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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nur diesen mächtigen Süßwasser-See an, der fast ein eben so großes Becken zeigt, wie das baltische Meer. Hier ist Alles großartiger, als drüben. Wenn Sie in Deutschland das Bischen Kupfer mühsam durch Pochwerke und künstliche chemische Scheidungsprocesse gewinnen, so ragt es hier massenweise fast in gediegenem Zustande aus der jungfräulichen Erde bervor.“

„Ja, ich habe wirklich Wunderdinge davon erzählen hören,“ sagte Werner, „und bin äußerst gespannt, die Mineralländereien an Ort und Stelle kennen zu lernen. Auch habe ich so meine Vermuthungen, daß in dieser Trappformation außer dem Kupfer noch andere Metalle vorkommen müssen.“

„Sie meinen doch nicht Silber?“ unterbrach hier hastig der Amerikaner, „könnten Sie Silbererz in ordentlichen Stufen finden, dann wäre Ihr Glück für immer gemacht!“

„Ei nun,“ sagte Werner, „die alten Handschriften aus der Zeit, wo der Vater Marquette und die andern Jesuiten diese Gegenden bereisten, lassen keinen Zweifel obwalten, daß das felsige Plateau, in welchem der Obere See gewissermaßen mit seinem Becken eingesprengt ist, an vielen Stellen silberhaltigen Quarz aufweisen muß. Ich selbst habe zu Quebec und Montreal in den Klosterbibliotheken vergilbte Manuscripte gefunden, in welchen die alten Reisenden, freilich mit ihrer gewöhnlichen Uebertreibung, erzählen, daß auf den Inseln des Sees früher ein Volksstamm gelebt habe, dessen Geräthschaften ohne Ausnahme mit dem schwersten Silber geschmückt gewesen wären.“

Mr. Jones war bei diesen Worten Werner’s ganz Auge und Ohr und hätte die Unterhaltung noch gern fortgesetzt, wenn nicht der Dampfer in Sicht der berühmten Felscapelle gekommen wäre, welche hier durch die schaffende oder zerstörende Hand der Natur mitten in die Felsenwände eingesprengt ist. Dieses wunderbare Schauspiel zog den größten Theil der Passagiere auf die Galerie hinaus, um den prachtvollen Anblick sich nicht entgehen zu lassen, den diese ohne Mitwirkung von Menschenhänden geschaffene Basilica mit ihren bunten, gleichsam gemalten Pfeilern und romanischen Schwibbogen dem staunenden Auge darbietet. Dumpf schlug die Brandung an die über dreihundert Fuß hohe marmorirte Mauer der Küste, und eine grüne Woge nach der andern wälzte sich mit schaumbedecktem Kamme durch das hohe Portal der Felsenkirche, wo die zwischen den starren Säulen zusammengepreßten Gewässer, durcheinander wirbelnd, ein Geräusch hervorbrachten, das mit dem Echo der weiten Wölbung vermischt dem Donner des Niagara nicht nachstand.

Der Capitain, der bis dahin aus Gefälligkeit für seine Passagiere, um ihnen die mehr als romantische Scenerie zu zeigen, längs der Küste gefahren war, ließ nun den Dampfer mehr der Mitte des Sees zu steuern, und bald glaubten die Reisenden, daß sie sich auf offenem Meere befänden, denn die Küste schwand aus Sicht, und der große Dampfer von mehr als zweitausend Tonnen Gehalt begann zu schlingern und zu rollen, daß die Meisten es vorzogen, ihre Mahlzeiten im Stiche zu lassen und ihre Betten aufzusuchen. Werner hatte eine kräftige Natur und überwand die tückischen Angriffe der Seekrankheit leicht dadurch, daß er sich fortwährend auf Deck hielt, wo er dem Spiel der Wellen und Wolken zuschaute und die reine Luft einathmete, die diesem Klima eigen ist. Mr. Jones und alle anderen Herren, mit welchen er an Bord Bekanntschaft gemacht, waren gegen Abend unsichtbar geworden, und die Gesellschaft im Schenkzimmer, wo einige professionelle Spieler, wie diese leider auf allen Dampfbooten der Union zu finden sind, ihr wüstes Handwerk trieben und zechten, zog ihn nicht an. So blieb ihm denn nach dem eingenommenen Thee Nichts weiter übrig, als gedankenvoll auf der Galerie zu sitzen und den tief indigoblauen Himmel anzustaunen, auf dem die wohlbekannten Sternbilder in einer unendlichen Klarheit glänzten, wie er sie in seiner Heimath nie geschaut hatte. Vor seinem geistigen Auge schwebten die politischen Kämpfe, welche ihn aus dem Vaterland vertrieben hatten, die Gesichter seiner Lieben, als sie Abschied von dem Flüchtling nahmen, und die Anstrengungen seines unterdrückten Volkes, wie es um nationale Selbstständigkeit rang. Alles das tauchte in seiner Erinnerung auf. Der atlantische Ocean war ihm wie ein weißes Blatt im Buche seines Lebens erschienen; es handelte sich jetzt für ihn darum, eine neue Existenz zu erkämpfen, um späterhin eine Vereinigung mit den Seinen möglich zu machen. Freilich hatte er vor vielen andern Eingewanderten das voraus, daß seine in Amerika so gesuchten Fachkenntnisse ihm schon eine sichere Stellung verschafft hatten, in der er wenigstens frei von Nahrungssorgen zu sein glaubte; indessen ließ sein deutsches Gemüth nicht zu, daß er sich unter diesen scharfmarkirten anglo-sächsischen Charakteren wohl fühlte. So fürchtete er, stets als ein Fremdling isolirt und einsam zu stehen, namentlich in diesem Theile des Landes, wo die Erscheinung eines gebildeten Deutschen eine Seltenheit war.

