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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Das schwarze Buch der Sclavenjunker.
Ausplünderung der Kriegsgefangenen. – Der „Sclavenpeitscher“ als Gefängnißinspector. – Das „Yankeeschießen“ ein Soldatenexercitium. – Hungernoth und Hungerdelirien. – Tag und Nacht ohne Obdach. – Jeden Morgen Erfrorene. – „Es giebt keinen Ausdruck für unseren Hunger.“

Nichts kann die Unsittlichkeit der von Nordamerika’s Südstaaten verfolgten Politik und das Princip, auf das sie gebaut ist, treffender kennzeichnen, als eine Schrift, die unlängst in Philadelphia veröffentlicht, doch nicht in den Buchhandel gekommen ist. Zwar sträuben sich die Haare empor, zwar stockt uns das Blut in den Adern, wenn man die Seiten dieses Buches durchblättert, das der Redaction der Gartenlaube von officieller Seite übermittelt wurde, aber es verdient in weitesten Kreisen die höchste Beachtung, denn es soll Zeugniß ablegen von der Barbarei der südstaatlichen Kriegsführung und die Unmenschlichkeiten der sclavenzüchtenden Junker in Virginien und Carolina, in Georgien und Mississippi vor der gesammten civilisirten Welt an den Pranger schlagen – zur ewigen Verdammung alles Junkerthums jenseits und diesseits des Oceans. Von wie viel Blut und Hunger und Siechthum, von welchem unfaßbaren Jammer erzählen die glatten Velinblätter des Buches, erzählen Geschichten so grausiger Natur, daß sich die ausschweifendste Phantasie eines Sensationsnovellisten kaum solche Schauerscenen und Schauerdetails ersinnen und ausmalen könnte und daß man sich versucht fühlen müßte, das Ganze für die Ausgeburt eines wahnwitzigen Gehirns zu halten, wäre das Buch nicht eine amtliche Publication und mit allen Beweisen und Belegstücken versehen, welche an der Glaubwürdigkeit des Dargestellten – leider – nicht den leisesten Zweifel aufkommen lassen!

Schon nach den ersten Schlachten des amerikanischen Krieges war der Norden voll von beängstigenden Gerüchten über die Behandlung, welche die Rebellen-Behörden den gemachten Kriegsgefangenen zu Theil werden ließen. Jeder dieser aus der Haft entflohenen oder ausgelösten Gefangenen brachte die gräßlichsten Berichte heim von der Grausamkeit und Barbarei des Feindes, so daß sich schon damals die Gemüther des nordstaatlichen Publicums in höchster Aufregung befanden. Wo ein Krieg plötzlich in so ungeheuere Dimensionen hinaus wächst; wenn mit einem Male Tausende von Gefangenen die Lager von Freund und Feind überschwemmten, die beide ihre militärischen Ueberlieferungen und Erinnerungen nur einer um Generationen rückliegenden Vergangenheit zu entnehmen hatten: konnten Anfangs große Uebelstände und Mißbräuche nicht ausbleiben, bis in dieser Beziehung die nothwendigsten Anordnungen und Vorkehrungen getroffen waren. Allein der Kampf hatte nachgerade schon länger als drei Jahre gewüthet, beide Parteien waren inzwischen längst mit den Bräuchen und Gesetzen des militärischen Lebens vertraut worden, hatten alle Mittel und Anstalten kennen gelernt, wodurch die moderne Civilisation Unmenschlichkeit und Schrecken des Kriegs zu mildern versteht – und dennoch liefen Woche für Woche immer beängstigendere Nachrichten von der Barbarei der Conföderirten ein, welche, wie man hörte, die unglücklichen Gefangenen aus dem Norden vor Frost und Hunger schaarenweise in den Kerkern dahinsterben ließen; man erfuhr, wie bei der letzten Gefangenenauswechselung ganze Boote voller halbnackter lebendiger Skelete, die zerfressen waren von Koth und Ungeziefer, Schiffe voller Jammergestalten, siech und sterbend oder invalid für’s Leben, gegen wohlgenährte und gutgekleidete Männer eingetauscht wurden, die gesund und kräftig aus der nordischen Haft in die Reihen der Ihrigen heimkehrten.

Nunmehr mußten ernstliche Schritte geschehen, der täglich steigenden allgemeinen Erbitterung gerecht zu werden. Der Congreß selbst konnte nicht länger unthätig bleiben; er setzte eine Commission nieder, den Thatbestand festzustellen und zu ermitteln, ob und in wie weit jene grauenhaften Hiobsposten auf Wahrheit beruhten.

