungen. Noch in diesem Augenblick steht er gegen diese Elemente tapfer unter den Waffen. Wer ihn in einer erquicklichen Erholungsstunde sehen will, begebe sich um Mittag in die von E. Th. A. Hoffmann und Ludwig Devrient her berühmte Weinhandlung von Lutter und Wegener, wo man ihn lustig und aufgeräumt verkehren sehen kann.

Die soeben erschienene vierte Auflage seiner Gedichte findet durch ganz Deutschland hin die freudigste Aufnahme und kann in der That nur dazu dienen, diesen echten Volksdichter in noch immer weitern Kreisen bekannt und beliebt zu machen.

F. W.



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