Seinen Gedanken überlassen, saß denn Werner spät in die Nacht hinein, bis die Sterne hinter grauem Gewölk verschwanden und ein steifer Nordwestwind einsetzte, der den bis dahin ziemlich ruhigen See in Aufruhr brachte. Der Dampfer befand sich nach Mitternacht auf der Höhe der Manitouinsel, nicht weit von Eagle-Harbor, in einer Gegend, wo durch die eigenthümliche Bildung der Halbinsel, welche hier von der Südküste fast achtzig Meilen weit in das Wasserbecken hineinragt, entgegengesetzte Luftströmungen eintreten und oft, selbst mitten im Sommer, heftige Stürme verursachen. Schon die Indianer fürchteten diese Stelle des Sees und nannten diese Insel deshalb Geisterinsel, weil sie glaubten, daß die heftigen Windstöße, welche hier dem unvorsichtigen Schiffer so gefährlich werden, durch die Tücke böser Dämonen verursacht würden.

Als Werner, von diesem plötzlichen Aufruhr der Elemente überrascht, vorn auf die Galerie getreten war und sich bei dem Stampfen des Schiffes an einem der Pfeiler hielt, welche das Hurricanedeck unterstützen, huschte eine Gestalt aus der noch erleuchteten Kajüte hervor und ergriff ihn am Arme. Erstaunt sah sich der Deutsche um und erkannte bei dem Lichtschein, welcher durch die geöffnete Thüre des Salons fiel, seinen neuen Reisegefährten, Mr. Jones.

„Machen Sie geschwind, daß Sie hereinkommen!“ rief ihm dieser mit einer Stimme zu, welche das Heulen des Windes übertönte, „Sie kennen die Stürme auf diesen Seeen noch nicht. Sehen Sie nicht, die Galerie kann jeden Augenblick über Bord gehen! sie ist ja nur angebaut, und jede starke Welle vermag sie abzureißen, kommen Sie hübsch herein; der Rumpf des Dampfers ist fest genug, da sind Sie sicher.“

Bestürzt schaute Werner durch die Nacht in das wilde Wogengetöse und bemerkte zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß man ihn ganz allein auf der zerbrechlichen Galerie gelassen hatte, ohne ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Vielleicht hatten die Schiffsleute bei dem ausbrechenden Wetter zu viel zu thun gehabt, um an ihn zu denken, oder sie huldigten dem amerikanischen Grundsatze, daß Jedermann für sich selbst sorgen müsse. Ein paar Dankesworte stammelnd, folgte er Mr. Jones in die Kajüte, wo man vor dem Anprall der Wellen sicher war.

Eine Viertelstunde später erreichte der Sturm seine größte Höhe, und die Officiere des Dampfers hatten alle mögliche Mühe, diesen dem Winde gerade in die Zähne zu steuern, obgleich das lange Fahrzeug dem Helme vortrefflich gehorchte. Trotz der correcten Führung stifteten die scharfen, kurzen Wellen des Sees, die denen der Ostsee gleichen, an den Außenwerken des Dampfers vielen Schaden, wenn sie auch dem eigentlichen Rumpf Nichts anhaben konnten. Sie zertrümmerten die Radkasten und brachen auch denjenigen Theil der Starbordgalerie ab, wo Werner noch vor kurzer Zeit gestanden hatte. Dieser mußte deshalb auch die freundschaftliche Fürsorge Mr. Jones’ dankbar anerkennen, als er bei Tagesanbruch die Verwüstungen betrachtete, welche der Sturm während der Nacht angerichtet hatte.

Schnell, wie das Wetter aufgezogen war, ebenso schnell ließ es nach, und als die Sonne aufging, hatte die Saratoga nur noch mit der heftigen Strömung zu kämpfen, welche ihr bei Keweena Point entgegenrollte. Die Passagiere krochen aus ihren Cabinen hervor, wenn sie nicht seekrank waren, und die Stewards setzten ein substantielles Frühstück auf, bei dessen Genuß die Leiden der Nacht bald vergessen wurden. Gegen Mittag kam auch die deutsche Musikbande wieder zum Vorschein, die während der Nacht im Zwischendeck eben kein comfortables Quartier bezogen hatte und ziemlich übernächtig aussah; aber als die braven Leute die frische Seeluft wieder in vollen Zügen einsogen und die hellen Sonnenstrahlen über das grüue, bewegte Wasser hinspielen sahen, faßten sie wieder Muth und bliesen „Heil Columbia“ mit einer solchen Präcision und solchem Feuer, daß selbst die Seekranken in ihren Kojen mit einstimmten. So ging der Rest des Tages ganz angenehm hin, und gegen Abend kam Eagle Harbor in Sicht, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_146.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)