Ehe jedoch das Ergebniß dieser Erhebungen veröffentlicht war, hatte auch die sogenannte Sanitäts-Commission der Vereinigten Staaten, ein Verein menschenfreundlicher und sachkundiger Männer, der sich die Aufgabe gestellt hat, das Sanitätswesen der im Felde stehenden Armee zu organisiren, die Verpflegung ihrer Verwundeten und Kranken zu leiten und zu überwachen, und Treffliches leistet, seinerseits ebenfalls beschlossen, eine gründliche und unparteiische Untersuchung jener Scheußlichkeiten in Gang zu bringen. Zu diesem Behufe – „die wahre Körperbeschaffenheit der Gefangenen zu constatiren, die neuerdings durch Auswechselung aus der Haft in Richmond und sonstwo innerhalb der Linien der Rebellen befreit wurden“ – erwählte man im Mai des vorigen Jahres einen aus sechs Mitgliedern bestehenden Ausschuß, dem neben drei der ersten medicinischen Autoritäten von Philadelphia und New-York unter Andern der Gouverneur des letztern Staates angehört und außerdem von Unionswegen ein Deputirter – United States Commisioner – beigegeben ward.

Ohne Säumen unterzog sich der Ausschuß seiner schwierigen Aufgabe. Der Reihe nach besuchte er die verschiedenen Hospitäler, worin die aus südstaatlicher Kriegsgefangenschaft Entlassenen Unterkunft gefunden hatten, vor allen die von Baltimore und Annapolis in Maryland. Am letztern Orte allein beherbergten die zu solchem Behufe umgewandelten weitläufigen Räumlichkeiten der Marineschule und des St. Johns Collegiums über drei Tausend, Officiere und Soldaten aller Waffengattungen und Grade, sämmtlich erst vor Kurzem aus der Gefangenschaft erlöst.

Das Schauspiel von Elend und Leiden, das sich hier von Zelle zu Zelle, von Zelt zu Zelt, von Bett zu Bett den Untersuchenden bot, spottet jeder Beschreibung! Es bestätigte nicht nur die schlimmsten Befürchtungen, es überstieg sie; es übermannte selbst die Aerzte der Commission, die bekennen mußten, noch niemals ähnlicher Jammerscenen ansichtig geworden zu sein. Kein Bild, selbst die Photographien nicht, welche man von einigen der charakteristischsten Krankenerscheinungen nehmen ließ, grausenerregend wie sie sind, vermögen nur annähernd das Furchtbare des Eindrucks wiederzugeben, welchen der Anblick von Hunderten lebendiger Leichen, von buchstäblich zu Gerippen abgezehrten und ausgehungerten Gestalten machte, die nur durch matte, kaum bemerkbare Bewegungen verriethen, daß noch Athem in ihnen war. Gräßlicher aber als alles Dies, gräßlicher als die knochigen, hohlwangigen Gesichter, die in stumpfer Apathie wie Halbidioten die Vorübergehenden aus den Kissen heraus anstarrten; gräßlicher als die geschwollenen, durch Beulen und Wunden, durch Löcher und Narben verunstalteten Leiber, von denen Beine und Arme herabhingen, dünner, als die Glieder fünfjähriger Knaben, welche mühelos die Hand umspannt – entsetzlich, wie die Erscheinung eines grausigen Spukes, die uns nicht mehr aus den Augen kommen will, die uns auf Schritt und Tritt verfolgt, im Wachen und im Schlafen, war ein Moment, das sämmtlichen dieser Unglücklichen angehörte, denen in Baltimore, wie jenen in Annapolis, dem Reconvalescenten, der sich langsam im Lazarethgarten erging, wie dem Todsiechen, welcher den Kopf nicht mehr vom Pfühle aufrichten konnte, – es war der Ausdruck äußerster Trostlosigkeit in Augen und Zügen, ein Blick unüberwindlicher Melancholie, als hätten sie sammt und sonders eine Periode höchster physischer und geistiger Qual durchleben müssen, die jedes Lächeln für immer aus ihren Gesichern verscheuchte. Wo dies nämliche Merkmal Allen gemeinsam war, allen den Tausenden, welche in der Gefangenschaft bei den Rebellen geschmachtet hatten, da konnte von zufälligen individuellen Zuständen nicht mehr die Rede, da mußte eine allgemeine, immer und überall wirkende Ursache vorhanden sein, der jener unvertilgbare und unvergeßliche Ausdruck entsprang, und wer auch von der Commission vernommen wurde, Stabs- und Subalternofficiere, Sergeanten und Gemeine, und die Wahrheit seiner mündlichen und schriftlichen Aussagen und Antworten feierlich beschwor, – Alle hatten unveränderlich die nämliche Jammergeschichte zu erzählen: von Hunger und Mangel, von Schmutz und Obdachlosigkeit, von Kälte und Frost, von Martern ohne Zahl und ohne Beispiel!

Der Bericht der Commission liegt vor uns mit jenen schrecklichen Photographien als Titelbildern und dem gesammten Material von eidlich erhärteten und officiell beglaubigten Zeugnissen und Beweisen als Anhang, ein stattlicher Octavband. Es ist das Buch, von dem wir oben sprachen und welchem die nachstehenden Mittheilungen, hie und da wortgetreu, entnommen sind. Der uns zur Verfügung gestellte Raum gestattet freilich blos da und dort hineinzugreifen in die Masse der gesammelten Thatsachen und Einzelheilen, – doch wir fürchten, den Lesern wird auch so schon des Gräßlichen genug und übergenug geboten sein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_120.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)